Berlin/Washington. Das Sprachprogramm ChatGPT beantwortet Fragen, schreibt Texte und vieles mehr. Doch Kritiker warnen vor der künstlichen Intelligenz.

Man kann hier Gedichte für die Angebetete in Auftrag geben. Oder Liedtexte; ganz gleich, welches Genre. Oder flammende Kommentare gegen Donald Trump. Oder pro Olaf Scholz. Oder detaillierte Reisepläne für den nächsten Trip nach Süd-Italien. Oder Kurzbiografien von Personen der Zeitgeschichte. Oder Rezepte für ein veganes Sechs-Gänge-Menü. Man kann sich hier physikalische Theorien und Geschichts-Epochen erklären lassen. Oder ideologische Weltanschauungen wie den Kommunismus.

Auch Problemlösungen für Computer-Code kann das erst seit wenigen Tagen bereits über eine Million Nutzer begeisternde und auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhende Computer-Sprachmodell "ChatGPT" aus Amerika in Sekundenschnelle ausspucken. Dabei wirkt es, als spräche ein Mensch. "Sensationell." "Ein Quantensprung." Das sind die vorherrschenden Standard-Bewertungen der ersten Tage. Alles Wichtige auf einen Blick:

Sprachprogramm: Wie kann ich auch aus Deutschland ChatGPT nutzen?

Das System, das von der kalifornischen Firma "OpenAI" entwickelt wurde, steckt in der Testphase. Die Nutzung ist derzeit kostenlos. Man muss nur auf www.openai.com ein Konto eröffnen. Perspektivisch wird der Betreiber Gebühren nehmen. Ab wann und wie viel? Offen.

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    Neue künstliche Intelligenz: Was kann das Sprachprogramm?

    Sprachlich und handwerklich kommen die Antworten zu allen nur denkbaren Themen und Fragestellungen wie aus der Pistole geschossen. Auf Wunsch auch in deutscher Sprache. Die Leistungsbilanz ist beeindruckend, aber durchwachsen. So kommt es vor, dass auf komplizierte Fragen oder Aufträge plausibel klingenden Antworten kommen.

    Hingegen spuckt das System auf simple Fragen – ist ein Wanderfalke ein Meeressäugetier? – auch hanebüchenen Unsinn aus. Bei Mathe-Aufgaben und Erdkunde-Themen bestehen offenbar noch größere Wissenslücken. Bei gefühlt jeder dritten Antwort taucht der Hinweis auf, dass ChatGPT keinen Zugang zu Echtzeit-Informationen aus dem Internet hat.

    Das System schöpft aus dem Fundus, den es durch die Daten-"Fütterung" durch Menschen hat. Diese Fütterung mit Milliarden Datensätzen aus Büchereien und öffentlich zugänglichen Quellen aller Art endete im Herbst 2021. Ereignisse und Personen, die danach Schlagzeilen schrieben, kommen nicht vor. ChatGPT wird aber fortlaufend "trainiert". Im ersten Halbjahr 2023 wird die neueste Version GPT-4 erwartet.

    Die Technologie ChatGPT: Was ist das Besondere?

    Das auf schnelle, leicht verdauliche Konversation mit dem Nutzer ausgelegte System macht den Eindruck, als lerne es während der Kommunikation dazu. Wie beim herkömmlichen Text-Chat im Internet kann man mit dem Sprachmodell so kommunizieren, als spräche man zu einem Menschen. ChatGPT betont aber, dass es "nicht in der Lage ist, menschliche Emotionen oder Intentionen zu imitieren oder zu verstehen."

    Gleichwohl beantwortet das Programm anstandslos eingetippte Folgefragen, räumt auch Fehler ein, präzisiert bei wiederholten Anläufen seine Angaben und lehnt Anfragen, die auf Hass, Rassismus oder politischen Extremismus gründen, offensiv ab. Wer ein paar Tage damit gespielt, wird bei der nächsten konventionalen Suche im Netz via Google ein langes Gesicht ziehen.

    Google liefert Links. Dort ist jede(r) auf sich allein gestellt, Informationen zu sichten und zu gewichten. ChatGPT liefert konkrete Antworten. So als säße der Auskunftgeber vor einem. Das erklärt, warum in der Tech-Szene fast durch die Bank von einer epochalen Entwicklung geredet wird. "Die Welt wird nie mehr so sein wie vorher", sagt ein Entwicklungsingenieur von Microsoft.

    Sprachprogramm ChatGPT: Was sagen die Erschaffer?

    Seit Tausende Nutzer Beispiele ihrer individuellen und oft sehr kontroversen und bizarren Experimente mit dem System in sozialen Medien posten, hat Sam Altman etwas kalte Füße bekommen. Der Chef von OpenAI stapelt tief. Das neue Produkt sei "unglaublich limitiert". Aber "gut genug, um in einigen Fällen den irreführenden Eindruck von Großartigkeit zu erzeugen".

    Altman warnt davor, sich bei "wichtigen Angelegenheiten" auf den Sprach-Bot zu verlassen. ChatGOP sei eine "Vorschau auf Fortschritt". Man habe noch viel Arbeit vor sich, wenn es um "Robustheit" und "Wahrhaftigkeit" gehe.

