Berlin. Milde Winter und warme Sommer machen Deutschland attraktiv für neue Tierarten – die hierzulande bisher seltene Krankheiten mitbringen.

  • In Deutschland steigen die Temperaturen
  • Das kann zur Ausbreitung exotischer Krankheiten hierzulande führen, warnt RKI-Chef Lothar Wieler
  • Erste Fälle hat es bereits gegeben – etwa von Infektionen mit dem West-Nil-Virus

Die Asiatische Tigermücke ist ziemlich belastbar für ein Tier, das gerade einmal wenige Millimeter groß wird. Das Insekt, das – wie der Name verrät – in Süd- und Südostasien beheimatet ist, mag es eigentlich warm. Doch die Eier der Tiere überstehen auch Kühl- und Trockenperioden, und Reisen über lange Strecken. Und so leben die Mücken längst auch hier, weit von ihrem ursprünglichen Lebensraum entfernt.

In Deutschland wurde die Art zum ersten Mal 2007 nachgewiesen, ganz im äußersten Südwesten Baden-Württembergs. Seitdem hat die Asiatische Tigermücke große Gebiete erobert. 2022 wurden im zweiten Jahr in Folge Exemplare in Berlin gefunden, die Senatsverwaltung befürchtet eine dauerhafte Ansiedlung.

Möglich machen das mildere Winter und wärmere Sommer durch die globale Erwärmung. Die bringe „klimatische Bedingungen, unter denen auch Insektenarten gut leben können, die normalerweise eher am Mittelmeer oder in Nordafrika zu finden sind“, sagt das Bundesumweltministerium. Übersetzt: Der Klimawandel bringt neue Tierarten nach Deutschland – und mit ihnen neue Krankheiten, die sie übertragen.

Asiatische Tigermücken etwa sind nicht nur aggressiver als andere Mückenarten, sie dienen vor allem auch als sogenannte Vektoren für Krankheitserreger wie das Virus, das das Dengue-Fieber auslöst. Die Erkrankung, die hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und schwere Muskelschmerzen verursachen und sogar tödlich ausgehen kann, ist vor allem auf der südlichen Halbkugel verbreitet, in Asien, Lateinamerika und Teilen von Afrika. Fälle in Deutschland waren bisher vor allem auf Reiserückkehrer zurückzuführen.

Bei hohen Temperaturen vermehren sich Viren schneller in Mücken

Doch in Südeuropa, wo die Tigermücke schon länger heimisch ist, wurden immer wieder auch lokale Übertragungen nachgewiesen. Und Experten gehen davon aus, dass damit auch in Deutschland absehbar zu rechnen ist.

Im Südwesten Deutschlands verbreiten sich zudem Sandmücken, die bisher unter anderem im Mittelmeerraum und im Nahen Osten beheimatet sind. Sie gelten als potenzielle Überträger von Leishmaniose, einer Krankheit, die je nach Ausprägung die Haut, aber auch Organe wie Milz oder Leber angreifen kann.

Und selbst Tierarten, die hier schon länger heimisch sind, entwickeln als Folge des Klimawandels neues Bedrohungspotenzial. Die gewöhnlichen Hausmücken der Gattung Culex etwa werden zunehmend zu Überträgern des West-Nil-Virus. Denn die Vermehrung von Viren in Mücken sei temperaturabhängig, sagt Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, „so dass mit höheren Temperaturen über längere Zeiträume die Wahrscheinlichkeit von Infektionen durch Mückenstiche steigt“.

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2019 wurden laut RKI die ersten fünf mutmaßlich mückenübertragenen Infektionen unter zuvor nicht verreisten Menschen in Deutschland registriert. Im Sommer 2020, der 1,9 Grad über dem langjährigen Mittel lag, wurden 20 Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Deutschland gemeldet. Ein älterer Patient verstarb.

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© dpa | Ennio Leanza

Vor allem Kinder und ältere Menschen sind gefährdet

Die meisten Infektionen bei Menschen verlaufen symptomfrei, nur etwa 20 Prozent der Betroffenen spüren die Erkrankung, die sich mit mehreren Tagen grippeähnlicher Symptome bemerkbar macht. Etwa ein Prozent der Infizierten entwickelt eine schwere Form der Erkrankung, die das Gehirn betrifft und zu Lähmungen, Motorikstörungen und Veränderungen der Hirnnerven führen kann.

Vor allem ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen „ist insbesondere in dieser Jahreszeit und in den betroffenen Gebieten Schutz vor Mückenstichen empfohlen“, schrieb das RKI in einer Veröffentlichung aus dem Juni 2022.

Während die längeren, heißeren Sommer durch den Klimawandel für viele Menschen körperlich belastend werden, gibt es andere Spezies, die davon profitieren. Zecken etwa, deren Verbreitungsgebiet seit einigen Jahren wächst. Wies das Robert-Koch-Institut in der Vergangenheit vor allem Süddeutschland als Risikogebiet für die Übertragung von FSME-Viren aus, die durch Zecken auf Menschen übertragen werden, sind inzwischen auch Teile von Hessen, Thüringen und Sachsen auf den Karten des RKI markiert. Einzelne Risikogebiete gibt es bis nach Niedersachsen hoch.

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Höhere Temperaturen und mildere Winter sorgen dafür, dass die Zeiträume, in denen die Tiere aktiv sind, immer länger werden. Und so steigen auch die Fallzahlen von Krankheitsübertragungen durch Zecken. 2020 meldete das RKI einen Rekord-Wert von 712 FSME-Erkrankungen in Deutschland. Im kühleren darauffolgenden Jahr sank die Zahl um 45 Prozent.

RKI-Präsident Wieler setzt auf Sensibilisierung der Ärzteschaft

Egal ob Denguefieber, West-Nil-Virus oder FSME: Es seien vor allem Kinder, alte Menschen und Menschen mit schwachem Immunsystem, die durch die Ausbreitung der Krankheiten gefährdet sind, sagt Kinder- und Jugendarzt Ignaz Schmidt. Schützen könnten sich Einzelne vor allem durch umsichtiges Verhalten, „zum Beispiel durch das Tragen von langer Kleidung in Zeckengebieten und die Benutzung von Mückensprays“.

Medizinerinnen und Mediziner müssten sich darauf einstellen, in Zukunft häufiger Diagnosen zu stellen, die bislang selten waren, sagt RKI-Präsident Wieler. Die Ärzteschaft sollte „für das Auftreten exotischer Infektionskrankheiten sensibilisiert werden, die sonst nur nach Reiseanamnese auftreten“, sagte er dieser Redaktion. Das sei auch ein wichtiges Anliegen des RKI, dass dazu unter anderem Webinare anbiete und Informationen veröffentliche.

Doch das ist nicht genug, um sich auf die Entwicklung vorzubereiten, findet FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann. „Es braucht dringend weitere Forschung- und Innovationsinitiativen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ausbreitung von Krankheitserregern besser zu verstehen und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen“, sagte Ullmann unserer Redaktion. Überwachungs- und Frühwarnsysteme im Gesundheitssektor müssten dringend verbessert und ausgebaut werden, um das System auf klimasensitive Krankheiten vorzubereiten und anzupassen.

Kinderarzt Schmidt sieht die Politik in der Verantwortung – nicht nur bei der Sensibilisierung von Ärztinnen und Ärzten und Aufklärung der Bevölkerung, sondern vor allem bei der Bekämpfung des Grundproblems. „Die Politik ist der wichtigste Akteur in der primären Prävention“, sagt er, „nämlich alles dafür zu tun, dass die Klimaerwärmung verlangsamt und gestoppt wird.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.