Berlin. Vor hundert Jahren wurde das Grab von Tutanchamun entdeckt. Der Ägyptologe Zahi Hawass im Gespräch über das Neueste zum Sensationsfund.

Der britische Archäologe Howard Carter war zu seiner Zeit ein Weltstar. Zeitungen rund um den Globus berichteten über ihn auf den Titelseiten, nachdem er mit seinem Finanzier und Landsmann Lord Carnarvon vor hundert Jahren im Tal der Könige in Ägypten das Grab des Pharaos Tutanchamun (1332 bis 1323 v. Chr.) gefunden hatte.

Forscher wussten bis dahin zwar schon länger, dass es einen altägyptischen Herrscher mit dem Namen Tutanchamun gegeben hatte. Aber ein solches Grab war zuvor noch nicht entdeckt worden: seit mehr als 3200 Jahren nahezu unberührt, bis unter die Decke vollgestopft mit unschätzbar wertvollen Beigaben.

Und mittendrin fanden Carter und Lord Carnarvon die intakte Mumie des Pharaos, die in einer aufwendigen Konstruktion aus mehreren, ineinander liegenden Sarkophagen – einer davon aus purem Gold – gelegt worden war. Über dem Kopf trug er die ikonenhafte Totenmaske, ebenfalls aus Gold gefertigt, die das Gesicht des Pharao zeigt. Lesen Sie auch: Tutanchamuns neues Zuhause – ein Palast aus Glas und Beton

Howard Carter (l.) und Lord Carnarvon beim Öffnen der Vorkammer von Tutanchamuns Grab im Tal der Könige, Ägypten. Den Zugang zur Grabstätte entdeckten sie am 4. November 1922. Dahinter folgte ein langer Korridor, der mit Geröll zugeschüttet war und der auf eine Mauer zuführte. Diese Mauer, deren Reste das Foto zeigt und hinter der sich die insgesamt vier Kammern des Grabkomplexes befanden, durchstießen sie am 26. November – der Tag, an dem das Foto entstand.
Howard Carter (l.) und Lord Carnarvon beim Öffnen der Vorkammer von Tutanchamuns Grab im Tal der Könige, Ägypten. Den Zugang zur Grabstätte entdeckten sie am 4. November 1922. Dahinter folgte ein langer Korridor, der mit Geröll zugeschüttet war und der auf eine Mauer zuführte. Diese Mauer, deren Reste das Foto zeigt und hinter der sich die insgesamt vier Kammern des Grabkomplexes befanden, durchstießen sie am 26. November – der Tag, an dem das Foto entstand. © Getty Images | GraphicaArtis

Luxor: Große Feierlichkeiten und ein Kongress

Der Fund am 4. November 1922 war ein Medienereignis. Nun jährt er sich zum 100. Mal. In Luxor am östlichen Nilufer in Südägypten – unweit des Tals der Könige – sind große Feierlichkeiten geplant. Und in einem der Hotels der Stadt veranstaltet das American Research Center in Egypt (Amerikanisches Forschungszentrum in Ägypten) einen Wissenschaftskongress, der sich allein mit Tutanchamun beschäftigt. Zu dem dreitätigen Treffen kommen Ägyptologen und Archäologen aus aller Welt.

Für die Teilnehmer ist der Kongress eine Art Pilgerreise zu den Ursprüngen ihrer Wissenschaft, die besten und anerkanntesten ihrer Zunft kommen zusammen und diskutieren über die neuesten Funde und Theorien.

Zahi Hawass – in der Tradition von Howard Carter

Den Eröffnungsvortrag hält der ägyptische Archäologe Zahi Hawass über Tutanchamuns Familie, den Tod des Pharaos und die Region des Fundorts. Der 75-Jährige ist einer der prominentesten Vertreter seines Faches weltweit und unter anderem Experte für Tutanchamun. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt Hawass, er sehe sich in der Tradition von Howard Carter, denn er setze dessen Arbeit im Tal der Könige fort. „Ich bin der einzige Archäologe, der seit 2007 kontinuierlich im Tal der Könige ausgräbt“, sagt er.

