Berlin. Am 6. Dezember 2021 wurde Karl Lauterbach zum neuen Gesundheitsminister ernannt. Wie Corona und die Lanz-Auftritte seine Karriere befeuerten.

Die Stimmung, die am 6. Dezember 2021 in der Redaktion von Markus Lanz in Hamburg herrschte, lässt sich mit drei Worten beschreiben, die passende, selbst gemachte Zeitungstitelseite dazu hängt bei Markus Heidemanns im Büro. Die Schlagzeile lautet: "Wir sind Gesundheitsminister." Natürlich war es der damals noch designierte Bundeskanzler Olaf Scholz, der Karl Lauterbach an diesem Tag als Nachfolger von Jens Spahn vorstellte, aber bei Markus Lanz hatten sie das (berechtigte) Gefühl, daran nicht unbeteiligt gewesen zu sein.

Indirekt hatte Scholz das auch zugegeben, als er in Berlin seine Ministerinnen und Minister präsentierte und mittendrin der "Lanz"-Dauergast war: "Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben sich gewünscht, dass der nächste Gesundheitsminister vom Fach ist, dass er das wirklich gut kann und dass er Karl Lauterbach heißt. Er wird es."

Lanz und Lauterbach: Gemeinsam an die Spitze

Dass es so weit gekommen ist, dass der Mann, dem in der SPD kaum jemand zutraute, ein Regierungsamt zu übernehmen, dieses ausgerechnet von Olaf Scholz anvertraut bekam, widerlegte all jene, die behaupteten, politische Talkshows hätten keine Macht. "Karl Lauterbach wäre ohne seine Talkshow-Auftritte niemals Gesundheitsminister geworden", sagt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "Zeit".

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, wie Lauterbach Mitglied der SPD und Vertrauter von Olaf Scholz, findet: "Für ihn waren die Auftritte in Talkshows eine ideale Möglichkeit, auf die Diskussion und die Entscheidungen in der Corona-Pandemie Einfluss zu nehmen und ein Stück weit auch Werbung für sich zu machen. Das hat zu einer Bekanntheit geführt, dass er aus sehr guten Gründen für dieses Amt vorgeschlagen wurde."

Für diese Bekanntheit war Markus Lanz sehr stark verantwortlich, in Zahlen: 2020 war Karl Lauterbach in 31 politischen Talkshows zu Gast, 14-mal bei Maybrit Illner, Anne Will, Sandra Maischberger oder Frank Plasberg, 17-mal bei Markus Lanz. 2021 absolvierte er elf von 40 Auftritten in Hamburg. "Ich hätte Karl Lauterbach am liebsten jede Woche in der Sendung gehabt", sagt Lanz, der Aufstieg des einen ist ohne den Aufstieg des anderen nicht zu erklären.

Lanz: Auf Tuchfühlung mit dem politischen Geschehen

Wie sehr die Verbundenheit zwischen den beiden Außenseitern – der eine war es lange in der SPD, der andere im deutschen Fernsehen und der Medienwelt – sogar im politischen Berlin wahrgenommen wurde, zeigte ein Besuch des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil in der Sendung, wenige Tage bevor Olaf Scholz seine Ministerinnen und Minister vorstellen sollte. Es ging mal wieder um Corona und die neuen Maßnahmen dagegen, das war im Winter 2021 nach wie vor das Thema, das die Deutschen am meisten bewegte. Lanz war zu diesem Zeitpunkt etwas anderes noch wichtiger.

Der Ehrgeiz, als Erster vermelden zu können, wer Gesundheitsminister in der Ampelregierung wird, und die Hoffnung, dass es vielleicht tatsächlich "sein" Karl Lauterbach werden könnte, waren dem Moderator seit mehreren Sendungen anzumerken.

Im Gespräch mit Lars Klingbeil tat Lanz auf einmal so, als hätte er sichere Informationen, dass Andrea Nahles, die ehemalige Parteivorsitzende und langjährige Weggefährtin von Olaf Scholz, Gesundheitsministerin werden könnte. Ein Gerücht, dass sich am Ende als falsch entpuppte und das Klingbeil nur ein Lächeln entlockte.

Lanz hakte nach: "Wird denn Karl Lauterbach jetzt Gesundheitsminister?"

Klingbeil: "Das war der eigentliche Kern der Frage."

Lanz: "Das ist ein Teil der Frage, natürlich."

Klingbeil: "Herr Lanz, Karl Lauterbach würde ja nichts ohne Sie machen. Das ist mittlerweile eine solche Verbindung, Sie müssten ja mitkommen dann. Was würden Sie denn hier in der Sendung machen ohne ihn?"

Lanz lachte, sagte "nein, nein, nein", aber man merkte, dass ihm diese Bemerkung schmeichelte, es schmeichelt ihm sowieso, dass er zu wichtigen Politikerinnen und Politikern ein enges Verhältnis hat. Er freut sich, wenn sie ihn anrufen, er kokettiert in Gesprächen damit, dass das für einen "einfachen Jungen aus den Bergen" etwas Besonderes sei.

