Berlin. Die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, spricht im Interview über weitere Entlastungen – und die Anfeindungen gegen ihre Person.

Neue Entlastungen, längere Atomlaufzeiten – die jüngsten Beschlüsse der Ampelregierung haben viele Fragen aufgeworfen. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagt im Interview, worauf sich die Bürger einstellen können.

Der Atomausstieg verschiebt sich nun doch. Nimmt die Basis der Grünen das hin, Frau Lang?

Ricarda Lang: Zwei AKW – Isar und Neckarwestheim – kommen in eine zeitlich begrenzte Einsatz-Reserve. Es werden also alle Vorkehrungen getroffen, die eine kurzzeitige Nutzung der Reaktoren im kommenden Winter auch über den 31. Dezember hinaus ermöglichen, falls das notwendig sein sollte. Ist dem nicht so, bleiben die zwei AKW vom Netz. Natürlich gibt es in der Partei Fragen dazu, aber vor allem auch eine große Bereitschaft, diesen Weg mitzugehen. Die Mitglieder merken, dass wir es uns nicht leicht gemacht haben. Wir übernehmen eine besondere Verantwortung für die Versorgungssicherheit.

Versprechen Sie Ihren Parteifreunden, dass im Frühjahr endgültig Schluss ist mit der Kernkraft?

Lang: Die Reserve ist klar zeitlich begrenzt und eine einmalige Sache. Denn: Für die Versorgungssicherheit im folgenden Herbst und Winter können wir vorsorgen – mit Gas aus anderen Quellen, vor allem aber mit dem massiven Ausbau der Erneuerbaren. Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Es wird keinen Wiedereinstieg geben.

Was ist, wenn der Parteitag trotzdem gegen den Vorschlag von Wirtschaftsminister Habeck stimmt?

Lang: Ich bin zuversichtlich, dass der Parteitag den nun eingeschlagenen Weg mittragen wird.

Übernehmen die Grünen die Verantwortung, wenn es zu einem Blackout kommt?

Lang: Die ganze Regierung trägt gemeinsam Verantwortung in dieser Energiekrise. Es werden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die Blackouts verhindern werden – abgesichert durch die Einsatz-Reserve als Ultima Ratio. Alle, denen es um die Versorgungssicherheit in Deutschland geht, sollten sich dem Vorschlag von Robert Habeck anschließen.

Atomkraftwerke in Bereitschaft zu halten, aber nicht laufen zu lassen, sei die „schlechteste aller Lösungen“, kritisiert die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Die Notreserve sei teuer und habe keinen positiven Effekt auf den Strompreise …

Lang: Viele Menschen machen sich große Sorgen wegen der steigenden Strompreise. Wir sind es ihnen schuldig, darauf gute Antworten zu geben, keine einfachen. Atomkraft hat erwiesenermaßen nur einen marginalen Einfluss auf die Strompreise. Viel effektiver ist der Weg, den wir gemeinsam mit SPD und FDP im jüngsten Entlastungspaket beschlossen haben: Einerseits bereiten wir eine Reform des Strommarkts vor, um Strom- und Gaspreise zu entkoppeln und so strukturell die Preise zu senken. Andererseits helfen wir kurzfristig mit einer Strompreisbremse, finanziert durch die Abschöpfung von Übergewinnen auf dem Strommarkt.

Wie soll das funktionieren?

Lang: Wir arbeiten an einer gemeinsamen europäischen Lösung, die Verhandlungen laufen. Der Gedanke ist, eine Erlösobergrenze für Energieunternehmen festzulegen, deren Produktionskosten deutlich unter dem Strompreis liegen – und die deshalb aktuell enorme Gewinne einfahren. Ich denke da an Kohle und Atom, aber auch an die Erneuerbaren. Die Gewinne, die über der Obergrenze liegen, werden abgeschöpft und über die Absenkung der Preise auf der Stromrechnung direkt an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben.

Die Strompreisbremse kommt also nur, wenn die Übergewinnsteuer kommt?

Lang: Die Abschöpfung der Übergewinne kommt. Sollten wir absehbar keine europäische Lösung finden, gehen wir national voran.

„Atomkraft hat erwiesenermaßen nur einen marginalen Einfluss auf die Strompreise“: Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang.
„Atomkraft hat erwiesenermaßen nur einen marginalen Einfluss auf die Strompreise“: Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Für das 9-Euro-Ticket – auch das ist Teil dieses Entlastungspakets – soll es eine Nachfolgeregelung geben. Welche schwebt Ihnen vor?