Hawass ist ein einflussreicher Wissenschaftler. In den 2000er-Jahren war er Generaldirektor der ägyptischen Antikenbehörde. Während der Revolution in Ägypten 2011 wurde er unter dem damaligen Machthaber Husni Mubarak wenige Tage vor dessen Rücktritt Minister für Altertümer. Dieses Amt hatte er nur wenige Monate inne.

Emmy-Award: Zahlreiche Filme und TV-Dokumentationen

Aber die Nähe zu Mubarak wurde Hawass in Ägypten noch vorgeworfen, als er sich schon längst wieder in die Forschung zurückgezogen hatte. In Deutschland wurde er durch die Debatte um die Nofretete-Büste im Ägyptischen Museum in Berlin vor gut 15 Jahren bekannt. Als einer der Wortführer forderte er – erfolglos – deren Rückführung nach Ägypten. Nach wie vor hält er an seiner Forderung fest.

Berühmt ist Hawass aber vor allem durch zahlreiche Filme und TV-Dokumentationen – unter anderem für National Geographic, Discovery Channel, CBS und die ZDF-Reihe Terra X. Hawass ist ein Medienprofi. Von der amerikanischen „Academy of Television Arts and Sciences“ wurde er für eine seiner Dokumentationen mit einen Emmy-Award ausgezeichnet, dem bedeutendsten Fernsehpreis der USA.

Der Ägyptologe Zahi Hawass in der „Verlorenen Goldenen Stadt“ in der Nähe von Luxor am Nil: „Es ist die größte Stadt des alten Ägyptens, die wir jemals entdeckt haben.“
Der Ägyptologe Zahi Hawass in der „Verlorenen Goldenen Stadt“ in der Nähe von Luxor am Nil: „Es ist die größte Stadt des alten Ägyptens, die wir jemals entdeckt haben.“ © EPA-EFE | Khaled Elfiqi

Über die Zusammenarbeit mit den TV-Anstalten finanziert er die meisten seiner wissenschaftlichen Unternehmungen. Manche Forscherkollegen kritisieren diese Kooperationen als populärwissenschaftlich und sensationsheischend. Die Ergebnisse der Grabungen würden oftmals ungenau wiedergegeben. Im Gespräch mit unserer Redaktion bestreitet er das, vor allem hätte er sonst gar kein Budget für viele seiner archäologischen Arbeiten, sagt Hawass. Aus dem Archiv: Liegt Nofretete neben Tutanchamun?

Tutanchamun im Alter von 12 bis 18 Jahren gestorben

Zum Beispiel habe er Tutanchamuns Mumie scannen lassen, um herauszufinden, woran der Pharao im jungen Alter von 12 bis 18 Jahren gestorben war. Eine solche Untersuchung sei teuer, sagt Hawass. Aber er konnte einen Beitrag dazu leisten, eine der vielen verschiedenen Theorien zum Tod des Pharaos zu untermauern.

Hawass tendiert zu einer der gängigsten: „Zwei Tage vor seinem Tod hatte sich Tutanchamun das linke Bein gebrochen“, sagt er. Offenbar habe sich der Pharao über die Verletzung eine Infektion zugezogen, daran sei er wohl gestorben. Das werde zurzeit anhand von DNS-Proben untersucht.

Wenn sich die Infektion bestätigt, dann sei die Theorie, dass Tutanchamun mit seinem Streitwagen einen Unfall hatte und sich dabei verletzte, die beste, so Hawass. Ob der Pharao sich aber die Verletzung in einer Schlacht zugezogen hat oder bei einem normalen Ausritt, zwei wesentliche und bisher unbeantwortete Fragen der Theorie, sei weiterhin nicht geklärt.

Ägypten: Immer wieder spektakuläre Funde

Darüber hinaus habe er die DNS des Pharaos analysiert, sagt Hawass, um dessen Verwandtschaftsverhältnisse zu entschlüsseln – Echnaton ist der Vater, aber dessen Frau Nofretete nicht seine Mutter. „Tutanchamuns Mutter hat bislang keinen Namen“, so der Archäologe. Aber sie war wohl eine Tochter von Amenophis III. Also Echnatons Vater, Tutanchamuns Großvater.

