Peking/Taipeh. Während Nancy Pelosi der Regierung in Taipeh Beistand versprach, reagiert Peking mit Militärmanövern. Wie groß ist die Kriegsgefahr?

Als Nancy Pelosi in der Hauptstadt eintraf, leuchteten am größten Gebäude von Taiwan Grußbotschaften. „Thank you“, prangte es an den Fenster des „Taipei 101“, dem bis vor einigen Jahren noch höchsten Turm der Welt. Der Besuch von Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und damit dritthöchste Vertreterin der USA, sorgte in Taiwan allgemein für Freude, wirkte zeitweise aber wie eine gute inszenierte Polit-Show.

In einer pathetischen Rede im Präsidentenbüro sprach die 82-jährige davon, dass die Welt derzeit vor der „Wahl zwischen Demokratie und Autokratie“ stünden, und dass die USA „immer auf der Seite Taiwans stehen“ werden.

China warnte: USA spielen mit dem Feuer

Präsidentin Tsai Ing-Wen richtete zudem eine ernste Botschaft ans chinesische Festland: „Taiwan wird nicht klein beigeben. Wir werden tun, was immer notwendig ist, um unsere Selbstverteidigungsfähigkeiten zu stärken“. Das Bild, das um die Welt ging, hatte hohen Symbolwert: Zwei Frauen stellen sich gegen die massive Drohkulisse der Volksrepublik China.

Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-Wen (Mitte) zeichnet Nancy Pelosi (links), Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und damit dritthöchste Vertreterin der USA, bei deren Besuch in Taipeh aus.
Die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-Wen (Mitte) zeichnet Nancy Pelosi (links), Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und damit dritthöchste Vertreterin der USA, bei deren Besuch in Taipeh aus. © Getty Images | Handout

Wiederholt hatte der bevölkerungsstärkste Staat der Erde, der das autonom regierte Taiwan als sein eigenes Territorium betrachtet, vor einem offiziellen Besuch aus den USA gewarnt. Washington spiele „mit dem Feuer“ und werde sie verbrennen, hieß es.

Entsprechend erzürnt reagierte Peking – und ließ bereits erste Taten folgen. Die Volksbefreiungsarmee kündigte insgesamt sechs Militärübungen an, die noch bis Sonntag andauern. Die Truppen werden, das legen die per Xinhua verkündeten Ortskoordinaten nahe, nicht nur die Insel aus allen Himmelsrichtungen umzingeln, sondern der Küste Taiwans auf fast 16 Kilometern nahekommen – und auch dessen territoriale Gewässer betreten.

China simuliert die militärische Blockade Taiwans

Die Militärübungen sind vor allem deshalb eine deutliche Eskalation, weil sie de facto eine militärische Blockade der Insel simulieren – eine der möglichen Szenarien, wie die chinesischen Streitkräfte Taiwan einnehmen könnten. Steuern die zwei größten Volkswirtschaften der Welt auf einen militärischen Konflikt zu?

Chinesen zu Pelosi-Besuch- Das stört das Gleichgewicht!

weitere Videos

    Sicherheitsexperten erwarten, dass die chinesische Reaktion auf den Taiwan-Besuch Pelosis auch militärische Dimensionen erreichen könnte wie etwa Raketentests. In Taiwans Gewässer und dessen Luftraum drang das chinesische Militär zuletzt ohnehin vermehrt ein. Zudem hat die Regierung Russlands, die seit Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, im Juni eine auch militärisch engere Zusammenarbeit mit China vereinbart.

    Xi Jinping, Staats- und Parteichef von China, wählte eine harsche Rhetorik gegenüber den USA.
    Xi Jinping, Staats- und Parteichef von China, wählte eine harsche Rhetorik gegenüber den USA. © dpa | Yao Dawei

    Ein Krieg um Taiwan ist deshalb allerdings derzeit noch nicht wesentlich wahrscheinlicher geworden. Vielmehr scheint Chinas Staatspräsident Xi Jinping wegen seiner wiederholten Kampfansagen auch sein Gesicht wahren zu wollen. Er nutzt weiter eine harsche Rhetorik und setzt auch die wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen fort.

    Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Taiwan wird verboten

    Am Mittwoch kündigten die Zollbehörden der Volksrepublik an, die Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Taiwan zu verbieten, weil diese in der Vergangenheit angeblich mehrfach Schädlingsrückstände aufgewiesen hätten. Zudem wurden die Importe von zwei taiwanischen Fischsorten gesperrt, da auf deren Verpackungen Corona-Viren nachgewiesen worden seien.

    Dass die wirtschaftliche Rache aber bisher vergleichsweise zahnlos ausfällt, hat vor allem damit zu tun, dass Taiwan als führende Halbleiter-Nation einen unschätzbaren Trumpf in der Hinterhand hat: Sollte nämlich der weltweite Marktführer TSMC keine Chips mehr ins chinesische Festland liefern, würde die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt dies empfindlich zu spüren bekommen. Sie werden allen möglichen Elektroprodukte verbaut.

    Das Knowhow ist hochkompliziert und -diversifiziert, lässt sich nur über mehrere Jahre erlernen, während derer sich das Geschäft auch noch ständig weiterentwickelt. So sind Experten skeptisch, dass gerade bei den neueren Generationen von Mikrochips irgendein anderes Land mittelfristig Taiwan als Standort ersetzen könnte.

    China: Taiwan gehört zu uns

    Dies ist zwar ein weiterer Grund, warum das 1,4-Milliardenland China über die letzten Jahre immer vehementer beteuert hat, die 23-Millioneninsel Taiwan sei Teil Chinas. Längst geht es nicht mehr nur um Geschichtspolitik: Zu Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 flohen die besiegten Nationalisten nach Taiwan und riefen die Republik China (Taiwan) aus, was die siegreichen Kommunisten aber nie anerkannten. Neben dieser eher emotionalen Dimension des Konflikts steckt heute auch Geo- und Wirtschaftspolitik dahinter.

    Ein Krieg mit Taiwan würde nicht nur Menschenleben kosten, es würde wertvolle Produktionsanlagen in Gefahr bringen, wodurch auch die mit Taiwan eng verflochtene chinesische Volkswirtschaft leiden würde. Zudem würden weltweit Lieferketten zusammenbrechen. Diverse Industriezweige in praktisch jedem Land der Welt wären in Gefahr – auch in China selbst.

    Also viel Lärm um nichts? Hu Xijin, ehemaliger Chefredakteur der Parteizeitung „Global Times“, der vor wenigen Tagen noch über einen möglichen Abschluss von Pelosis Flugzeug spekuliert hatte, schreibt nun kleinlaut: „Dass Pelosi tatsächlich gelandet ist, zeigt natürlich, dass unsere Abschreckung nicht genug war. Aber es wäre übertrieben zu denken, dass wir eine Niederlage oder gar eine nationale Schande erlitten hätten“. Tatsächlich habe die Auseinandersetzung mit den USA gerade erst begonnen, und sie sei dazu verdammt, „lang und ausdauernd“ zu werden.