Lang: Mein Ziel ist ein bundesweites, dauerhaftes 49-Euro-Ticket. Für Menschen mit kleinem Einkommen – Grundsicherungsempfänger oder Schülerinnen etwa – könnte es dabei besondere Angebote geben. Das 9-Euro-Ticket war ein Riesenerfolg. Viele Menschen haben Bus und Bahn neu entdeckt. Der nervige Tarifdschungel wurde gelichtet. Daran gilt es jetzt anzuknüpfen.

Voraussetzung ist, dass die Länder mitmachen – und von sich aus 1,5 Milliarden Euro investieren.

Lang: Ich bin davon überzeugt, dass wir einen gemeinsamen Weg mit den Ländern finden. Das neue Ticket muss dabei Hand in Hand gehen mit mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Ein günstiges Ticket hilft nur dann, wenn der Bus auch fährt. Das zeigt übrigens, wie entscheidend es sein wird, dass jedes Ministerium das Klimaschutzsofortprogramm ernst nimmt, das wir im Koalitionsvertrag verankert haben.

Worauf wollen Sie hinaus?

Lang: Wir haben beim Klimaschutz in acht Monaten mehr vorangebracht als jede Regierung vor uns. Trotzdem muss noch mehr kommen – gerade im Verkehrssektor. Wir haben deshalb im dritten Entlastungspaket vereinbart, dass wir in den nächsten Jahren 1,5 Milliarden Euro zusätzlich in den Schienenverkehr investieren. Das muss nun schnell umgesetzt werden. Um unsere Klimaziele zu erreichen, braucht es zudem weitere Schritte – etwa eine Reform des Dienstwagenprivilegs, die Einführung eines Bonus-Malus-Systems für Pkw oder auch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, um den Fuß- und Radverkehr attraktiver zu machen.“

Wird das dritte Entlastungspaket das letzte sein?

Lang: Wir haben für den Herbst und Winter eine gute Grundlage geschaffen. Aber die Energiekrise, in die uns der Angriffskrieg auf die Ukraine gestürzt hat, wird nicht in drei, fünf oder acht Monaten enden. Wir haben mit den bisherigen drei Entlastungspaketen gezeigt: Wir lassen niemanden allein. Daran wird sich nichts ändern. In den nächsten Wochen wird es noch mal um Unternehmenshilfen gehen. Wir sollten hier vor allem an kleine und mittlere Unternehmen denken, Bäcker oder Handwerksbetriebe etwa. Neben kurzfristigen Entlastungen braucht es aber vor allem strukturelle Veränderungen – vom Mindestlohn über das Bürgergeld bis hin zur Kindergrundsicherung. Einiges haben wir schon auf den Weg gebracht, anderes muss folgen. Denn eines ist offensichtlich: Deutschland muss gerechter werden.

Wenn Sie das alles umsetzen, ist die Schuldenbremse Makulatur.

Lang: So würde ich das nicht sagen. Die Schuldenbremse ist vor allem kein Selbstzweck. Wir wollen unser Land sicher in die Zukunft bringen und müssen dafür die Finanzierung sicherstellen. Dazu gehört es auch, neue Finanzierungsspielräume zu schaffen, wie wir es nun mit dem Abschöpfen von Übergewinnen im Strommarkt getan haben.

Robert Habeck ist als Krisenmanager in die Kritik geraten – zuletzt wegen unglücklicher Talkshow-Äußerungen zu Insolvenzen. Geschieht dem Wirtschaftsminister unrecht?

Lang: Robert Habeck hat auf den Unterschied zwischen Insolvenzen und Betriebsaufgaben hingewiesen. Die Aufregung um seine Aussagen hat mich ähnlich verwundert wie führende Ökonomen in diesem Land. Der Staat muss in Krisenzeiten beides im Blick haben. Das tut die Bundesregierung. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Robert Habeck nun einen breiten Rettungsschirm aufspannt, vor allem auch für kleine und mittlere Unternehmen.

Sie selbst sind immer wieder persönlichen Anfeindungen ausgesetzt. Zuletzt sagte SPD-Landesminister Till Backhaus im Zusammenhang mit Ihnen, früher seien Dick und Doof zwei Personen gewesen. Wie gehen Sie damit um?

Lang: Ich habe mich damit nicht beschäftigt. Am vergangenen Wochenende hatte ich ein milliardenschweres Entlastungspaket mitzuverhandeln. Das erschien mir wichtiger als derartige Entgleisungen.

Nehmen Sie die Entschuldigung von Backhaus an?

Lang: Ja.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.