Berlin. In fast allen Bereichen ist das Leben teurer geworden. Aber sollte man deswegen weniger Tip geben? Das sagt eine Knigge-Expertin.

Diese Trinkgeldfrage immer. Das Besuch im Restaurant geht zu Ende, die Bedienung reicht die Rechnung. Schnell im Kopf alles überschlagen. Es sollten fünf bis zehn Prozent sein – das ist in Deutschland die Faustregel. Aber: Gilt die noch?

Corona, Energiekrise, Inflation. Die Trinkgeldkultur der Deutschen steht neu infrage, seit die ARD-Moderatorin Anja Reschke Ende Juli twitterte: „Was ist bitte los mit den Leuten? Das Trinkgeld nimmt seit Jahren ab.“ Viele zahlten gar nicht mehr, andere rundeten nur minimal auf. SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach antwortete: „Schon alleine wegen der dauernden Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus ist es unverständlich, dass nicht großzügiger Trinkgeld bezahlt wird. Ausgenommen sind natürlich Ärmere. In der Gas­tronomie arbeiten die Menschen hart und tragen oft ein erhebliches Risiko.“

Das Statistische Bundesamt schaltete sich in die Debatte in den sozialen Medien ein. Es wies darauf hin, dass Vollzeitbeschäftigte in der Gastronomie im Jahr 2021 im Schnitt 2156 Euro brutto im Monat verdienten. Nur in der „Beherbergung“, also etwa in Hotels oder Pensionen, sei der Verdienst mit 2116 Euro noch niedriger. Was also ist angemessen in Zeiten, in denen die Preise für Getränke und Essen ohnehin schon gestiegen sind?

Inflation: Wieviel Trinkgeld gibt man?

„Es gibt keinen Grund, derzeit weniger Trinkgeld zu geben“, sagt Linda Kaiser von der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, die sich damit befasst, was zeitgemäße Umgangsformen sind. Wer sich einen Besuch im Restaurant leiste, solle dies von vornherein mit einkalkulieren, erklärt die Expertin: „Es bleibt bei den fünf bis zehn Prozent, gehen Sie eher Richtung zehn.“ Aber müssen wirklich die Gäste ran, wenn viele in der Gastronomie auf Trinkgeld angewiesen sind, weil sie mit ihrem Lohn allein kaum noch über die Runden kommen?

Darum gehe es nicht, meint Kaiser. Für sie sind Trinkgeld und Lohn zwei verschiedene Dinge. Das sei hierzulande anders als in den USA. Dort werde ein Trinkgeld von 15 bis 20 Prozent erwartet und das Gehalt entsprechend berechnet. Es fällt kleiner aus. In Deutschland aber sei es die Verantwortung der Betriebe, den Mitarbeitenden ein auskömmliches Gehalt zu zahlen. Das Trinkgeld sei hierzulande nur als eine freiwillige Geste der Gäste zu verstehen, als „ein finanzielles Dankeschön“ – und habe eine lange Geschichte.

Trinkgeld: Absacker aufs Haus lohnt sich

Schon im Mittelalter sei es üblich gewesen, den Boten, die lange Zeit unterwegs gewesen seien, ein Trinkgeld zu geben, damit sie sich in der nahe gelegenen Schenke eine Erfrischung leisten konnten. Das kann gönnerhaft wirken. Doch so sei es nicht, zumindest heutzutage nicht, erklärt Sascha Hoffmann. Er ist Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule Fresenius in Hamburg und sagt: „Trinkgeld zu geben basiert auf dem ,Wie-du-mir-so-ich-dir-Prinzip‘.“

Hoffmann hat das Prinzip zusammen mit einem Kollegen aus der Psychologie in einem Experiment unlängst nachgewiesen: Zunächst bekamen Gäste in einem griechischen Restaurant einen Ouzo aufs Haus – und zwar in drei Gruppen: während des Essens, mit der Rechnung oder nach dem Bezahlen.

Den Schnapsversuch wiederholten die Forscher in einem deutschen Restaurant. Das Ergebnis: Kam das Gratisgetränk mit der Rechnung, legten die Gäste besonders viel Trinkgeld auf den Tisch. Bonbons, Smileys auf der Rechnung, das beiläufige Auflegen der Hand auf die Schulter – auch das wirke, sagt Hoffmann: „Wenn es nett ist, gibt jeder mehr.“

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    Bleibt eine entscheidende Frage: Was ist der größte Fehler beim Trinkgeld? „Gar nichts zu geben“, sagt Linda Kaiser. „Und runden Sie bei 2,90 Euro für einen Espresso nicht auf 3 Euro auf, geben Sie 3,50 Euro. Es wirkt sonst knickrig herablassend.“

    Aber ist Trinkgeld ein Muss, selbst wenn der Service lausig war? „Zumindest müsste schon eine Menge zusammenkommen, das Essen mies, der Tisch dreckig und der Kellner schlecht gelaunt sein“, erklärt die Expertin. Besser sei es, frühzeitig zu sagen, was einem nicht passt. Heißt: Schmeckt das Essen nicht, sollte man dies nicht erst reklamieren, wenn schon alles weggeputzt und nichts mehr zu machen ist. „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, so Kaiser. Und wer sich bemühe, den Service zu verbessern, habe auch Anerkennung verdient, also Trinkgeld.

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    „Sie ziehen auf keinen Fall einen Bündel Geldscheine aus der Tasche und wedeln damit der Servicekraft vor der Nase rum“, rät Kaiser noch. Ganz so dezent wie in Frankreich gehe es hierzulande zwar nicht zu. Die Franzosen legen „le pourboire“ einfach auf den Tisch, wenn sie gehen. In Italien ist das ähnlich. Dort wird für das Gedeck und Brot in Restaurants automatisch ein „coperto“ erhoben. Es spricht aber nichts dagegen, etwas Geld auf dem Tisch liegenzulassen.

    In Deutschland legt man das Trinkgeld einfach dazu, wenn man die Rechnung zahlt. Nur zahlen mittlerweile viele mit Karte. Da gebe es zwei Möglichkeiten, erklärt Kaiser: „Sie nennen den Betrag, den Sie insgesamt zahlen wollen, manchmal lässt er sich auch auf der Rechnung eintragen.“ Dann sind die Servicekräfte allerdings auf ehrliche Chefs angewiesen, die diesen das Geld weiterreichen. Wer darauf nicht vertrauen will, wählt die zweite Möglichkeit: „Sie geben das Trinkgeld separat in bar“, so Kaiser.

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      Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.