Berlin. Noch immer ist unklar, woran die Tonnen von toten Fischen in der Oder gestorben sind. Ist ein Pestizid schuld an der Umweltkatastrophe?

Ein Fluss wird zum Massengrab: Anderthalb Wochen nach Bekanntwerden des Fischsterbens in der Oder wird das Ausmaß der Umweltkatastrophe immer deutlicher. Die Feuerwehr in Polen barg nach Angaben vom Samstag bislang fast 160 Tonnen toter Fische aus der Oder und einem kleineren Fluss. In Brandenburg waren es nach einer früheren Mitteilung des Umweltministeriums mindestens 36 Tonnen.

Die Katastrophe gibt Rätsel auf: Warum verendeten die Tiere? Wurden Schadstoffe in den Fluss geleitet, und wenn ja von wem? Und warum hat die deutsche Seite erst so spät von dem Problem erfahren?

Tote Fische in der Oder: Was wissen wir?

Fest steht: Das Wasser in der Oder ist belastet – nur womit, ist bislang nicht klar. Wie mittlerweile bekannt ist, haben die Behörden bei der Suche nach der Ursache auch überhöhte Pestizid-Werte nachgewiesen. Festgestellt wurden auch erhöhte Salz- und Sauerstoffwerte im Wasser. Doch wie diese entstanden sind und was das Fischsterben konkret ausgelöst hat, ist noch offen. Quecksilber schließt das Bundesumweltministerium derzeit als Ursache aus. Polens Regierung vermutet, dass der Fluss mit Chemie-Abfällen vergiftet wurde.

Oder: Was ist über das gefundene Pestizid bekannt?

Bei Proben, die an der Messstelle Frankfurt (Oder) in der Zeit vom 7. bis 9. August entnommen wurden, seien hohe Konzentrationen eines Pestizids mit dem Wirkstoff 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure gefunden worden, teilte Brandenburgs Umweltministerium mit. Es sei aber davon auszugehen, dass die nachgewiesene Dosis nicht unmittelbar tödlich für Fische gewesen sei. Der Wirkstoff wird etwa zur Bekämpfung von Unkraut eingesetzt. Der "Tagesspiegel" berichtete zuerst darüber.

Das Ministerium geht weiter davon aus, dass die Umweltkatastrophe mehrere Ursachen gehabt habe. Die überhöhte Konzentration des Pestizids über mehrere Tage habe sicherlich Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen gehabt. Möglicherweise sei das Pestizid am Oberlauf der Oder in noch höheren Konzentrationen vorhanden und am Messpunkt Frankfurt (Oder) bereits stark verdünnt gewesen.

Mögliches Gift in der Oder: Welche weiteren Auswirkungen gibt es?

Nicht nur Fische sind betroffen, auch viele andere Tiere wie Muscheln und kleine Wirbeltiere im und am Fluss leiden, sagt Sascha Maier, Experte für Gewässerpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Und die Gefahr bestehe, dass das noch nicht identifizierte Gift in die Nahrungskette aufgenommen werde und sich anreichere.

"Wir haben gesehen, dass andere Tierarten wie Adler oder auch Waschbären die Kadaver fressen", sagt Maier. Schlimmstenfalls führe das auch bei diesen Tieren zum Tod.Entlang des Flusses nutzen auch Landwirte das Wasser der Oder, um Schafe und Rinder zu tränken. Die Behörden raten davon im Moment allerdings dringend ab. Bäuerinnen und Bauern müssen sich Alternativen suchen.

Wie soll die Meldekette in solchen Fällen eigentlich funktionieren?

In der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder (IKSO), in der Tschechien, Polen und Deutschland zum Schutz des Gewässers zusammenarbeiten, gibt es eine Arbeitsgruppe für den Warn- und Alarmplan in Fällen wie dem jetzigen. Nach deren Plänen sind in allen drei Ländern sogenannte "Internationale Hauptwarnzentralen" entlang des Flusses definiert, die Meldungen über Verunreinigungen oder Schäden stafettenartig flussabwärts weitergeben sollen.

Tatsächlich ist das aber offenbar nicht geschehen. In Brandenburg wird das Fischsterben seit dem vergangenen Dienstag beobachtet, Anrainer wurden unvorbereitet getroffen. "Es gab keine Vorwarnung aus Polen, obwohl das Fischsterben zu diesem Zeitpunkt dort schon zwei Wochen bekannt war", sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums am Montag. Die Meldekette sei nicht rechtzeitig in Gang gesetzt worden.