„Echnaton heiratete seine eigene Schwester.“ Tutanchamuns Mutter war damit nicht Echnatons Hauptfrau, Nofretete, sondern eine seiner Zweitfrauen.

Aber vor allem bei seinen Ausgrabungen macht Hawass immer wieder spektakuläre Funde. Zuletzt entdeckte er unweit der Fundstelle des Grabes von Tutanchamun eine ganze Stadt, die seit rund drei Jahrtausenden unter dem Sand der Wüste versteckt lag. „Eigentlich habe ich nach dem Totentempel Tutanchamuns gesucht“, sagt Hawass. Aber dann sei er erst auf ein Haus gestoßen, dann auf das nächste und das nächste – es seien immer mehr geworden. Auch interessant: Legendäre Himmelsscheibe von Nebra jünger als gedacht?

Goldene Stadt: „Als sei sie gestern erst verlassen worden“

„Wir nehmen an, dass bis zu 3000 Menschen in der Stadt lebten“, sagt Hawass. „Es ist die größte Stadt des alten Ägyptens, die wir jemals entdeckt haben.“ Sie habe an einem See gelegen, der heute ausgetrocknet sei. Hawass nannte sie Siedlung die „Verlorene Goldene Stadt“ – nicht, weil er so viele Schätze in ihr gefunden hatte, sondern weil die Stadt so wertvoll für die Erkenntnisse der Wissenschaftler sei.

Die goldene Totenmaske des Pharaos Tutanchamun (1332 bis 1323 v. Chr.) ausgestellt im Ägyptischen Museum am Tahir-Platz in Kairo. Sie zeigt das Antlitz des Königs.
Die goldene Totenmaske des Pharaos Tutanchamun (1332 bis 1323 v. Chr.) ausgestellt im Ägyptischen Museum am Tahir-Platz in Kairo. Sie zeigt das Antlitz des Königs. © AFP/Getty Images | Getty Images

„Wir haben die Stadt vorgefunden, als sei sie gestern erst verlassen worden“, sagt Hawass. In ihr gab es alles, was zu einem altägyptischen Alltagsleben gehört: Siedlungen, Werkstätten, Verwaltungsgebäude, Bereiche des öffentlichen Lebens. Vor allem für mögliche neue Erkenntnisse zur Geschichte Tutanchamuns sei die Goldene Stadt wichtig. „Denn die meisten Artefakte, die in Tutanchamuns Grab gefunden wurden, waren in den königlichen Werkstätten der Stadt gefertigt worden.“

Wichtigste Entdeckung seit dem Grab von Tutanchamun

Hawass grub Werkstätten aus, in denen Schmuck, Sandalen und Kleidung produziert worden waren. Er fand Gussformen, mit denen Spezialisten Amulette fertigten. In anderen Häusern stellten Handwerker Statuen her, in wieder anderen fertigten sie Ziegelsteine für die Bauprojekte der Könige in der Umgebung. Auf einen der Steine war der Name Amenophis III. geritzt worden, der Großvater Tutanchamuns und Gründer der Stadt. „Es ist ein fantastischer Fund“, sagt Hawass. „Die Stadt ist die wichtigste Entdeckung seit der Entdeckung des Grabes von Tutanchamun.“

Unter Tutanchamuns Vater Echnaton brach die Besiedlung ab. Er zog mit all seinen Untergebenen in seine neu gegründete Stadt im heutigen Amarna, wo die Nofretete-Büste gefertigt worden war. Unter Echnatons Nachfolger Semachkare – beziehungsweise Nachfolgerin Semachkare, von der Hawass annimmt, es handele sich um Nofretete, die unter anderem Namen regierte – zogen alle wieder zurück in die Goldene Stadt.

„Wir haben den Namen Semachkare in der Goldenen Stadt gefunden. In einer Inschrift dort heißt es, dass er oder sie eine Feier für den Gott Set ausgerichtet hätten. Das ist einmalig“, sagt Hawass. Denn das sei der Beweis dafür, dass die Stadt nach Echnaton wieder besiedelt wurde. Und damit sei auch klar, dass Tutanchamun über die Stadt herrschte – was zumindest eines der vielen Rätsel um den Pharao aufklärt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de