Mönchengladbach. Ein Schlaganfall hat oft Folgen für Betroffene, Familie und Umfeld. Albert Sturm weiß, was man braucht, um zurück ins Leben zu finden.

Der zweite Schlaganfall – ein tiefer Einschnitt im Leben von Albert Sturm: „Auf einmal konnte ich meinen Körper nicht mehr kontrollieren. Ich war vom Hals abwärts gelähmt, konnte nicht mehr schlucken und sprechen. Beängstigend!“

Albert Sturm erinnert sich, dass er in eine Art emotionaler Schockstarre geriet. Der heute 68-Jährige wurde nicht gleich in eine Stroke-Unit, eine Spezialabteilung von Krankenhäusern zur Behandlung von Schlaganfällen, eingeliefert und ist heute schwer körperbehindert.

Schlafanfall: Ein Kindercomputer als Hilfsmittel

Seine Frau Karin beschloss, ihm Mut zu machen. Sie suchte nach Hilfsmitteln oder entwickelte sie selbst: „Ich habe einen Kindercomputer auf ein Frühstückstablett gesetzt und Sätze wie ,Ich habe Durst‘ oder ,Ich habe Schmerzen‘ eingegeben, die er anklickte und dem Pflegepersonal oder den Ärzten zeigte.“ Anders konnte sich Albert Sturm zunächst nicht verständigen. Doch das Paar gab nicht auf: „Wir machten Übungen mit dem Alphabet, wie bei einem kleinen Kind. Immer wieder“, erzählt Karin Sturm. Lesen Sie auch: So rettet man einem Schlaganfallpatienten das Leben

Albert Sturm erlitt vor 19 Jahren den zweiten Schlaganfall. Er kämpfte sich mit Hilfe seiner Frau Karin zurück ins Leben.
Albert Sturm erlitt vor 19 Jahren den zweiten Schlaganfall. Er kämpfte sich mit Hilfe seiner Frau Karin zurück ins Leben. © Privat | Privat

Die Ausdauer hat sich gelohnt: Heute, rund 19 Jahre später, fährt Albert Sturm mit seiner Frau im Rollstuhl durch Mönchengladbach und spricht unter anderem mit Kommunalpolitikern über barrierefreie Zugänge oder fehlende öffentliche Behindertentoiletten. Die beiden sind 40 Jahre glücklich verheiratet und Karin Sturm pflegt ihren Mann rund um die Uhr. Auf ihren Wegen nutzt die 64-Jährige einen extra gebauten Rollstuhl-Anhänger: „Mein Senioren-Skateboard. Da kurbelt so mancher Autofahrer das Fenster herunter und ruft: ,Cooles Teil!‘“

Selbst wenn ein Schlaganfall schnell erkannt und behandelt wird, hat er oft Folgen wie Sprach- und Schluckstörungen oder die Lähmung von Armen und Beinen. „Wenn uns der Notarzt einen Schlaganfall-Patienten ankündigt, tun wir alles, um das Gerinnsel, das die Gefäße verstopft, aufzulösen oder bei einem Eingriff mit einem Katheter zu entfernen“, sagt Neurologin Anke Lührs, verantwortlich für die Stroke-Unit der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach. Besonders wichtig sei es, Patienten möglichst schnell zu behandeln: „Jede Minute zählt.“ Lesen Sie auch: Rätselhafte Lungenentzündungen in Argentinien – drei Tote

Blutdruck und Herzfrequenz müssen gut eingestellt sein

In den ersten 24 bis 72 Stunden nach dem Schlaganfall gibt es ein großes Risiko, dass sich die Symptomatik weiter verschlechtert. „Deshalb überwachen wir die Patienten rund um die Uhr. Vor allem Blutdruck und Herzfrequenz müssen gut eingestellt sein“, so Lührs. In dieser Zeit stellen die Krankenhaus-Therapeuten bei den Patienten die möglichen Folgen des Schlaganfalls fest.

Zugleich wird nach Ursachen gesucht: „Oft fallen dann erst ein Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder ein Diabetes auf. Sorgfältige Diagnostik hat den höchsten Stellenwert. Auf dieser Basis werden die individuellen therapeutischen Entscheidungen getroffen“, erklärt Anke Lührs.

