Berlin/Moskau. Michail Gorbatschow war einer der letzten noch lebenden Väter der Deutschen Einheit. Nun ist der Friedensnobelpreisträger gestorben.

  • Michail Gorbatschow ist tot
  • Der Friedensnobelpreisträger starb in Russland im Alter von 91 Jahren
  • Er galt als einer der Väter der Deutschen Einheit

Der letzte Präsident der Sowjetunion ist im Alter von 91 Jahren in Russland gestorben. Michail Sergejewitsch Gorbatschow sei seiner langen und schweren Krankheit erlegen, teilte das der russischen Präsidentschaft unterstellte Zentralkrankenhaus mit.

Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Besonders die Ostdeutschen verehren "Gorbi", wie er oft genannt wird, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte.

Gorbatschow: Der Vater von Glasnost und Perestroika

Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (l) wird nach seiner Ankunft zu den Feierlichkeiten zum 40jährigen Staatsjubiläum der DDR am 6. Oktober 1989 in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen.
Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (l) wird nach seiner Ankunft zu den Feierlichkeiten zum 40jährigen Staatsjubiläum der DDR am 6. Oktober 1989 in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen. © Wolfgang Kumm/dpa

In den 1980er Jahren hatte die Sowjetunion unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen. In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte zu massiven Umbrüchen in allen Republiken des Sowjetstaates und letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums.

Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion – und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931-2007).

Gorbatschow war von den Deutschen und dem Westen enttäuscht

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (r) mit dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow (l) und dessen Frau Raissa während eines Arbeitsbesuchs bei einem Spaziergang
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (r) mit dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow (l) und dessen Frau Raissa während eines Arbeitsbesuchs bei einem Spaziergang © Tass/epa/dpa

Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.

Michail Gorbatschow: Stationen seines Lebens in Bildern

6. Oktober 1989, DDR, Ost-Berlin: Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (l) wird nach seiner Ankunft zu den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Staatsjubiläum der DDR in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen. Das Foto geht in die Geschichte ein.
6. Oktober 1989, DDR, Ost-Berlin: Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (l) wird nach seiner Ankunft zu den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Staatsjubiläum der DDR in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen. Das Foto geht in die Geschichte ein. © dpa | Wolfgang Kumm
Richard von Weizsäcker (rechts) mit Michail Gorbatschow und Helmut Kohl (links, Bundeskanzler) bei einem Treffen in Bonn im Jahr 1989. Gorbatschow bringt mit seinen Ideen von Glasnost und Perestroika den Eisernen Vorhang ins Wanken.
Richard von Weizsäcker (rechts) mit Michail Gorbatschow und Helmut Kohl (links, Bundeskanzler) bei einem Treffen in Bonn im Jahr 1989. Gorbatschow bringt mit seinen Ideen von Glasnost und Perestroika den Eisernen Vorhang ins Wanken. © picture alliance / IMAGNO/Votava | dpa Picture-Alliance /
Gorbatschow und Kohl (CDU) im Oktober 1990: Die beiden Staatsmänner gelten als Väter der Deutschen Einheit.
Gorbatschow und Kohl (CDU) im Oktober 1990: Die beiden Staatsmänner gelten als Väter der Deutschen Einheit. © picture alliance / KUNZ / Augenk | dpa Picture-Alliance / KUNZ / Augenklick
Helmut Kohl besucht Gorbatschow im Kaukasus. Auch Gorbatschows Frau Raissa (Mitte) ist bei dem Treffen in Archys mit dabei.
Helmut Kohl besucht Gorbatschow im Kaukasus. Auch Gorbatschows Frau Raissa (Mitte) ist bei dem Treffen in Archys mit dabei. © dpa | dpa
Die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel hält ebenfalls Kontakt zu Gorbatschow. Gemeinsam mit ihm und dem polnischen Gewerkschaftsführer Lech Walesa schreitet sie am Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2009 über den früheren Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin.
Die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel hält ebenfalls Kontakt zu Gorbatschow. Gemeinsam mit ihm und dem polnischen Gewerkschaftsführer Lech Walesa schreitet sie am Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2009 über den früheren Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin. © Rainer Jensen/dpa
Gorbatschow ist nach der Wende immer wieder nach Berlin gereist. Hier ist er am Pariser Platz zu sehen, im Hintergrund das Brandenburger Tor.
Gorbatschow ist nach der Wende immer wieder nach Berlin gereist. Hier ist er am Pariser Platz zu sehen, im Hintergrund das Brandenburger Tor. © dpa
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt Gorbatschow in Russland längst nicht allen als Heilsbringer. Doch international genießt er Anerkennung für sein politisches Lebenswerk. Er trifft sich fortan mit internationalen Politikern und Promis - wie hier mit Modedesigner Karl Lagerfeld.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt Gorbatschow in Russland längst nicht allen als Heilsbringer. Doch international genießt er Anerkennung für sein politisches Lebenswerk. Er trifft sich fortan mit internationalen Politikern und Promis - wie hier mit Modedesigner Karl Lagerfeld. © Getty Images | Franziska Krug/Getty Images
Gorbatschow mit seinem Amtsnachfolger Wladimir Putin: Der
Gorbatschow mit seinem Amtsnachfolger Wladimir Putin: Der "Glasnost"-Vordenker Gorbatschow setzt sich für demokratische Werte ein und leitet eine Stiftung. © Carsten Rehder/dpa
Gorbatschow starb am 30. August 2022 im Alter von 91 Jahren.
Gorbatschow starb am 30. August 2022 im Alter von 91 Jahren. © John Kringas/Chicago Tribune via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | John Kringas/Chicago Tribune via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Der Politiker war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Gorbatschow hatte in den vergangenen Jahren Kremlchef Wladimir Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken.

