Berlin. Ermittlungen gegen mutmaßliche Zelle zeigen: Nicht nur Neonazis mit Springerstiefel sind gewaltbereit. Eine neue Front formiert sich.

Es ist erst ein paar Tage her, da geriet Deutschlands oberster Verfassungsschützer in die Kritik. Thomas Haldenwang, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sieht keinen Anlass, die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" zu beobachten. Es seien keine Extremisten. Haldenwang schwang nicht ein in den Kanon der Hardliner, die in den radikalen Klimaschützern angeblich eine neue "Klima-RAF" aufkeimen sahen. Vielleicht auch, weil Haldenwang wusste, was am Mittwochmorgen passieren würde. Weil er wusste, wo die eigentliche Bedrohung für unsere Demokratie sitzt. Nicht auf dem Asphalt deutscher Großstädte.

Razzia bei der Elite: Reichsbürger planten gewaltsamen Umsturz

3000 Polizistinnen und Polizisten durchsuchen am Mittwoch 130 Wohnungen, Büros, Lagerräume. Sie nehmen 25 Personen fest. Der Verdacht: Die Gründung einer rechtsterroristischen Zelle. Mit unter den Beschuldigten: ein Adliger, eine AfD-Politikerin und Richterin, mehrere ehemalige und ein aktiver Bundeswehrsoldat. Es ist eine Elite, die in Positionen sind oder waren, die diesen Rechtsstaat stützen und verteidigen sollen.

Redakteur Christian Unger
Redakteur Christian Unger © Reto Klar | Reto Klar

Doch die Gruppe wollte nach Angaben der Ermittler das Gegenteil: den gewaltsamen Umsturz des Rechtsstaats und der Regierung in Berlin. Eine "Übergangsregierung" sollte aufgebaut werden, militante "Heimatschutzkompanien" sollten Widerstand gegen die "Revolution" ausschalten. Politische Morde kalkulierte die Gruppe nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein.

Unterwanderte Institutionen: Rechtsradikale Polizisten, Soldaten und Juristen

Die Razzia ist brisant: Sie zeigt, dass rechter Terror längst nicht mehr im Gewand von glatzköpfigen Springerstiefel-Trägern daherkommt, wie noch der Kern des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds", dem NSU. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung extrem rechter Ideologie lässt sich nicht an sozialen Schichten, an Einkommen und ostdeutscher Herkunft festmachen. In radikalen Szenen verkehren längst auch Menschen mit bürgerlicher Karriere, Juristen, Polizisten, Bundeswehr-Soldaten.

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Selbstverständlich sind nur in einem Teil der Behörden und der Bundeswehr rechtsoffene Einstellungen zu finden. Doch die vielen Ermittlungsverfahren der vergangenen Jahre zeigen: Es sind nicht nur Einzelfälle.

Oft verkannte Gefahr: "Spinnerei" kostete Polizisten das Leben

Die rechtsextreme Szene heute ist vielschichtig, zersplittert. Es gibt Neonazi-Kameradschaften, es gibt Parteien wie die NPD. Doch an Bedeutung gewachsen ist die Ideologie der sogenannten QAnon-Verschwörer und der selbsternannten "Reichsbürger". Sie erkennen die Bundesrepublik als Staat nicht an, schwadronieren von einer "Firma", die Deutschland steuere, wollen die Grenzen des "Deutschen Reiches" zurück.

Das als "Spinnerei" abzutun, ist gefährlich. Die Szene ist vernetzt, viele dort verfügen über Waffenscheine – und auch über Waffen. Es gab schon Tote, 2016 starb ein Polizist bei einem Einsatz bei einem "Reichsbürger" durch dessen Schüsse.

Radikalisiert im Netz: Corona als Kickstarter für Verschwörungsideologien

Die Corona-Pandemie hat die Szene radikalisiert. Und sie hat sich stärker vernetzt, auf der Straße bei den sogenannten "Montagsdemonstrationen", aber auch in Netzwerken wie Telegram.

Bisher ist noch unbekannt, ob die aktuell Festgenommenen der mutmaßlichen Terrorzelle bereits Waffen gehortet hatten. Auch unklar ist, wie konkret die Pläne etwa für einen Angriff auf den Bundestag waren. Und doch ist es richtig, dass die Polizei und der Nachrichtendienst hier wachsam sind, nicht zögern. Sondern hinschauen.

Soldaten und Polizisten waren zuletzt mehrfach unter den Tatverdächtigen. Die Sicherheitsbehörden sind in einer Bringschuld – sie zeigen durch solche Razzien, dass sie nicht blind sind auf dem rechten Auge.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.