Berlin. Südtirol ist seine Heimat, dort bleiben konnte er nicht: Markus Lanz über das Lebensgefühl eines Südtirolers und sein Leben in Hamburg.

Hans Plaikner war ein Mitglied der Südtiroler Volkspartei, von der er 1962 als Beobachter zur Generalversammlung der Vereinten Nationen entsandt wurde. Das Internetlexikon Wikipedia führt ihn deshalb in dem Artikel über den Ort Geiselsberg in der Gemeinde Olang als einen von zwei Menschen in der Rubrik "Persönlichkeiten". Der andere ist Markus Lanz.

In dem "winzig kleinen Bergdorf, das man sich vorstellen muss wie bei Heidi und Peter auf der Alm", ist er aufgewachsen, zumindest war Geiselsberg so, als Lanz noch der kleine Markus war. 300 Einwohner hatte der Ort damals, das mit dem Tourismus begann gerade erst.

Heute ist Geiselsberg das "Skiparadies Nummer 1 in Südtirol. Hier, auf einer Meereshöhe von 1350 Metern, tauchen Skiurlauber jeder Altersklasse einfach, schnell und bequem in eine Winterwunderwelt der Superlative ein", heißt es auf der Internetseite "kronplatz.net". Und dass Markus Lanz wesentlich zur Bekanntheit "der malerischen Ortschaft beigetragen hat, keine Frage".

Markus Lanz: Südtirol ist eine "kampffreie Zone"

Die "Süddeutsche Zeitung" hat einmal einen Reporter hingeschickt, damals, als das mit "Wetten, dass..?" begann schiefzugehen und Markus Lanz von der Kritik zerrissen wurde. "Inzwischen machen sich sogar die Amerikaner über ihn lustig", hieß es in der Einleitung des Textes. "Aber wie sieht man das eigentlich in dem Dorf, aus dem er kommt?"

Nun, in dem Dorf, aus dem Markus Lanz kommt und in das er immer wieder gern zurückkehrt, war es den Menschen ziemlich egal, was die dort in Deutschland über ihn schrieben und dachten. In Südtirol sei es nicht wichtig, was man macht oder nicht macht, das sei eine "kampffreie Zone", hat Markus Lanz einmal gesagt und entsprechend unergiebig war die Reportage.

Die interessanteste Passage ist noch die, in der der damalige Bürgermeister von Olang, Reinhard Bachmann, erzählt, wie er den jungen Markus einst in der Musikschule im Ort kennengelernt hat. "So einen Schüler wie ihn hatten wir vorher noch nie. Er wollte seine Unterrichtsstunden einfach nicht beenden. Hatte immer noch eine Frage und noch eine Frage." Das kommt den deutschen Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern sowie den leidgeprüften Politikerinnen und Politikern irgendwie bekannt vor.

Wobei Lanz sich zu der Zeit deswegen so für Musik interessierte, weil er später Musikproduzent werden wollte, so wie der große Giorgio Moroder, ein Südtiroler, der es bis nach Hollywood schaffte und drei Oscars gewann, unter anderem für den Song "Flashdance … What a feeling". Wie Moroder wollte Lanz "derjenige sein, der hinten an den Reglern steht". Er hat tatsächlich mal einen Hit produziert, die Single verkaufte sich rund 12.000-mal und brachte ihm trotzdem ziemlich viel Ärger ein. Aber das ist ein anderes Kapitel.

In seinem Podcast mit Richard David Precht hat Lanz lange über Moroder gesprochen, den daheim alle bewundert hätten, weil es eine Sensation gewesen sei, was "einer von uns" draußen in der großen Welt geschafft habe. Aber er hat auch die Geschichte einer der Oscar-Verleihungen erzählt, bei denen Moroders Mutter dabei war. Als der Musikproduzent sie fragte, wie es ihr gefallen habe in Los Angeles, antwortete die alte Dame nur: "Ich glaube, du solltest wieder nach Hause kommen."

Wahrscheinlich ist es genau das, was die Südtiroler miteinander verbindet. Die Vorstellung, nein, die feste Verabredung, dass jeder eines Tages nach Hause zurückkehrt, ganz egal, wie erfolgreich, wie wichtig, wie ausgezeichnet er ist. "Bis vor ein paar Jahren war das bei mir auch so", sagt Lanz. "Jetzt empfinde ich es als Privileg, das nicht entscheiden zu müssen."

