Berlin. Explosionen erschütterten am Morgen die Stadt Jerusalem. Zwei Bushaltestellen sind getroffen. Mindestens 15 Menschen wurden verletzt.

Fünf Stunden, nachdem an zwei verschiedenen Bushaltestellen in Jerusalem jeweils ein mit Nägeln besetzter Sprengkörper die Luft gegangen war, wartet Mosche Guttman im Zentrum Jerusalems auf Bus Nummer 19, um am Markt Gemüse einzukaufen. Ob er keine Angst habe, jetzt in einen Autobus einzusteigen? “Überhaupt nicht”, sagt der Mittsiebziger.

Mindestens 17 Menschen wurden bei den Attentaten am Morgen verletzt, ein 16-Jähriger sogar so schwer, dass er noch am selben Vormittag verstarb. Weitere Opfer mussten wegen psychischer Beschwerden akut behandelt werden. Die Bilder von Scherben, Blut und Verwüstung rufen traumatische Erfahrungen während der zweiten Intifada vor 20 Jahren wach.

Israel: Terrorermittler wurden überrascht

Moshe Guttman erklärt, warum er keine Angst hat. “Mein Boss passt auf mich auf”, sagt er und zeigt gen Himmel. Wenn es Gottes Wille sei, dass er sterbe, dann solle es eben so sein. Außerdem: “Die Polizei kommt sowieso immer erst, wenn es schon zu spät ist.” Am Mittwoch kam sie tatsächlich zu spät. Während es in den vergangenen Monaten laut Geheimdienst mehrere Dutzend Anschläge gab, die von den Geheimdiensten vereitelt wurden, wurden die Terrorermittler diesmal überrascht. Mitten im dichten Morgenverkehr, an einer Bushaltestelle am Rande Jerusalems, die vor allem von Pendlern stark frequentiert wird, ging gegen sieben Uhr morgens ein Sprengsatz hoch. Rund 30 Minuten später detonierte an einer anderen Haltestelle im Norden Jerusalems eine zweite Bombe, ebenfalls an einer üblicherweise stark besuchten Busstation. Die Sprengkörper waren mit Nägeln versetzt.

Israelische Polizisten der Spurensicherung ermitteln am Ort einer Explosion an einer Bushaltestelle.
Israelische Polizisten der Spurensicherung ermitteln am Ort einer Explosion an einer Bushaltestelle. © Ohad Zwigenberg/HAARETZ/AP/dpa

“Das ist ein sehr schwerwiegender Vorfall”, sagt Polizeiminister Omer Bar Lev. Zwar ist es nicht der erste Terroranschlag in jüngster Zeit. Seit Jahresbeginn kamen 29 Israelis bei Attentaten ums Leben. Doch diesmal waren es keine Schuss- oder Messerattacken, die wenig Planungsaufwand erfordern. Bei dem Attentaten am Mittwoch kamen ferngezündete Sprengsätze zum Einsatz, die unter dem Radar der Geheimdienste bei den Haltestellen platziert wurden. Vieles deutet darauf hin, dass es nun nicht einzelne junge Radikale waren, sondern dass ein größeres Terrornetzwerk dahintersteckt – also Hamas oder Islamischer Dschihad.

Beide Terrorgruppen bekannten sich zwar nicht zu den Anschlägen, sendeten aber wenige Stunden nach den Attentaten Jubelmeldungen aus. “Die kommenden Tage werden für den Feind intensiv und schwierig werden”, erklärte ein Sprecher der Hamas. Die Zeit sei reif, um “konfrontationsbereite Zellen in ganz Palästina” zu gründen. Israels Polizeichef Kobi Shabtai ruft indes die Bevölkerung auf, besonders wachsam zu sein: “Wenn Sie irgendwo einen verdächtigen Gegenstand sehen – zögern Sie nicht, rufen Sie sofort die Polizei.”

Terror in Israel: Kommt es jetzt vermehrt zu Anschlägen?

Während in Israel nun Polizei und Geheimdienste nach den Tätern und Drahtziehern fahnden, fragen sich viele, ob man sich in den nächsten Wochen oder Monaten auf weitere schwere Anschläge einstellen müsse. Michael Milstein, Experte für Sicherheitsstudien an der Reichman University, hält das für möglich. Er sieht vor allem in der jungen Generation in Dschenin und Nablus viel aufgestauten Zorn – nicht nur über die israelische Besatzung, sondern auch der Palästinenserbehörde gegenüber. Terrorgruppen wie Hamas nutzten diese Gefühlslage für eigene Zwecke. Statt Raketen aus dem Gazastreifen Richtung Israel zu schießen, schicken sie junge Männer aus Dschenin vor.

