Berlin. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fordert bei seinem Besuch in Kiew Empathie und Unterstützung für die Ukraine. Warum erst jetzt?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich mit seinem Ukraine-Besuch lange Zeit gelassen. Die Visite an diesem Dienstag ist überfällig. Steinmeier hat in Kiew zwar die richtigen Worte gefunden. Seine Botschaft der rückhaltlosen Unterstützung für das brutal angegriffene Land, sein Aufruf zur Empathie mit der geschundenen Bevölkerung waren kraftvoll und wichtig.

Dennoch stellt sich die Frage: Warum erst jetzt? Alles, was in der internationalen Politik Rang und Namen hat, hatte sich bereits in Kiew sehen lassen. Selbst der für seine Polit-Kapriolen berüchtigte britische Ex-Premier Boris Johnson hatte den Sinn für das richtige Timing und reiste mehrmals in die Ukraine. In Zeiten des Krieges – zumal eines barbarischen Angriffskrieges – zählen nicht nur Worte.

Besuch in Kiew: Steinmeier räumt Irrtümer in Russland-Politik ein

Es geht auch um öffentlich bekundete Unterstützung. Bilder der Anteilnahme und des Schulterschlusses geben den Ukrainerinnen und Ukrainern das Gefühl: Wir sind nicht allein. Es ist ein wichtiges Moment der politischen Psychologie. Die Spitzenpolitiker in Polen und im Baltikum, die den russischen Aggressionskurs hautnah zu spüren bekommen, haben dies viel früher erkannt.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent,
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent, © Reto Klar | Reto Klar

Steinmeier, der lange Zeit als großer Russland-Versteher gegolten hatte, hat zwar inzwischen Fehler eingeräumt. Mit Blick auf seine über Jahre hinweg verfolgte moskaufreundliche Linie sagte er Anfang April: „Da habe ich habe mich, wie andere auch, geirrt." Ein Eingeständnis, das er im selben Atemzug mit Blick auf die Irrtümer anderer – zum Beispiel Ex-Kanzlerin Angela Merkel – relativierte. Ein Voll-Eingeständnis wäre glaubhafter gewesen.

Steinmeier von Ukraine-Besuch im April ausgeladen

Als er Mitte April von Kiew bei einem mit polnischen und baltischen Amtskollegen geplanten Besuch ausgeladen wurde, reagierte Steinmeier ungewohnt dünnhäutig. Es war die Zeit, als die Ukraine angesichts des russischen Vormarsches verzweifelt um schwere Waffen aus Deutschland gebeten hatte. Das Signal der Bundesregierung hierfür kam Ende April, die Lieferungen setzten aber erst mit großer Verzögerung ein. Steinmeier nahm die Kritik aus Kiew zu persönlich. Er achtete zu sehr auf die eigene Befindlichkeit.

Nach Scholz' AKW-Machtwort: So angeschlagen ist die AmpelDer Bundespräsident scheint nun aus seinen Versäumnissen gelernt zu haben. Seine am Dienstag geäußerte überschwängliche Sympathie und Hilfe für die Ukraine ist wohl auch vom Bemühen getragen, den Eindruck der Vergangenheit zu korrigieren. Aber das Signal kommt sehr spät.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.