Lanz hat sein deutsches Südtirol gefunden

Der Moderator lebt inzwischen mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern in Hamburg, also dort, wo seine Sendung aufgezeichnet wird. Zur Alster ist es nicht weit, Lanz wohnt in einem der schönsten Teile der Stadt und er tut das relativ unbehelligt. Was die Aufgeregtheit seiner Bürgerinnen und Bürger angeht, sonst nicht, ist Hamburg durchaus mit Südtirol vergleichbar.

Markus Lanz ist nicht der einzige Prominente, der es schätzt, in einer Metropole zu leben, in der wenig Aufhebens um prominente Menschen wie ihn gemacht wird. Ich würde wetten, dass es nach wie vor viele Hamburgerinnen und Hamburger gibt, die glauben, dass Lanz zu seinen Sendungen aus Köln oder gar aus Südtirol einfliegt, zumal er sich am öffentlichen Leben in der Stadt kaum beteiligt.

Markus Lanz’ Talkshow ist ein Dauerbrenner im ZDF.
Markus Lanz’ Talkshow ist ein Dauerbrenner im ZDF. © imago images | FUTURE IMAGE

"Ich habe Hamburg am Anfang wirklich nicht gemocht", hat Markus Lanz mir einmal gesagt. "Ich habe nicht begriffen, was die Schönheit dieser Stadt ist, was Hamburg ausmacht. Das Problem war: Ich habe mich nicht darauf eingelassen, ich wollte immer zurück in die Berge. Und als ich das begriffen habe, wurde Hamburg zur besten Stadt, in der ich jemals gelebt habe."

Heimat ist Hamburg, "dieses wunderschöne Zuhause", allerdings nicht geworden. Heimat, sagt Lanz, sei für ihn ein enger Begriff, der sich auf Südtirol, den Blick von einem bestimmten Berg verengt: "Ich finde es toll, wenn Menschen Orte haben, die ihnen etwas bedeuten. Ich heule manchmal ein bisschen, wenn ich aus Südtirol wegfahre, das hatte ich früher nie. Man wird im Alter offenbar sentimentaler. Gleichzeitig bin ich aber unendlich dankbar dafür, einen Ort zu haben, der mir so viel bedeutet. Viele Menschen, die ich treffe, sind so entwurzelt. Manche sind Großstadtmenschen, andere Nomaden in Äthiopien."

Südtirol und Hamburg: Lanz zwischen zwei Welten

Wer Markus Lanz verstehen will, muss den Südtiroler verstehen, was gar nicht so einfach ist. Reinhold Beckmann, ebenfalls Wahlhamburger und als Gastgeber einer längst eingestellten Talkshow derjenige, der in Auftreten und Fragetechnik Lanz am ähnlichsten war, ist dem Phänomen in einem Gespräch mit zwei Südtirolern sehr nah gekommen.

Hier Markus Lanz, dort Bergsteiger Reinhold Messner, der "von der engen, traurigen Welt" sprach, "aus der man sich befreien muss". Lanz sagte: "Ich kenne die Enge des Dorfes. Verdunkelt das die Seele? Ich würde sagen, ja. Als junger Mann nimmt man das nicht unbedingt wahr, aber bei Älteren bekomme ich das mit. Der Südtiroler hat einen Hang zur Melancholie."

Was man als deutscher Tourist nicht verstehen kann, wenn man nur zum Skifahren oder Wandern hinfährt. Für Reisende sind die Aussichten in den Bergen atemberaubend, für die Einwohnerinnen und Einwohner teils bescheiden. Wäre alles normal gelaufen für Markus Lanz aus Geiselsberg, dann wäre er Skilehrer geworden oder Bergführer oder hätte irgendeinen anderen Job im Tourismus angenommen.

"Für jemanden wie mich, der aus kleinen und sehr schwierigen Verhältnissen kommt, war ein Leben, das ich jetzt lebe, nicht vorgesehen", sagt er. Die Vorstellung, dass einer wie er eines Tages in einem TV-Studio sitzt, in einer ganz und gar anderen Welt, und dabei von zwei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern beobachtet wird, war absurd.

