Berlin/Teheran. Laut eigenen Angaben löst die iranische Regierung die Sittenpolizei auf. Kritiker reagieren zunächst verhalten auf die Ankündigung.

Ein erster sichtbarer Erfolg der Protestbewegung – oder nur ein Ablenkungsmanöver des iranischen Regimes? Am Wochenende erklärte Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri, dass Irans Sittenpolizei aufgelöst worden sei. Der Schritt kommt mehr als zwei Monate nach Beginn der blutigen Massenproteste, die durch den Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini ausgelöst worden waren. Sie war Mitte September von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie gegen die Kleiderordnung für Frauen verstoßen haben soll.

Irans Sittenpolizei setzte bisher als Sondereinheit der Polizei die islamischen Kleidungsvorschriften durch. Auch wenn es nach der Islamischen Revolution 1979 Gruppen mit ähnlichen Aufgaben gab, wurde die Einheit erst 2005 unter der Präsidentschaft des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad gegründet. Ihre Kleinbusse mit meist vier bis sechs männlichen und weiblichen Beamten waren lange Zeit überall anzutreffen. Vor allem junge Frauen, deren Kopftuch und Outfit den Beamten zufolge nicht den islamischen Regeln entsprachen, wurden aufgefordert, ihr Äußeres zu korrigieren. Laut islamischen Gesetzen müssen Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen.

Iran: Immer mehr Frauen widersetzen sich den Regeln

Immer mehr Frauen, vor allem jüngere, wiesen die Warnungen zurück oder ignorierten sie. Seit dem Sommer eskalierte die Lage: Die Sittenwächter begannen, Frauen und Männer, die sich ihren Anweisungen widersetzten, zu verhaften, um Exempel zu statuieren. Mitte September nahmen die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Jina Mahsa Amini in Haft, weil unter ihrem Kopftuch ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein sollen. Amini starb wenige Tage später Krankenhaus, nachdem sie in Gewahrsam der Sittenpolizei ins Koma gefallen war.

Die 22-Jährige Mahsa Amini starb kurz nach ihrer Festnahme.
Die 22-Jährige Mahsa Amini starb kurz nach ihrer Festnahme. © IMAGO/ZUMA Wire | imago stock

„Die Sittenpolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen“, zitierte die Tageszeitung „Shargh“ Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri am Sonntag. Weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung der Sittenpolizei gab es nicht.

Kritiker zeigten sich von Montaseris Worten nicht beeindruckt. Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. „Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können“, forderte er. Und dies sei „nur der erste Schritt.“

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Iran: Innenminister lehnt Gespräche mit Demonstranten ab

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der selbst im Iran geboren wurde, erklärte, er halte die Auflösung der Sittenpolizei im Iran für ein Ablenkungsmanöver der politischen Führung: „Das Regime steht vor dem Zusammenbruch und versucht, sich mit Ablenkungsmanövern zu retten“, sagte Djir-Sarai dieser Redaktion. „Die Mehrheit der Menschen kennt die Lügen der Führung und lässt sich nicht beirren.“ Sie wollten die Abschaffung der Islamischen Republik. Lesen Sie auch: Schwere Vorwürfe – Iran setzt Vergewaltigung als Waffe ein

Irans Innenminister Ahmad Wahidi teilte am Sonntag mit, man werde einen Ausschuss einsetzen, der die Gründe für die Proteste klären solle - allerdings ohne Beteiligung der Demonstranten. Die Protestierenden hätten keine Vertreter, „außerdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht Demonstranten zu tun“, sagte Wahidi demnach zu den Gründen für den Ausschluss der Protest-Vertreter. Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, „die Wurzeln der Proteste zu erkunden und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen“, hieß es weiter. Kritiker bezeichneten den Vorschlag als „absurd“.

Proteste im Iran: Streiks und weitere Demonstrationen in den kommenden Tagen

Präsident Ebrahim Raisi traf sich Medienberichten zufolge zudem am Sonntag mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel. Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur Isna. Im Vorfeld gab es Spekulationen, es könnte um Forderungen der Demonstranten gehen. Zu diesen gehören unter anderem die Revision der iranischen Verfassung und die Aufhebung des Kopftuchzwangs, aber auch Neuwahlen oder ein Referendum zum Aufbau des politischen Systems des Landes.

Die meisten Beobachter sehen in den Ankündigungen vom Sonntag keine grundlegenden Zugeständnisse an die Demonstranten, sondern kosmetische Maßnahmen, um die kritische Lage im Land zu beruhigen. Ab Montag sind landesweit weitere Demonstrationen – und laut Oppositionskreisen – auch Streiks geplant.

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Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Demonstranten getötet. Auch 60 Sicherheitskräfte sollen demnach ums Leben gekommen sein. Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von 200, ein Kommandeur der Revolutionsgarden von 300 Toten. Außerdem wurden Tausende verhaftet, unter ihnen Studenten, Journalisten, Sportler sowie Künstler. Einige Demonstranten wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. (jule/mit dpa)

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.