Warum die Meldekette nicht in Gang kam, ist bislang unklar.

Welche Rolle spielt die Dürre?

Die aktuelle Wetterlage mit heißen Temperaturen und kaum Niederschlägen seit Wochen hat das Problem sehr wahrscheinlich verschärft. "Ziemlich sicher" spielten diese Faktoren eine Rolle, sagte Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) dem RBB-Inforadio, weil die geringeren Wassermengen eine höhere Konzentration von giftigen Stoffen bedeuten würden.

Die Verunreinigung sei zudem auf ein Ökosystem getroffen, dass in diesem Sommer ohnehin unter großem Stress steht, sagt BUND-Experte Maier. "Durch das Niedrigwasser haben wir eine warme Oder, die Wassertemperatur liegt bei etwa 25 Grad", sagte er. Für viele Fischarten sei das eine große Belastung. "Wenn dann eine Verunreinigung dazukommt, sind sie weniger widerstandsfähig."

Aber auch Arbeiten zum Oder- Ausbau auf polnischer Seite seien ein Quell von Stress für die Tiere – und eine mögliche Ursache für die Verunreinigung des Flusses, sagt Maier.

Fischsterben in der Oder: Wie geht es jetzt weiter?

Deutschland und Polen wollen der Ursache und den Folgen des Fischsterbens mit einer gemeinsamen Taskforce begegnen. Nach einem Treffen von Regierungsvertretern teilte das Bundesumweltministerium am Montag mit, dass Experten beider Länder in engem Austausch nach den Ursachen suchen würden.

"Die Expertinnen und Experten arbeiten mit Hochdruck an den Analysen, um schnellstmöglich herauszufinden, welche Stoffe und Ursachen zum massenhaften Sterben der Fische und zur Schädigung der Oder geführt haben", sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). "Das ist auch Voraussetzung, um die Verursacher schnellstmöglich finden zu können." Neue Untersuchungsergebnisse werden für voraussichtlich Dienstag erwartet.

Wie der Klimawandel zu Niedrigwasser in Flüssen beiträgt

Ein Schiff mit wenig Ladung fährt bei Köln bei niedrigem Wasserstand auf dem Rhein.
Ein Schiff mit wenig Ladung fährt bei Köln bei niedrigem Wasserstand auf dem Rhein. © Christoph Reichwein/dpa
Bei Bingen ist eine Insel im Rhein aufgrund des Niedrigwassers derzeit zu Fuß erreichbar.
Bei Bingen ist eine Insel im Rhein aufgrund des Niedrigwassers derzeit zu Fuß erreichbar. © Thomas Frey/dpa
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Politik will "lückenlose Aufklärung"

Paul Ziemiak (CDU), Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe, forderte eine "lückenlose Aufklärung" der Vorgänge. "Die Verantwortlichen auf polnischer Seite müssen dafür Rechenschaft ablegen", sagte er dieser Redaktion. Gleichzeitig rief er dazu auf, von gegenseitigen Schuldzuweisungen Abstand zu nehmen. Die Behörden Polens und Deutschlands müssten jetzt in einen deutlich engeren Austausch treten.

Der BUND pocht auf eine zügige Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen: "Die staatlichen Stellen müssen jetzt große Anstrengungen unternehmen, um die Oder wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen", sagt Experte Maier. Die Bundesebene müsse jetzt schnell Geld zur Verfügung stellen, für die Restoration des Flusses, aber auch für betroffene Unternehmen wie Fischerei und Naturtouristik. "Da muss schnell geholfen werden, ähnlich wie bei Corona."

Etwas Hoffnung macht derweil die Äußerung des Gebietschefs der Woiwodschaft Westpommern, Zbiegniew Bogucki. Demnach seien wieder lebende Fische zu sehen. "Dort, wo wir vor ein paar Tagen tonnenweise tote Fische geborgen haben, sind jetzt lebende Fische aufgetaucht", schrieb Bogucki am Samstag auf Twitter.

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Aufgrund von Sauerstoffmangel im Wasser seien aber viele Fische kurz vor dem Ersticken und würden nahe der Oberfläche schwimmen. Dazu postete der Politiker ein Video, in dem dies zu sehen war. Er habe sich nun an die örtliche Feuerwehr gewandt, damit diese versuche, das Wasser mit Pumpen zu belüften, schrieb Bogucki in einem weiteren Tweet. (mit mako/lgr)