Auf eine neue Stufe der Eskalation deutet auch ein schwerer Vorfall in der Nacht auf Mittwoch im Westjordanland hin: Ein 18-jähriger Israeli drusischer Abstammung wurde von palästinensischen Terroristen aus einem Krankenhaus in Dschenin entführt. Laut seinem Vater befand sich der Teenager auf der Intensivstation, als eine Gruppe schwer bewaffneter Militanter ins Krankenhaus eindrang, den Schwerverletzten von der Beatmungsmaschine rissen und entführten.

Die Eskalation kommt in einem politisch heiklen Moment: Die aktuelle Regierung steht kurz vor ihrem Ende, die neue liegt im Endspurt der Koalitionsbildung. Die daran beteiligte rechtsextreme Partei “Jüdische Selbstbestimmung” unter Itamar Ben Gvir ließ am Mittwoch verlauten, wie sie den Terror zu bekämpfen gedenkt: Durch gezielte Tötungen, Abriegelung von Städten und ein Aushungern der Palästinenserbehörde. Laut Milstein genau der falsche Weg: “Wenn das passiert, dann droht ein neuer Anstieg der Gewalt.”

Bei zwei Explosionen an Bushaltestellen im Großraum Jerusalem sind mehrere Menschen verletzt worden.
Bei zwei Explosionen an Bushaltestellen im Großraum Jerusalem sind mehrere Menschen verletzt worden. © Maya Alleruzzo/AP/dpa

Israel: Explosionen an Bushaltestellen in Jerusalem

Doch auch bei denen, die körperlich unversehrt sind, sitzt der Schock tief. “Ich habe einfach nur auf den Bus gewartet, so wie jeden Morgen”, sagt Yael, eine Schülerin, die die zweite Detonation aus nächster Nähe miterlebte, im israelischen TV. “Plötzlich war da ein lauter Krach, überall Rauch, und dann Erwachsene und Kinder, die so schnell rannten wie sie konnten”.

Die Polizei geht davon aus, dass die Bomben aus der Ferne mittels Mobiltelefonen gezündet wurden. Die Sprengkörper sollen mit Nägeln aufgerüstet worden sein, um stärkere Verletzungen zu verursachen.

Die Täter waren Mittwochvormittag noch unbekannt, die Polizei geht aber davon aus, dass man über Überwachungskameras bald auf ihre Identität werde schließen können. Unklar ist, ob die beiden Attentate von ein und derselben Tätergruppe geplant und ausgeführt worden waren.

Israel: Jüngste Attacken vor allem mit Schusswaffen

“Wir haben so etwas schon lange nicht mehr gesehen”, sagte Polizeichef Kobi Shabtai am Mittwoch vor Journalisten. Zwar gab es schon in den vergangenen Monaten mehrere schwere Anschläge, bei denen insgesamt 29 Israelis zu Tode kamen. Es handelte sich aber zumeist um Schussattacken. Bei den aktuellen Anschlägen dürfte ein größerer Aufwand an Planung und Vorbereitung dahinterstecken.

Bislang hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt. Die Terrorgruppe Hamas jubelte aber über die Bluttaten. “Die kommenden Tage werden für den Feind intensiv und schwierig werden”, behauptete ein Sprecher der Hamas. Die Zeit sei reif, um “konfrontationsbereite Zellen in ganz Palästina” zu gründen.

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Bereits in der Nacht auf Mittwoch hatte ein schwerer Vorfall im von Israel besetzten Westjordanland für Aufsehen gesorgt. Ein 17-jähriger Israeli drusischer Abstammung wurde von palästinensischen Terroristen aus einem Krankenhaus in Dschenin entführt. Laut seinem Vater befand sich der Teenager auf der Intensivstation, als eine Gruppe schwer bewaffneter Militanter ins Krankenhaus eindrang, den Schwerverletzten von der Beatmungsmaschine rissen und entführten. Laut ersten Berichten war der Israeli zum Tatzeitpunkt bereits tot gewesen. Sein Vater, der die Entführung mit ansehen musste, sagte aber gegenüber israelischen Medien, dass sein Sohn noch Puls hatte.

Polizei, Geheimdienste und Militär suchen nun auf Hochdruck nach den verdächtigen Terroristen. “Ob tot oder lebendig, wir werden sie finden”, sagte Polizeipräsident Omer Bar-Lev.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.