Der Unterschied zwischen der Natürlichkeit seines Herkunftsorts und der Künstlichkeit des Fernsehens könnte nicht größer sein und er holt Lanz jedes Mal ein, wenn er von einer seiner ungewöhnlichen Reisen zurückkehrt: "Weil ich so wenig Zeit habe, passiert es manchmal, dass ich direkt aus Grönland ins Studio muss. Dann macht mir der Lärm zu schaffen und ich frage mich manchmal: Was, zum Teufel, mache ich hier eigentlich?"

Lanz: Südtiroler sind bescheiden

Der Südtiroler sei bescheiden und definiere Zufriedenheit ganz anders als, sagen wir mal, der Kölner. "Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Meine Mutter hat noch nie das Meer gesehen, noch nie. Und ich habe so oft zu ihr gesagt: Du musst dir doch einmal in deinem Leben das Meer anschauen. Aber sie sagt: Ich muss das nicht. Ich habe jahrelang gebraucht, bis ich respektieren konnte, dass sie das nicht will, weil es an ihrer Zufriedenheit nichts ändert."

Lanz erzählt gern solche oder andere Geschichten von seiner Mutter, zum Beispiel auch die, was sie sagt, wenn daheim "länger als fünf Tage die Sonne scheint: Dann sagt meine Mutter nicht, hoffentlich scheint sie morgen wieder, sondern: Das müssen wir büßen." Es stimme, was seine Frau Angela meine, so Lanz weiter: "Sie sagt, dass wir Südtiroler schon anders sind, unheimlich zäh, hart im Nehmen." Und hart zu sich selbst.

Alles Eigenschaften, die Markus Lanz auf seinem Weg geholfen haben, von dem er früh wusste, dass er ihn nach Deutschland führen würde. Es wäre interessant, eine Umfrage unter den Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern dieses Landes zu machen, woher Lanz eigentlich stammt. Ich bin sicher, dass viele ihn inzwischen für einen Deutschen, maximal für einen Österreicher halten würden und eben nicht für einen Südtiroler.

Markus Lanz: Zerrissenheit beginnt bei seiner Herkunft

Lanz hat beide Staatsbürgerschaften, die italienische und die deutsche, "aber es gibt keine Hymne, bei der es mir kalt den Rücken herunterläuft, weil wir Südtiroler halt Zwitterwesen sind". Die Zerrissenheit, eines der großen Themen seines Lebens, manifestiert sich tatsächlich in seiner Herkunft.

Er mag die Italiener wegen ihrer "gesunden Empathie", er war in Neapel beim Militär, bei den Gebirgsjägern, wo er eine Ausbildung zum Funker gemacht hat. Doch er merkte schnell, dass er für die anderen dort nur "so ein Teilzeit-Italiener war" und dass er südlich seiner Heimat nichts werden würde. "Für mich war klar, dass ich nach Deutschland musste", hat er gesagt, und dass er als junger Mann, der gar nichts hatte, schon gar keine Beziehungen, wusste: "Wenn es ein Land gibt, in dem jemand wie ich es packen kann, dann ist es Deutschland."

In seiner Zeit beim Militär sei ihm auch bewusst geworden, welche Bedeutung Sprache habe, einerseits, um sich abzugrenzen, andererseits, um von anderen akzeptiert zu werden. Deswegen wollte Markus Lanz, als er das erste Mal nach Deutschland kam, "so sprechen, dass niemand hört, woher ich komme". Nicht nur das ist ihm gelungen. Lanz hat mit nichts den Brenner überquert und ist heute eine der erfolgreichsten, mächtigsten TV-Figuren im wichtigsten Land Europas. "Deswegen liebe ich dieses Land so sehr, weil es einem Typen wie mir eine echte Chance gegeben hat. Dafür bin ich sehr dankbar."

Wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass sich Markus Lanz so aufrichtig für Politik, Politikerinnen und Politiker interessiert und dass es ihm nicht egal ist, was in diesem und mit diesem Land passiert. Er hat das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen, und, noch viel besser: Er ist inzwischen mit seiner Sendung in einer Situation, in der er das kann. Dass aus einer ziemlich normalen Talkshow eine politische Gesprächsrunde geworden ist, liegt auch an Lanz' Wunsch, dass dieses Land das bleibt, was es für ihn war. Ein Ort, dem man vertrauen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.