    Künstliche Intelligenz: Was sagen Kritiker?

    Multi-Unternehmer Elon Musk hatte auch 2015 bei OpenAI Finger und Geld im Spiel. Heute distanziert sich der Milliardär und Twitter-Boss. ChatGPT sei zum "Fürchten gut", schreibt er und konstatiert: "Wir sind nicht weit entfernt von einer gefährlich starken Künstlichen Intelligenz."

    Zu den Hardcore-Kritikern zählt der Ökonom und Risiko-Investor Paul Kedrosky. Er vergleicht das öffentliche Zugänglichmachen von ChatGPT, ohne Auflagen und Restriktionen, mit dem Zünden einer "Atombombe im Handtaschenformat" in einer völlig "unvorbereiteten Gesellschaft".

    Technologie ChatGPT: Wie lauten konkrete Befürchtungen?

    US-Bildungs-Experten schwant Böses, wenn nicht mehr auf Anhieb unterscheidbar ist, ob bei Klassenarbeiten in der Schule oder Seminar-Arbeiten an der Universität Menschen gedacht und geschrieben haben. Oder ob Schüler und Studenten den Umweg über die Maschine gegangen sind. Schummelei werde künftig noch viel schwerer nachzuweisen seine sagen die Gewerkschaften.

    Ein anderes Minenfeld sind die Medien. Das Identifizieren von "fake news", von Desinformation, wird schwieriger, wenn echte Artikel von täuschend authentisch wirkenden KI-Produkten nicht mehr unterschieden werden können. Außerdem: Mit Hilfe von ein paar Stichwörtern schreibt das Programm in weniger als 20 Sekunden Analysen und Kommentare, die abgesehen von Kleinigkeiten oft druckreif sind.

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      ChatGPT: Kann diese Künstliche Intelligenz die Berufswelt verändern?

      Ja. Es wird sich die Frage nach dem realen Wert mancher Bildungsabschlüsse stellen, wenn plötzlich technisches Herrschaftswissen etwa im Bereich Software-Code auf Knopfdruck frei verfügbar ist. Berufsfelder, die generell um die Umwandlung von Daten und Information in Text kreisen, stünden vor dem Aus, weil ChatGPT die "human manpower" dahinter ersetzt, sagen US-Experten.

      Marketing-Texte etwa seien unschlagbar schneller und billiger herzustellen mit dem digitalen "Kollegen". Andererseits bietet das System auch neue Teilhabe-Möglichkeiten für jene, die mit dem geschriebenen Wort warum auch immer aufs Kriegsfuß stehen.

      Künstliche Intelligenz: Gibt es Konkurrenz für das Sprachprogramm?

      Meta (Facebook) bastelt an einem Modell namens "Galactica". Das nur auf wissenschaftliche Arbeiten trainierte Programm ist aber offensichtlich noch höchst fehleranfällig. Meta zog "Galactica" vor wenigen Wochen zurück. Nutzer wiesen nach, dass das System überzeugend klingende, aber in der Sache, wie die Fachleute sagen, manchmal "halluzinierte" Texte produziert hatte.

      Deutlich weiter fortgeschritten soll das von Google noch unter Verschluss gehaltene "LaMDA"-System sein. Der Suchmaschinen-Riese wäre perspektivisch wohl überflüssig, wenn ChatGPT an das Echtzeit-Internet angeschlossen würde. Die Antworten des Sprachprogramms würden dann aktueller, detaillierter und noch umfassender.

      Was sagt ChatGPT über sich selbst?

      Das System hält sich auf Anfrage dieser Zeitung für ein "wirklich außergewöhnliches Werkzeug, das die Grenzen dessen, was Maschinen zu leisten imstande sind, erneut verschiebt. Mit seiner Fähigkeit, menschenähnliche Texte zu generieren, ist ChatGPT ein Meisterwerk der künstlichen Intelligenz." ChatGPT könne "einen Roman schreiben, indem es einfach nur den Titel und den Namen der Hauptfigur erhält. Oder es könnte einen wissenschaftlichen Artikel verfassen, indem es lediglich das Thema und ein paar Schlüsselwörter zur Verfügung gestellt bekommt. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt."

      Dass davon nicht alle begeistert sind, räumt das System ohne Umschweife ein. "Kritiker sehen in dem Chatbot eine große Gefahr für die Menschheit. Sie befürchten, dass Maschinen wie ChatGPT irgendwann in der Lage sein könnten, die Kontrolle über die Menschheit zu übernehmen und sie zu unterjochen. Sie warnen auch vor den wahrscheinlichen Folgen für alle schreibenden Berufe, insbesondere für den Journalismus. Wenn Maschinen wie ChatGPT in der Lage sind, Texte mit solch beeindruckender Qualität zu erstellen, werden dann noch Menschen benötigt, um Artikel und Bücher zu verfassen? Antwort: Man müsse sich "darüber im Klaren sein, welche Auswirkungen die Entwicklung solcher Technologien haben kann. Wir sollten uns der möglichen Gefahren bewusst sein und dafür sorgen, dass sie im Interesse der Menschheit eingesetzt werden."