Berlin. Der erste LNG-Anleger in Deutschland ist fertig, weitere sollen folgen. Was das für die Versorgung in den nächsten Wintern bedeutet.

Die Zukunft der deutschen Energieversorgung kommt einigermaßen schmucklos daher. Lang und schwer liegt der neue Anlieger für LNG-Schiffe im Wasser der Nordsee vor Wilhelmshaven, eineinhalb Kilometer grauer Beton, die vom Deich wegführen. Hier soll bald die erste Ladung Flüssiggas in Deutschland ankommen, und die Bundesrepublik einen Schritt weiter kommen in Richtung einer sicheren Energieversorgung.

Rund 200 Tage nach dem ersten Rammschlag für das Projekt ist es der erste deutsche Anleger für Flüssiggas, der fertiggestellt ist. Am Dienstag wurde das Projekt offiziell eingeweiht, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einem „zentralen Baustein“ für die Sicherung der Energieversorgung im kommenden Winter.

Das Beispiel Wilhelmshaven zeige, dass Deutschland schnell sein und mit hoher Entschlossenheit Infrastrukturprojekte voranbringen könne, wenn Bund und Länder und die Projektbeteiligten an einem Strang zögen, sagte Habeck.

Ukraine-Krieg: Der Gasfluss aus Russland ist versiegt

Noch fließt in Wilhelmshaven kein Gas – die Pipeline, die den Anleger mit dem Gasnetz verknüpft, ist noch nicht ganz fertig, und eine schwimmende Regasifizierungsanlage, die angeliefertes LNG wieder in den gasförmigen Zustand bringt, ist auch noch nicht vor Ort. Doch lange es soll es nicht mehr dauern – die „Höegh Esperanza“ soll bald anlegen, schon Mitte Dezember soll es losgehen.

Die Zeit drängt: Jahrelang bekam Deutschland sein Gas vor allem bequem per Pipeline aus Russland. Doch damit ist seit September Schluss, der Gasfluss aus Russland ist versiegt. Als wichtigster Lieferant hat längst Norwegen Russland abgelöst, gefolgt von den Niederlanden und Belgien. In Summe kommt allerdings ohne die russischen Importe deutlich weniger Gas in Deutschland.

Derzeit ist das noch kein Problem: Die warmen Temperaturen im Oktober und November sowie die Einsparbemühungen von Privatleuten und Industrie haben dafür gesorgt, dass der Gasverbrauch in diesem Herbst bislang deutlich unter dem des Vorjahres liegt, die deutschen Gasspeicher sind voll. 100 Prozent Füllstand verkündete die Bundesnetzagentur am Dienstag.

So gut versorgt sind Deutschland und Europa derzeit mit Gas, dass vor den Küsten des Kontinents LNG-Tanker darauf warten, bis die Preise wieder steigen, um ihre Ladung loszuwerden.

Gute Vorzeichen für die kommenden Monate, sagt Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas. „Ist die Witterung warm, die Einsparungen von Industrie und Haushalten bei 20 Prozent und die Liefermengen auf dem Niveau der letzten Wochen, dann sollten wir mit vernünftigen Füllständen aus dem Winter 22/23 kommen“, sagt er.

Das schaffe dann auch eine Grundlage für die Situation im Winter darauf. Denn in diesem Sommer seien die Speicher noch zu einem guten Teil mit russischem Gas gefüllt worden. Noch könne das nicht vollständig über LNG-Terminals ersetzt werden.

Insgesamt zehn LNG-Terminals sollen in den kommenden Jahren entstehen

Mit fieberhafter Eile arbeiten Bundesregierung und Energieversorger daran, dass sich das schnell ändert. Auf den jetzt fertig gestellten Anleger sollen weitere folgen: In Wilhelmshaven will Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) ein zweites schwimmendes Terminal ansiedeln, das Ende 2023 anlaufen soll, in Brunsbüttel entsteht ebenfalls eine Anlage auf dem Wasser, die noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen soll.

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Dazu kommen weitere schwimmende, aber auch feste LNG-Terminals, die geplant sind. Laut Zukunft Gas gibt es derzeit Pläne für sieben schwimmende Terminals, fünf davon staatlich, und drei weitere feste, die zwischen Dezember 2022 und 2026 fertig sein sollen.

Allein die schwimmenden Einheiten, sagt Kehler, sollen bis Ende des nächsten Jahres eine Kapazität von 39 Milliarden Kubikmeter Gas liefern können. Die fest installierten Projekte, die zwischen 2025 und 2026 dazu kommen, würden demnach noch einmal 37 Milliarden Kubikmeter drauflegen. Zum Vergleich: Über die Röhren von Nord Stream 1 kamen 2021 59,1 Milliarden Kubikmeter Gas in Deutschland an.

Es sind Zahlen, die Umweltverbände beunruhigen. Denn während Deutschland kurzfristig viel Gas ersetzen muss, muss der Verbrauch mittelfristig deutlich sinken, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.

„Es gibt ohne Zweifel eine Gasmangellage“, sagt Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe. „Insofern ist es gut, dass man in hohem Tempo durch eine beeindruckende planerische Leistung diesen Anleger fertig gestellt hat.“ Doch man müsse darauf achte, dass die große Zahl der jetzt entstehenden LNG-Projekte nicht mittel- und langfristig die deutschen Klimaziele gefährde.

Die Deutsche Umwelthilfe hat Klage eingereicht

Die Umweltorganisation blickt deshalb mit Sorge auf die zahlreichen weiteren Pläne für Terminals in Deutschland. Noch sei nicht klar, wie viele es am Ende würden, sagt Müller-Kraenner. „Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass es Überkapazitäten geben wird.“

Um die Klimaziele zu erfüllen, müsse Deutschland in den kommenden Jahren seinen Gasverbrauch aber deutlich senken. Die DUH fordert deshalb eine Gesamtplanung für den Gasbedarf und eine Antwort auf die Frage, wie viel Gas denn überhaupt gebraucht werde. „Das gibt es nicht, und das ist ein Problem“, sagt Müller-Kraenner.

Die Umwelthilfe hat deshalb eine Klage eingereicht, mit dem Ziel, die Lieferungen zeitlich zu begrenzen. Geht es nach der Organisation, soll in zehn Jahren schon wieder Schluss sein mit dem Import von Flüssiggas.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.