Berlin . Im Ukraine-Krieg hat Kremlchef Putin drei Optionen. Was die Referenden im Donbass und die Teilmobilmachung über seine Pläne verraten.

Kremlchef Wladimir Putin hat sich in die Ukraine festgebissen. Nach der ukrainischen Gegenoffensive hat er eine Teil-Mobilmachung angeordnet, mit dem Einsatz von strategischen Atomwaffen gedroht und die Annexion von vier Gebieten verkündet. Hat er seine Möglichkeiten im Ukraine-Krieg schon ausgereizt? Welche Optionen bleiben ihm? Im Kern sind es drei: Verhandlungen, Einfrieren des Konflikts oder eine weitere Eskalation.

Verhandlungen: Joachim Krause ist Wissenschaftler, ein Mann, der den Krieg aus der Distanz verfolgt. Bereits Mitte August erklärt er, "man merkt von Woche zu Woche, wie die Optionen der Russen geringer werden". Der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel sagt unserer Redaktion, "es wäre im russischen Interesse, jetzt einen Verhandlungsfrieden anzubieten." Besser gesagt: einen Waffenstillstand.

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Putins Optionen: Verhandeln, "einfrieren", kämpfen

Als der Krieg ein Monat alt ist, setzen sich beide Seiten in Istanbul an einen Tisch und reden über eine Feuerpause. Damals versprechen die Unterhändler von Präsident Wolodymyr Selenskyj die geforderte Neutralität des Landes "gründlich" zu prüfen. Doch in der Folgezeit verschieben sich die Kräfteverhältnisse – zu Gunsten Selenskyjs.

Das hat nicht nur mit den vielbeachteten militärischen Erfolgen seiner Truppen unter dem Befehl von General Walerij Saluschnyj zu tun. Nach Gräueltaten wie in Butscha und Isjum, nach ungeheuerlichen Zerstörungen käme die Ukraine heute nicht darum herum, Putin zur Rechenschaft zu ziehen: Untersuchungen, Reparationszahlungen.

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Die Ukraine ist in der Lage, Bedingungen zu stellen. Zuletzt schloss Selenskyj Friedensverhandlungen aus. Der Westen gibt so viel Geld für Militärhilfe aus und nimmt so viele Wohlstandsverluste im Zuge von Sanktionen und Gegensanktionen in Kauf, dass er mit Blick auf die Milliardeninvestitionen für einen Wiederaufbau der Ukraine zumindest auf Sicherheiten pochen müsste. Es gilt zu verhindern, dass Putin eine Atempause nutzt, um sich zu sortieren und neu anzugreifen. Deshalb dürften Verhandlungen für Putin bloß ein Notausgang sein. Es gibt für ihn keinen gesichtswahrenden Ausweg. Er schielt auf eine andere Option.

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Einfrieren: Der Begriff ist quasi für den Zerfall der Sowjetunion erfunden worden und bedeutet in der Praxis, dass die Waffen weitgehend ruhen und verschobene Grenzen festzementiert werden. Auf diese Weise schafft Russland Fakten, wenn es opportun erscheint. Beispiel: Transnistrien. Mit Waffengewalt wurde es aus Moldawien herausgefräst.

Putins rote Linie: Der Angriff auf russisches Staatsgebiet

Das Ergebnis ist ein labiler Frieden: dauerhafte Instabilität. Es gibt Hinweise, dass dies die Exit-Strategie des Kremls sein könnte, weil die Eroberung der Ukraine unrealistisch ist. Stattdessen geht es nur darum, nach den Referenden die neuen Regionen im russischen Staatsgebiet Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja um jeden Preis zu halten.

Mitten in Europa könnte eine Demarkationslinie wie zwischen Nord- und Südkorea entstehen."Das kann durchaus sein, aber zumindest die Ukraine hätte dann die Chance auf einen Wiederaufbau, der nicht durch Russland zerstört werden wird", meint Joachim Krause. Wahrscheinlicher ist allerdings eine weitere Verschärfung des Konflikts, die letzte Option.

Landesverteidigung rechtfertigt eine Generalmobilmachung

Eskalation: Beim Treffen mit dem chinesischen Präsidenten erklärte Putin, ukrainische Truppen hätten versucht, zivile Infrastruktur "in Russland anzugreifen". Wenn sich die Situation so entwickle, "wird unsere Reaktion schwerwiegender ausfallen". Bedrohlich fügt der Kremlchef hinzu: "Warten wir ab, wie sie sich entwickelt und wie sie endet."

US-Präsident Joe Biden traut Putin den Einsatz von taktischen Atomwaffen zu und warnt:
US-Präsident Joe Biden traut Putin den Einsatz von taktischen Atomwaffen zu und warnt: "Tun Sie es nicht."

Die "jetzt-erst-recht"-Haltung rechtfertigt im nächsten Schritt sogar eine Generalmobilmachung. Das größte Problem seiner Truppe geht er schon mit der Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten an: Den Mangel an Soldaten. Waffen dürften nicht fehlen.

Warum Biden vor taktischen Atomwaffen warnt

Putin würde es in einem Eskalations-Szenario darauf ankommen lassen, wer zuerst ausblutet, die Ukraine oder Russland. Schon die Teil-Mobilmachung zeigt, dass er einen Konflikt über einen längeren Zeitraum in Kauf nimmt, womöglich über Jahre. "Wir haben es nicht eilig."

Auch ökonomisch, gerade bezogen auf den Westen, gilt: Wer ist bereit, die größeren Opfer auf sich zu nehmen in Form von Inflation und explodierenden Energiepreisen? Flankierend verschärft von russischen Cyberangriffen, bis hin zu einem "Blackout" wie zuletzt in der Ukraine?

In letzter Konsequenz führt die Rhetorik der Landesverteidigung, die konstruierte Übertretung einer roten Linie, zur Rechtfertigung eines Einsatzes von taktischen Atomwaffen. Sie gehören zur russischen Militärdoktrin, die von Nato und USA ernst genommen wird. Die amerikanischen Geheimdienste haben sich in diesem Krieg als gut informiert erwiesen und Bedrohungen bewusst früh ausgesprochen.

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US-Präsident Joe Biden warnt Russland vor dem Einsatz solcher Waffen ("tun Sie es nicht") und macht klar, dass dies nicht ohne Folgen bleiben würde. In einem CBS-Interview sagt er, das würde das Gesicht des Krieges verändern, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht der Fall gewesen sei. Wie die Reaktion des Westens auf Putins totalen Krieg ausfallen würde? Das Minimum wäre wohl, dass bei den Waffenlieferungen an die Ukraine die letzten Skrupel fallen würden.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de.