Paris. Das Leben in der französischen Weltstadt ist teuer. Doch 550 Euro für knapp fünf Quadratmetern gilt selbst im teuren Paris als Wucher.

Wenn Massi R. sich auf sein Hochbett legen will, ist Geschmeidigkeit gefragt. Bei nur 50 Zentimetern Abstand zwischen Matratze und Decke muss er sich auf die Schlafstätte einfädeln wie ein Rennfahrer in das knapp geschnittene Cockpit seines Boliden. Eine Frage des Platzes – und an Platz fehlt es dem 42-Jährigen in seiner nur 4,7 Quadratmeter großen Pariser Ein-Zimmer-Wohnung an allen Ecken und Enden.

Die Tageszeitung „Le Parisien“ hat diese Woche groß über den aus Algerien stammenden Kellner Massi R. und sein bestenfalls als Besenkammer zu bezeichnendes Mini-Appartement berichtet, für welches ihm die Besitzerin stolze 550 Euro Monatsmiete abknöpft. Ein Skandal, natürlich, aber lediglich ein besonders krasses Beispiel für das, was auf dem hart umkämpften und teuren Pariser Wohnungsmarkt viel zu oft vorkommt.

Seit vier Jahren haust Massi in dem, was er selber als „eine Art Wohngrab“ bezeichnet. Er komme nur zum Schlafen in sein Zimmerchen, berichtete er „Le Parisien“, weil er zwischen den viel zu nah beieinanderstehenden Wänden Depressionen bekäme. Dabei war er ursprünglich froh, überhaupt eine Bleibe gefunden zu haben.

Weltstadt mit legendärem Ruf. Doch die Mieten sind astronomisch hoch.
Weltstadt mit legendärem Ruf. Doch die Mieten sind astronomisch hoch. © dpa | Ian Langsdon

Nach mehrwöchiger und vergeblicher Suche beauftragt er schließlich eine Immobilienagentur. Für 300 Euro vermittelt diese Massi sowie fünf weitere Kandidaten an die Besitzerin der Besenkammer, welche dem Algerier den Zuschlag gibt.

Die Besitzerin will von den Beschwerden des Mieters nichts wissen

Bei der übrigens recht betuchten Besitzerin prallen später allerdings sämtliche Beschwerden Mattis über den Zustand seiner Wohnung ab, die vergammelt, schlecht isoliert und ständig feucht ist. Sanierungsarbeiten will die Dame nicht einleiten und rät ihm stattdessen, er solle doch öfter das (einzige) Fenster aufmachen.

Am Ende wendet sich Massi im vergangen März an die Hygienebehörde von Paris, die eine Inspektion vornimmt. Das Resultat dieser Inspektion ist erbaulich. Wegen des desolaten Zustands erklärt die Behörde Mattis Besenkammer mit sofortiger Wirkung für unbewohnbar und verspricht dem Kellner, ihm eine andere Unterkunft zu suchen. Außerdem wird nun die Größe beziehungsweise Winzigkeit der Wohnung amtlich.

Das Mini-Apartment hätte gar nicht vermietet werden dürfen

Da das Gesetz vorschreibt, dass selbst eine Ein-Zimmer-Wohnung mindestens neun Quadratmetern und ein Volumen von 20 Kubikmetern aufweisen muss, hätte Mattis Appartement gar nicht vermittelt oder vermietet werden dürfen. Grund genug für die Stadt, umgehend eine Klage gegen die Besitzerin anzustrengen, die im Mietvertrag so wissentlich wie fälschlich mit 24 Kubikmetern ein Volumen auswies, welches dem Doppeltem der rechtswidrigen Realität entspricht.

„Wenn wir über solche Missstände informiert werden, gehen wir selbstverständlich gegen die Verantwortlichen vor“, erklärt Ian Brossat und schimpft über jene Eigentümer. die die höchst angespannte Situation auf dem Pariser Wohnungsmarkt „schamlos ausnutzen“.

Kein Einzelfall – etwa 60.000 Ein-Zimmer-Wohnungen sind nicht größer als ein Kellerloch

Brossat ist als stellvertretender Bürgermeister zuständig für eben diesen Wohnungsmarkt und weiß, wovon er spricht. Denn leider trauen sich die Opfer der Missstände beim Wohnen nur selten, gegen ihre Vermieter vorzugehen. Aus Angst, nachher auf der Straße zu stehen.

Tatsächlich gibt es in Paris rund 60.000 Ein-Zimmer-Wohnungen. Zumeist handelt es sich um es ehemalige „chambres de bonne“, um Dienstbotenzimmer also, wie sie auf der letzten Etage vieler aus dem 19. Jahrhundert stammenden Häuser der Seinemetropole zu finden sind.

Ehemalige Dienstbotenzimmer für Studenten oder Geringverdiener

Wobei so gut wie alle dieser früheren Dienstbotenzimmer kleiner als acht Quadratmeter sind. Vermietet werden sie wegen der Wohnraumnot in der Regel trotzdem, an Studenten und Geringverdiener, die sich wie damals Matti glücklich schätzen, überhaupt irgendwo unterzukommen.

Massi haust derweil immer noch in seiner nun offiziell als unbewohnbar ausgewiesenen Besenkammer. Noch nämlich ist es den Behörden nicht gelungen, ein anderes Appartement für ihn zu finden, dessen Miete er bezahlen kann.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de