Berlin. Luxemburg bietet kostenlosen Nahverkehr für alle an. Auch in Deutschland wachsen nun die Ideen, was nach dem 9-Euro-Ticket folgen kann.

Das kleine Luxemburg wirbt seit einiger Zeit mit einem neuen Slogan: Es sei das erste Land der Welt, das Mobilität kostenlos gemacht habe. Das Herzogtum hat seit 2020 den öffentlichen Nahverkehr für alle zugänglich gemacht, umsonst, auch für Pendlerinnen und Pendler sowie Tourismus-Reisende.

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Luxemburg ist nicht das einzige Land, das diesen Weg geht. Malta will im Herbst folgen, und zumindest für die eigenen Bürger Bus und Bahn kostenlos anbieten. Einzelne Städte wie etwa die estnische Hauptstadt Tallinn oder das französische Dünkirchen haben dieses Angebot bereits eingeführt. Laut einem Bericht der „Deutschen Welle“ fahren nun in Dünkirchen weniger Autos auf den Straßen, zeigt eine Studie.

9-Euro-Ticket: Viele steigen offenbar auf Bus und Bahn um

Und Deutschland? Das für den Sommer geltende 9-Euro-Ticket für Busse und Bahnen in ganz Deutschland nennen viele einen Erfolg. Laut dem Bundesverkehrsministerium hätten bislang nicht nur rund zehn Millionen Abonnenten das Ticket erworben, sondern auch etwa 21 Millionen Neukunden. "Wir haben spürbar weniger Verkehr auf den Straßen, deutlich weniger Staus. Offenbar sind viele vom Auto in Busse und Bahnen umgestiegen", sagte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).

Erste Studien legen zwar keinen massiven Rückgang des Straßenverkehrs nahe, wie Wissing andeutet. Aber zumindest einen leichten. Was aber zutrifft: Die Nutzung von Bussen und Bahnen ist im ersten 9-Euro-Ticket-Monat Juni steil nach oben gegangen, im Schnitt mehr als 40 Prozent.

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Doch Ende August soll dieses Experiment enden. Oder doch nicht? Mit dem Erfolg wächst die Debatte darüber, welches Modell im öffentlichen Nahverkehr dauerhaft einer Zeit der Energieknappheit und Klimakrise gerecht wird.

Bahn und Bus: Ampel will in Herbst Schlüsse aus 9-Euro-Ticket ziehen

Verkehrsminister Wissing sagte nun der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Wenn die komplizierten Tarifzonen verschwinden und die Tickets bundesweit gelten, wird der öffentliche Nahverkehr sehr viel stärker genutzt." Die Bundesregierung solle daher Wege finden, den "Tarif-Dschungel in Deutschland zu beenden". Die Erfahrungen mit dem Ampel-Projekt würden erst gründlich ausgewertet: "Ab Herbst werden wir dann die notwendigen Schlüsse ziehen."

Grafik: „Mobilität nach Verkehrsart im Vergleich zu 2019“
Grafik: „Mobilität nach Verkehrsart im Vergleich zu 2019“ © dpa | dpa-infografik GmbH

Was das genau bedeutet, und ob der Bund den Ländern dauerhaft Geld für Billigfahrscheine zuschießen werde, ließ Wissing offen. Dass die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖNVP) für die Länder, Städte und Kommunen eine große Herausforderung sei, könne er nachvollziehen. "Allen ist aber auch klar, dass der Bund kein Monatsticket für neun Euro auf Dauer finanzieren kann. Das wären jährlich rund zehn Milliarden Euro."

Fachleute heben hervor, dass nicht nur der günstige Preis ein Faktor für den Erfolg des 9-Euro-Tickets sei – sondern auch die einfachen, weil einheitlichen, Tarifstrukturen. "Deshalb müssen wir darüber nachdenken, perspektivisch ein bundesweit gültiges, einheitliches und vergünstigtes Ticket folgen zu lassen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, unserer Redaktion. So belegt eine Studie über den Verkehr in Hamburg etwa, dass vor allem für Menschen in ärmeren Stadtteilen der Flickenteppich an Tarifen bei der Nutzung von Bussen und Bahnen abschreckt.

Union fordert "einfaches, anwenderfreundliches und faires Ticketsystem"

Wissings Vorschlag sei richtig und solle "ab dem Herbst umgesetzt werden". Über die Frage der Finanzierung sollten sich Bund und Länder vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket verständigen, fügte Landsberg hinzu. "Der ÖPNV braucht nach dem 9-Euro-Ticket dringend eine solide Finanzierungsbasis, denn eine dauerhaft günstige Tarifstruktur darf auf keinen Fall in Angebotskürzungen münden." Erst mit einer dauerhaften Mittelerhöhung durch Bund und Länder entstünden die notwendigen Spielräume, um mehr Busse und Bahnen fahren zu lassen und auch tarifliche Angebote deutlich zu verbessern.

Skeptisch zeigt sich die Union. Der verkehrspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, Thomas Bareiß, sagte: "Die Menschen wollen ein einfaches, anwenderfreundliches und faires Ticketsystem. Alle Erfahrungen und Umfragen haben gezeigt, dass allerdings in erster Linie das Angebot stetig verbessert werden muss."

Nur so würden die Menschen auch nachhaltig umsteigen. Bareiß nannte das 9-Euro-Ticket eine „sehr teuere Marketingkampagne“. Jetzt fehle das Geld für den notwendigen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. "Vor Ort werden die Mittel knapp und vielerorts droht die Gefahr, dass sich das Bus und Bahn Angebot in den nächsten Monaten sogar verschlechtert", warnte der CDU-Politiker. "Nach dem Strohfeuer 9-Euro-Ticket droht jetzt der Katzenjammer."

Vorstöße kommen nun auch von Fachverbänden. Die Verbraucherzentralen schlagen vor, aus dem 9-Euro-Ticket ein 29-Euro-Ticket zu machen – also ein stark vereinfachtes Modell genau so beizubehalten, nur den Preis leicht anzuheben. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat die Idee des "Länder-Plus-Tickets" ins Spiel gebracht. Auch hier ist das Ziel: den komplizierten Tarif-Flickenteppich durch acht sich teils überlappende Großräume zu ersetzen. Abos für Fahrten in diesen Großräumen sollen pro Monat zwischen 30 und 75 Euro kosten.

Dieser Text erschien zuerst auf www.morgenpost.de