Berlin. Mehr als 300.000 Wehrpflichtige sind aus Russland vor der Einberufung geflohen. Warum auch für sie die Flüchtlingskonvention gilt.

Die Fluchtbewegung reißt nicht ab. Auch Tage nach der russischen Teilmobilmachung stauen sich an der Grenze zu Georgien die Autos – kilometerlang. Bislang war der Krieg gegen die Ukraine weit weg, so wie die Besetzung der Krim 2014 weit weg war. Doch jetzt ist alles anders.

Sterben für Putins Krieg? So weit wollen viele dann doch nicht gehen. Bereits jetzt sollen mehrere Hunderttausend Russen vor ihrer Einberufung ins Ausland geflohen sein. Offenbar sind ebenso viele geflüchtet wie einberufen worden – 350.000.

Ukraine-Krieg: Zahl der russischen Verweigerer wird steigen

Das hat nicht nur Folgen für die Länder, die russische Kriegsdienstverweigerer aufnehmen und bereits zu Zehntausenden aufgenommen haben – wie beispielsweise Georgien. Es hat auch fatale Konsequenzen für Russland selbst.

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© Reto Klar | Reto Klar

Je mehr Männer einberufen werden, desto mehr werden versuchen, das Land zu verlassen. Sie gehen lieber ins Exil als in den Krieg. Nach britischen Geheimdiensterkenntnissen sind unter den Männern, die nicht für Präsident Putin kämpfen wollen, besonders viele Gutausgebildete und Bessergestellte.

Ukraine-Krieg: Kreml glaubte an ein Kinderspiel

Die Teilmobilmachung hat einen „Braindrain“, einen Verlust von Arbeitskräften auch und vor allem in der Technikbranche, verstärkt, der sich schon seit Beginn des Kriegs abgezeichnet hat. Die Zahl der IT-Spezialisten und Programmierer, die Russland seit Kriegsbeginn verlassen haben, soll nach Angaben russischer Migrationsforscher bei 200.000 liegen, allein 80.000 Hochqualifizierte haben in Armenien eine neue Heimat gefunden.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Da der Kreml bekanntlich dachte, die Entmachtung der ukrainischen Führung um Präsident Selenskyj und die Eroberung der Grenzgebiete in der Süd- und Ostukraine seien ein Kinderspiel, wurden keine besonderen Vorkehrungen getroffen. Es gibt für nichts einen Plan, also auch keinen, wie die Wirtschaft in Kriegszeiten fortbestehen soll.

Der Krieg wird noch lange andauern

Dabei wird immer offensichtlicher, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch zermürbend lange andauern wird. Eine Verhandlungslösung ist nicht erkennbar. Die Ukraine pocht auf die vollständige Rückeroberung ihres Territoriums. Russland schafft mit der Annexion von Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja Fakten und droht unverhohlen mit dem Einsatz nuklearer Waffen.

Es wird nicht die letzte Mobilmachung in Russland gewesen sein. Deshalb braucht Deutschland, braucht die Europäische Union ein gemeinsames Konzept für den Umgang mit den Verfolgten und den Flüchtenden aus Russland.

Menschenrechte sind nicht verhandelbar

Jeder potenzielle Soldat, der nicht für Putin kämpfen will, ist erst mal ein guter Soldat, sollte man meinen. Doch viele Länder des ehemaligen Ostblocks haben Angst. Die baltischen Staaten, Polen oder die Slowakei beispielsweise lehnen die bedingungslose Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer ab. Sie haben Sicherheitsbedenken.

Litauen warnt, dass unter dem Deckmantel der Flucht vor dem Kriegseinsatz auch Beamte des russischen Geheimdienstes oder des Militärs ins Land und in die EU kommen könnten. Sie fürchten versteckte staatsfeindliche Aktivitäten oder den Aufbau eines Schläfernetzwerks. Und sie betonen, dass ihre Bedenken schon in der Vergangenheit vor allem von Deutschland nicht ernst genug genommen wurden.

Doch auch für die Russen, die sich nicht an diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen wollen, die als Kriegsdienstverweigerer um Leib und Leben fürchten müssen, gilt die Genfer Konvention. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de