Berlin. Gegen Flug-Frust im Sommer 2022 will Deutschlands Verbraucherschutz-Chefin hart durchgreifen. Diese Forderung könnte alles verändern.

Die langersehnte erste große Urlaubsreise seit Ausbruch der Corona-Pandemie startet für viele Menschen in Deutschland im Sommer 2022 mit viel Frust. Fluggesellschaften wie der deutsche Platzhirsch Lufthansa oder der türkische Ferienflieger Corendon streichen Zigtausende Flüge, oft auch sehr kurzfristig. Deutschlands oberste Verbraucherschützerin Ramona Pop sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, die Branche habe ihren Vertrauensvorschuss verspielt – und fordert tiefgreifende Änderungen.

Einige Airlines hätten die Corona-Zeit laut Pop genutzt, „um aus ihrer Sicht unnützes Personal loszuwerden“. Jetzt, wo der Flugverkehr wieder auf rund 75 Prozent des Vorkrisenniveaus angestiegen ist, würden sie feststellen: Genau dieses Personal hätten sie jetzt gebraucht. Die Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) wird deutlich: „Es ist ein komplettes Missmanagement der Airlines und Flughäfen, unter dem die Verbraucherinnen und Verbraucher leiden.“

In dieser Situation problematisiert Pop die Praxis der Vorkasse für Flugtickets. „Viele müssen auf die Erstattung der Ticketkosten sehr lange, teils Monate, warten“, wirft die vzbv-Chefin den Airlines vor. „Das kann sich aber nicht jeder leisten. Zum Beispiel für Familien geht es da um viel Geld.“ Der Verbraucherschutz fordere seit Langem ein Ende der Vorkasse beim Fliegen.

„Nach diesem Sommer kann man wirklich sagen, dass die Luftfahrtbranche keinen Vertrauensvorschuss durch Vorkasse mehr verdient hat“, sagt Pop. „Die Vorkasse gehört abgeschafft – sie ist ein kostenloser Kredit durch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Man hat nicht einmal die Garantie, dass der Flug tatsächlich durchgeführt wird.“ Neben dem Personalmangel belasten Warnstreiks die Branche.

Ende der Vorkasse für Flugtickets – vor diesen Folgen warnt die Luftfahrt-Branche

Das Ende der Vorkasse für Flugtickets wäre weltweit einmalig. Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) warnt eindringlich vor den Konsequenzen: Ohne Vorkasse werden die Tickets teurer, sagt er unserer Redaktion.

Im Luftverkehr hätten Kundinnen und Kunden die Wahl, wann sie ihr Ticket buchen: sehr frühzeitig, später, oder auch kurz vor Abflug, sagt von Randow. „Niemand muss für seinen Flug lange in Vorkasse treten, aber sehr Viele tun es.“ Bei frühzeitiger Buchung seien die Preise deutlich niedriger, im Gegenzug erhielten die Airlines Planungssicherheit. „Wer die Vorkasse beim Fliegen abschaffen möchte, muss sich also die Frage gefallen lassen: Warum will man den Kunden solche Buchungsvorteile wegnehmen?“

Zudem könne ein kurzfristig zurückgegebenes Ticket meist nicht mehr weiterverkauft werden. Von Randow: „Deswegen sind flexible Tickets in aller Regel auch teurer, denn die Airline muss einkalkulieren, dass der gebuchte Sitzplatz unter Umständen frei bleibt und nicht mehr verkauft werden kann.“

Auch dieses Argument lässt Pop nicht gelten. Wer sein Ticket frühzeitig buche, sollte den Betrag erst am Tag des Fluges bezahlen müssen. Wer es verfallen lässt, bei dem werden – wie bei Hotels – Stornogebühren fällig. „Das ist wie bei anderen Buchungen im Reisebereich auch“, sagt sie.

Verbraucherschutz-Ministerium warnt die Fluggesellschaften

Rückendeckung erhält Pop aus dem Haus von Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne). Fluggesellschaften seien in der Pflicht, bei berechtigten Ansprüchen der Fluggäste Erstattungen, Ausgleichszahlungen sowie Entschädigungen schnell und unbürokratisch zu leisten, betont eine Sprecherin auf Anfrage. „Nach wie vor gilt: Wenn dieser Verpflichtung in den nächsten Monaten nicht nachgekommen wird, wird man die Vorkasse-Praxis überprüfen müssen.“

Anlass des Streits sind massenhafte Berichte von Reisenden, die seit Ausbruch der Corona-Pandemie und erneut in diesem Flugchaos-Sommer wochenlang auf Zahlungen der Fluggesellschaften warten würden. Bei einer Annullierung müssen Airlines den Ticketpreis nach EU-Regeln innerhalb von sieben Tagen erstatten.

„Unsere Fluggesellschaften liegen in aller Regel darunter“, betont von Randow, der unter anderem die Interessen von Lufthansa, Condor und TUIfly vertritt. 2020 habe es Engpässe gegeben. „Die waren für viele Kunden höchst unerfreulich. Es ist aber unredlich, diese einzigartige Krise zu einem Anlass zu machen, das System komplett in Frage zu stellen“, sagt er.

Fluggesellschaften kaum erreichbar: „Auch wir als Branche sind unzufrieden“

Verbraucherschützerin Pop hält dagegen, die gelebte Praxis der Airlines sei nicht vertrauenserweckend. Die Verbraucher hätten Probleme bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Sie schlägt dafür vor, die Aufsichtsbehörde, das Luftfahrt-Bundesamt, personell und finanziell besser auszustatten.

Unterdessen häufen sich Berichte von frustrierten Passagieren, die bei Umbuchungen stundenlang in Warteschleifen festhängen. Oder wochenlangen Bearbeitungszeiten für E-Mails – und monatelanges Warten auf Ausgleichszahlungen, die Passagieren bei kurzfristigen Annullierungen und Verspätungen zustehen.

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„Aufgrund der Arbeitsbelastung bei den Call-Centern und Hotlines hakt es bisweilen in der jetzigen schwierigen Lage“, sagt BDL-Präsident Jost Lammers, Chef des Münchner Flughafens, unserer Redaktion. „Auch wir als Branche sind unzufrieden, wenn wir hier den gewohnten Service nicht bieten können.“

Mittelfristig soll die Digitalisierung vieles besser machen. Der Check-in ist heute meist online oder per App möglich. „Als nächstes brauchen wir zum Beispiel die digitale Überprüfung von Reisedokumenten bis hin zur komplett papierlosen Reise“, sagt Lammers. Der Zugang zur Sicherheitskontrolle und zum Boarding könne auf freiwilliger Basis per Biometrie erfolgen. Lammers: „Auch bei den Grenzkontrollen ist das grundsätzlich möglich, die Technik ist dafür da.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.