Der Staatsmann wird in Moskau auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt – neben seiner Frau Raissa.

Der damalige sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow und seine Gattin Raissa Gorbatschowa (l) bei einem Treffen mit der isländischen Präsidentin Vigdis Finnbogadottir im Höfdi-Haus.
Der damalige sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow und seine Gattin Raissa Gorbatschowa (l) bei einem Treffen mit der isländischen Präsidentin Vigdis Finnbogadottir im Höfdi-Haus. © Martin Athenstädt/dpa

Michail Gorbatschow: Stationen seines bewegten Lebens

  • 2. März 1931: Geburt im nordkaukasischen Dorf Priwolnoje (Region Stawropol). Der Sohn eines Kolchose-Bauern arbeitet zunächst als Mähdreschermechaniker. Für den Wehrdienst ist er untauglich.
  • 1950: Jura-Studium an der Moskauer Lomonossow-Universität. Dort lernt Gorbatschow seine spätere Frau Raissa (1932-1999) kennen.
  • 1952: Nach dem Beitritt zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) folgt eine steile politische Karriere. Er wird 1971 Mitglied des Zentralkomitees und 1980 rückt er ins Politbüro auf. Als Repräsentant des Obersten Sowjets gestaltet er die Kreml-Politik mit.
  • 11. März 1985: Gegen den Widerstand kommunistischer Altkader wird er mit 54 Jahren zum zweitjüngsten Generalsekretär der Parteigeschichte gewählt. Gorbatschow leitet eine historische Reformpolitik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) ein
Michail Gorbatschow, damals sowjetischer Präsident, winkt während einer Feier zum Tag der Revolution von der Tribüne des Roten Platzes in Moskau.
Michail Gorbatschow, damals sowjetischer Präsident, winkt während einer Feier zum Tag der Revolution von der Tribüne des Roten Platzes in Moskau. © Boris Yurchenko/AP/dpa

  • 1988: In einer Rede vor den Vereinten Nationen in New York kündigt er einseitige Abrüstungsschritte an. Das Echo ist weltweit positiv. Zudem zieht Gorbatschow nach einem zehnjährigen militärischen Fiasko die sowjetischen Truppen aus Afghanistan ab.
  • 7. Oktober 1989: Bei einem Besuch in Ost-Berlin kommt es zur berühmten Formulierung: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – obwohl er den Satz so nie gesagt haben soll.
  • 16. Juli 1990: Gorbatschow stimmt im Kaukasus bei einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl der deutschen Wiedervereinigung zu.
Einen einmaligen Empfang bereitet die Bonner Bevölkerung  dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michael Gorbatschow und seiner Ehefrau Raissa, als beide das Rathaus besuchten. Beim
Einen einmaligen Empfang bereitet die Bonner Bevölkerung dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michael Gorbatschow und seiner Ehefrau Raissa, als beide das Rathaus besuchten. Beim "Bad in der Menge" mussten die Gäste aus Moskau zahlreiche Hände schütteln. © Frank Kleefeldt/dpa

