Presicce/Rom. Die Stadt Presicce in Italien zahlt neuen Bewohnern 30.000 Euro für einen Umzug nach Apulien. Die Aktion hat einen ernsten Hintergrund.

Das Kolosseum in Rom, der Schiefe Turm von Pisa oder der Markusplatz in Venedig? Schöne Orte, keine Frage, aber wahre Italienkenner wissen andere Gegenden zu schätzen. Etwa das sonnige Apulien, am Absatz des italienischen Stiefels. Dort liegt das malerische Städtchen Presicce.

5000 Einwohner, die weißen Klippen und das türkisblaue Meer der renommierten Badeortschaft Santa Maria di Leuca sind nur ein paar Kilometer entfernt. Die Menschen in Presicce suchen neue Nachbarn – und sind bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen.

Denn seit Jahren kämpft die Gemeinde mit Abwanderung. Viele Einheimische ziehen lieber in die großen Städte oder an die Küste, als auf dem Land zu bleiben. Um den Trend zu stoppen, hat Presicce einen Plan geschmiedet, der über Italien hinaus Interesse weckt: Jeder, der seinen Wohnsitz nach Presicce verlegt und eine der zahlreichen leer stehenden Wohnungen kauft, erhält 30.000 Euro für die Renovierung. Mehr über das Land: Italien: Bei diesem Fehler droht eine hohe Geldstrafe

Italiens Städte stemmen sich gegen den Verfall

Bürgermeister Paolo Rizzo schwärmt: „Wir verfügen über viele leer stehende Häuser im historischen Zentrum, die vor 1991 gebaut wurden und die wir gerne mit neuen Bewohnern wieder beleben würden. Es ist traurig, zusehen zu müssen, wie unsere alten Stadtviertel voller Geschichte, wunderbarer Architektur und Kunst langsam aussterben.“

Enge Gassen, Blumentöpfe vor den Haustüren: Die 5000-Einwohner-Stadt Presicce bietet neben Geld jede Menge italienisches Lebensgefühl.
Enge Gassen, Blumentöpfe vor den Haustüren: Die 5000-Einwohner-Stadt Presicce bietet neben Geld jede Menge italienisches Lebensgefühl. © Imago

Presicce mit seinen romantischen Gassen ist ein besonders schönes Beispiel für die Kreativität, mit der sich italienische Städte und Dörfer gegen den Verfall stemmen. Viele ländliche Gebiete haben mit einem Bevölkerungsrückgang zu kämpfen. Um wieder für mehr Leben zu sorgen, verscherbeln sie leer stehende Immobilien für einen symbolischen Euro als Ferienhäuser an Touristen – wie Cinquefrondi in Kalabrien oder Sambuca di Sicilia auf Sizilien. Lesen Sie hier:Italien bereisen: So bekommen Touristen Zugtickets geschenkt

Presicce geht mit seiner Offerte einen Schritt weiter und verschenkt sogar Geld, damit jemand hinzieht. Wie macht der Ort das?

Presicce investiert viel Geld

Presicce träumt von einer glorreichen Zukunft. In den kommenden Jahren soll der Stadtkern renoviert werden. Die Stadt hat dafür ein Budget von rund einer Million Euro jährlich. Das Geld stammt aus einem Zusammenschluss von Presicce mit der Nachbargemeinde Acquarica im Jahr 2019, wodurch die neue Kommune nun offiziell etwa 9000 Einwohner zählt – ihr stehen damit nach italienischem Recht mehr staatliche Zuschüsse pro Jahr zu. Denn Zusammenschlüsse kleinerer Gemeinden werden stark gefördert.

„Nach dem Zusammenschluss mit Acquarica ist unser jetzt größeres Gebiet mit mehr öffentlichen Mitteln gesegnet. Dies bedeutet über mehrere Jahre hinweg etwa eine Million Euro pro Jahr, die wir in die Wiederbelebung des alten Stadtteils investieren wollen“, erklärt Stadtrat Alfredo Palese.

Welche Häuser zu welchem Preis zum Verkauf ausgeschrieben werden, soll in den kommenden Wochen auf der Internetseite der Stadt veröffentlicht werden. Das Ziel ist klar: Die Gemeinde möchte erreichen, dass der ältere Teil des Städtchens neu belebt wird. Zuvor waren andere Maßnahmen wie Steuervergünstigungen für Unternehmen und Baby-Boni für Familien ins Leben gerufen worden. Auch interessant:Italien: Pizzerien und Restaurants bangen um ihre Existenz

Es müsse etwas geschehen, sagt Bürgermeister Rizzo, die Überalterung der Bevölkerung sei eine zunehmende Herausforderung. „Wenn es keinen Generationswechsel gibt, werden wir zu einer Gemeinde alter Menschen, wie es bereits in anderen Orten Italiens geschehen ist“, so Rizzo.

Er erinnert sich an früher: „In diesem Jahr haben wir in unserer Grundschule nur zwei Klassen für jeden Jahrgang. Zu meiner Zeit waren es vier. Wir können nicht einmal mit der Unterstützung von Einwanderern rechnen, denn die ziehen lieber an die Küste.“

Presicce hofft auf neue Bewohner

Um Geburten zu fördern, hat die Gemeinde 100.000 Euro für die Familienpolitik zur Verfügung gestellt, in der Hoffnung, dass mindestens 100 Babys pro Jahr geboren werden. Den 150 jährlichen Todesfällen standen 2021 nur 50 Geburten gegenüber, der Trend ist seit Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 noch schlechter geworden. „Unser erstes Ziel ist es, das Gleichgewicht zwischen Verstorbenen und Neugeborenen herzustellen“, so Rizzo.

Sinkende Geburten sind in ganz Italien ein Problem. Seit einigen Jahren nimmt die Bevölkerung unaufhaltsam ab, wie das Statistikamt Istat feststellt. In einigen Landstrichen, etwa in der Küstenregion Ligurien, kommen auf jedes Kind unter sechs Jahren statistisch acht Personen über 65 Jahre. So weit soll es in Presicce nicht kommen. „Ohne neue Generationen“, sagt Rizzo, „haben wir keine Zukunft.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.