Was beim Weg zurück in den Alltag besonders wichtig ist, das haben Albert und Karin Sturm schon mitgebracht: Eigeninitiative sowie den Willen, Fähigkeiten zu trainieren. Ergo-, Logo- und Physiotherapeuten können dabei unterstützen, aber auch psychologische Hilfe ist zuweilen nötig. Eine erste Einschätzung geben die Therapeuten im Krankenhaus, wo der Patient zuerst behandelt wird. Der Sozialdienst der Kliniken hilft dann bei der Vermittlung der passenden Reha-Klinik. Auch interessant: Antibiotika wirken kaum - resistenter Typhus breitet sich aus

Viele haben Angst vor der Reaktion von Freunden

„Wenn anfangs nichts voranzugehen scheint und man erkennt, was man nicht mehr kann, muss das erst mal verkraftet werden“, sagt Albert Sturm. Er weiß, dass das Selbstwertgefühl darunter leidet, und kennt die Furcht vor der Reaktion von Freunden. Deshalb engagieren die Sturms sich als Leiter der Selbsthilfegruppe Schlaganfall in Mönchengladbach.

„Nicht groß planen und nicht zurückschauen – das sind wesentliche Teile meiner Motivation. Was ich früher gewohnt war, zum Beispiel das Reisen, musste ich nach dem Schlaganfall neu definieren“, sagt Albert Sturm. Um Hemmungen zu überwinden, trifft er sich mit anderen Betroffenen und versucht sie zu bestärken, damit sie unbeschwerter werden: „Wassersportfans, die zum Beispiel gern schwimmen gegangen sind, können doch weiterhin bei Schwimmwettbewerben als Zuschauer dabei sein.“

Professionelle Hilfe soll es durch sogenannte Patientenbegleiter oder Schlaganfall-Lotsen geben: Sie haben einen therapeutischen oder pflegerischen Hintergrund und begleiten Patienten nach ihrer Erkrankung – zum Beispiel, indem sie dabei helfen, den Lebensstil umzustellen. Diese Lotsen wissen auch, wie Anträge für Hilfsmittel gestellt oder Behandlungen dokumentiert werden.

Lotsen bieten Betroffenen nach Schlaganfällen professionelle Hilfe

Eine solche Begleitung bietet beispielsweise die AOK Rheinland-Hamburg an und in Ostwestfalen-Lippe hat die Deutsche Schlaganfall-Hilfe zusammen mit einigen Kliniken und der Techniker Krankenkasse ein großes Projekt organisiert: Mehr als 1600 Patienten wurden über vier Jahre von 17 Schlaganfall-Lotsen betreut, gefördert mit 7,1 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Bundes.

„Die vielen positiven Erfahrungen werten wir derzeit aus. Doch das Projekt läuft weiter. Und in einem nächsten Schritt analysieren wir, wo die Lotsen angesiedelt werden können – bei den Kliniken oder auch bei den Kreisen oder Kommunen“, erklärt Mario Leisle, Sprecher der Schlaganfall-Hilfe.

Diese Ziele bekommen Rückenwind durch den Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Darin steht, dass in den kommenden vier Jahren ein geregelter Weg gefunden werden soll, um erfolgreiche Förderprojekte wie die der Patienten-Lotsen in die Regelversorgung zu überführen.

Stiftung unterstützt die Schulung ehrenamtlicher Helfer

Parallel dazu unterstützt die Schlaganfall-Hilfe in acht Bundesländern die Schulung ehrenamtlicher Helfer, die Angehörige entlasten, indem sie zum Beispiel für sie einkaufen oder auch Adressen von Selbsthilfegruppen vermitteln.

Dort lernen Betroffene im Idealfall so engagierte Unterstützer wie die Sturms kennen, die auch praktische Tipps geben: Sie wissen zum Beispiel, wie man selbst eine Rampe baut, damit Rollstuhlfahrer wieder auf den Balkon der eigenen Wohnung fahren können. So wie Albert Sturm, der nun dort den Rundumblick genießt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.