Lauterbach und Lanz: Pandemie als Wendepunkt

Markus Lanz hat früh erkannt, wie wichtig Karl Lauterbach für seine Sendung werden könnte, er hat ihn schätzen gelernt, weil er sich wie er tief in Details eingearbeitet hat, weil er die vielen Fragen, die sich zu Corona stellten, so beantworten konnte, dass die meisten es verstanden. Über Lauterbach ist einmal gesagt worden, dass seine "Eitelkeit inhaltlicher Natur" sei, das gilt auch für Lanz. Der Politiker musste lange mitansehen, dass andere regierten, während er nur im Fernsehen auftreten konnte, der Moderator litt darunter, dass man seine Gespräche nicht so wahrnahm wie die von Anne Will.

Corona war für beide die Gelegenheit, daran etwas zu ändern, und sie haben sie genutzt. Seine Sendung sei mit dem Virus eng verbunden, hat Lanz einmal gesagt und das ist untertrieben. Die Pandemie rückte all das in den Vordergrund, was Markus Lanz ausmacht, sein Interesse an existenziellen Fragen, die Stärken seiner Redaktion bei Recherchen und Vorbereitungen der Sendungen, dazu der Zwang, auf Publikum zu verzichten. Das waren die Zutaten, die dazu führten, dass Markus Lanz den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Information" erhielt und von der Kritik auf einmal gefeiert wurde.

Lanz bietet Lauterbach Plattform für "aufklärerische Arbeit"

Karl Lauterbach war auf dem Weg dorthin der entscheidende Gast und er war es gern. "Ich hatte Zeit, die Dinge zu erklären, es konnten Abbildungen aus Studien gezeigt werden, man konnte Dinge illustrieren", sagt der Gesundheitsminister. "Markus Lanz hat sich intensiv mit der Pandemie beschäftigt, er war immer sehr gut vorbereitet, sodass die Möglichkeit bestand, nicht nur vorzutragen, sondern im kritischen Gespräch eine aufklärerische Arbeit zu leisten. So hat er seine Arbeit verstanden. Er hatte damals den Willen, von Woche zu Woche so viel über die Pandemie zu verstehen wie möglich und so darüber zu sprechen, dass der Zuschauer mitdenken konnte. Das war ein Lagerfeuer, an dem über Corona gesprochen wurde."

Dabei blieb es nicht. Wenn die Aufzeichnungen beendet waren, diskutierten Lanz und Lauterbach weiter, teilweise stundenlang. "Ich bin quasi immer mit in die Garderobe gegangen", sagt der Wissenschaftler. Man tauschte Handynummern aus, verabredete sich zum Essen, sprach zwischen den Sendungen regelmäßig miteinander. "Wenn Markus Lanz andere Gäste zum Thema Corona hatte und er hatte bestimmte Fragen, dann haben wir oft telefoniert, wenn er eine wissenschaftliche Einschätzung haben wollte."

Lauterbach und Lanz: Kritische Distanz trotz privater Vertrautheit

Am Ende ging die Beziehung zwischen dem Politiker und dem Journalisten über das Formell-Professionelle hinaus, vielleicht lässt sich das bei 28 gemeinsamen Sendungen in zwei Jahren und den vielen Garderoben-Gesprächen gar nicht vermeiden. Lanz und Lauterbach lernten sich auch privat ein wenig kennen, ließen sich diese Vertrautheit im Studio aber nicht anmerken, gerade Markus Lanz nicht. Bei dem konnte man nach der Ernennung Lauterbachs zum Gesundheitsminister den Eindruck bekommen, dass er ihn bei Befragungen besonders hart rannimmt, damit bloß keiner auf den Gedanken kommt, er würde ihn besser behandeln als andere.

"Wenn man sich privat ein bisschen kennt, und das ist bei Markus Lanz und mir der Fall, dann muss trotzdem die Zusammenarbeit absolut professionell sein", sagt Lauterbach dazu. Und: "Ich schätze an seiner Talkshow, dass er durch das provokante Rückfragen, das Insistieren natürlich in der Lage ist, jemanden aus der Reserve zu locken. Das finde ich nicht falsch. Wenn man gut vorbereitet ist und hat nichts zu verbergen, dann ist das ein Format, mit dem man gut leben kann. Das ist eine Talkshow, die ihren eigenen Charakter hat.

Lauterbach: Hohe Medienpräsenz dank Corona

Trotzdem glaubt Lauterbach nicht, dass allein seine Auftritte bei Lanz und den anderen politischen Talks ihn in die Regierung von Olaf Scholz gebracht haben: "Ich bin viel in Talkshows, aber ich bin auch jeden Tag in Nachrichtensendungen gewesen. Meine Präsenz war in anderen Formaten und den sozialen Medien hoch. Die Kombination hat eine Rolle gespielt, dass sich in der Bevölkerung eine breite Unterstützung für meine Rolle als Gesundheitsminister aufgebaut hatte."

Er habe die Talkshow auch nicht als Möglichkeit gesehen, um bekannt zu werden, so Lauterbach, das sei für ihn schließlich kein Problem gewesen: "Ich bin jetzt so lange dabei und war deshalb vorher schon sehr vielen Leuten bekannt, über die mehr als 20 Jahre, die ich jetzt Gesundheitspolitik mache. Ich wollte Inhalte vermitteln und dieses Interesse habe ich weiterhin."

Das hat er mit Markus Lanz gemeinsam. Eine andere Sache nicht. Während Lanz ein Talkshow-Junkie ist, das heißt, sich auch die Konkurrenz ansieht, sagt Lauterbach: "Ich schaue selbst übrigens nie fern." (fmg)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.