  • 1990: Gorbatschow, der nun offiziell den Amtstitel Sowjetpräsident trägt, erhält den Friedensnobelpreis. Das Staatsoberhaupt spiele eine führende Rolle im Friedensprozess, begründet das Komitee die Wahl.
  • 1991: Gorbatschow übersteht zwar einen Putsch von Parteifunktionären. Aber immer mehr Sowjetrepubliken sagen sich von Moskau los. Daraufhin tritt Gorbatschow am 25. Dezember als Präsident zurück.
  • 1992: In Moskau nimmt die Gorbatschow-Stiftung ihre Arbeit auf. International bleibt der Ex-Präsident ein gefragter Diskussionsgast. In der russischen Tagespolitik ist seine Stimme über viele Jahre kaum zu vernehmen. In der Ukraine-Krise meldet er sich wieder häufiger zu Wort.
Mit einem symbolischen Gang über den früheren Grenzkontrollpunkt Bornholmer Straße gedenkt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Michail Gorbatschow (l) und dem früheren polnischen Gewerkschafter und Staatspräsidenten Lech Walesa (M) am 09.11.2009 in Berlin des Mauerfalls vor 20 Jahren.
Mit einem symbolischen Gang über den früheren Grenzkontrollpunkt Bornholmer Straße gedenkt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Michail Gorbatschow (l) und dem früheren polnischen Gewerkschafter und Staatspräsidenten Lech Walesa (M) am 09.11.2009 in Berlin des Mauerfalls vor 20 Jahren. © Rainer Jensen/dpa
  • 2001-2009: Gorbatschow engagiert sich im Petersburger Dialog, einem zivilgesellschaftlichen Forum zwischen Deutschland und Russland.
  • 30. August 2022: Gorbatschow stirbt im Alter von 91 Jahren in Moskau.

Gorbatschows Tod löst international Bestürzung aus

International löste die Nachricht von Gorbatschows Tod große Bestürzung aus. UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnet den Friedensnobelpreisträger als „einzigartigen Staatsmann, der den Gang der Geschichte verändert hat“. „Er hat mehr als jeder andere für ein friedliches Ende des Kalten Krieges getan.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, Gorbatschow habe „eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs“ gespielt und „den Weg für ein freies Europa“ geebnet.

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US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschow als „Mann mit außergewöhnlicher Weitsicht“ und „Anführer, wie es ihn selten gibt“, der die Welt „sicherer“ gemacht habe. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bezeichnete Gorbatschow als „Mann des Friedens, dessen Entscheidungen den Russen den Weg zur Freiheit eröffnet haben“. Der britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. „Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte“, schrieb Johnson auf Twitter. Auch Kremlchef Wladimir Putin äußerte sich zum Tod seines Amtsvorgängers und sprach sein Mitgefühl aus. Putin werde der Familie Gorbatschows am Mittwochmorgen ein Telegramm schicken, teilte ein Kremlsprecher mit.

Auch mehrere Bundespolitiker würdigten den Friedensnobelpreisträger kurz nach Bekanntwerden seines Todes. Ohne Gorbatschow „wären die friedlichen Revolutionen in den Ländern des Ostblocks, bei uns, so nicht denkbar gewesen“, schrieb die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) auf Twitter. „Seine Worte haben uns, haben mich, ermutigt, stark gemacht.“

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Deutschland habe Gorbatschow viel zu verdanken, schrieb Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf Twitter. „Er leitete das Ende des kalten Krieges ein, ermöglichte Deutschlands Wiedervereinigung und schenkte seinem Land ein demokratisches Momentum. Ein mutiger Überzeugungstäter, dessen Stimme fehlen wird.“ CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf Twitter, ohne Gorbatschow wäre „die deutsche Einheit in Freiheit“ nicht möglich gewesen.

(fmg/dpa/AFP)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.