Berlin. Kanzler Scholz sucht Lösungen gegen die Inflation. Beim Treffen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern geht es auch um Einmalzahlungen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) greift in diesen Tagen auf ein wirtschaftspolitisches Hilfsmittel der Sechziger- und Siebzigerjahre zurück. Es nennt sich konzertierte Aktion und beschrieb seinerzeit eine Verabredung, bei der Gewerkschaften in wirtschaftlichen Krisenzeiten zusagten, sich mit Lohnforderungen zurückzuhalten, während im Gegenzug der Staat die Wirtschaft unterstützte.

Rund ein halbes Jahrhundert später findet diese Format eine Wiederauflage. Angesichts emporschnellender Inflation infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine will sich Scholz am kommenden Montag mit Arbeitgebern und Gewerkschaften im Kanzleramt treffen, um Lösungen gegen die anhaltend hohen Preise zu diskutieren.

Die Teuerungen waren in den vergangenen Monaten massiv. Viele Waren des Alltags haben Rekordpreise erreicht. Die meisten Bürgerinnen und Bürger ächzen unter hohen Kosten in vielen Lebensbereichen und auch die Unternehmen kommen wegen der teuren Energie und unterbrochener Lieferketten unter Druck.

Inflation: Scholz für Einmalzahlung, Arbeitgeber und Gewerkschaften sind skeptisch

Ein Vorschlag aus der SPD liegt bereits auf dem Tisch: Arbeitgeber tarifgebundener Betriebe sollen eine steuerfreie Einmalzahlung an die Beschäftigten leisten. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte sich dafür ausgesprochen. Auch Scholz zeigte dem Vernehmen nach Sympathie für die Idee. Gewerkschaften und Arbeitgeber sehen hingegen eine Einmischung in Tarifverhandlungen.

Die Maßnahmen ist auch deshalb umstritten, weil sie nur jene rund 40 Prozent der Beschäftigten erreichen würde, die in einem tarifgebundenen Betrieb arbeiten. So stellt sich die Frage, ob und falls ja, worauf sich die Runde zu Wochenbeginn einigen wird und wem die konzertierte Aktion am Ende hilft.

SPD-Chefin Saskia Esken warnte im Vorfeld davor, sich bei der konzertierten Aktion auf Einmalzahlungen an die Beschäftigten zu beschränken. „Einmalzahlungen und befristete Entlastungsmaßnahmen helfen kurzfristig, sind aber auf Dauer keine Lösung“, sagte Esken unserer Redaktion. Die Preise vor allem für Energiepreise würden hoch bleiben.

SPD-Chefin Esken: Sozialleistungen an steigende Inflation anpassen

„Als Sozialstaat müssen wir daher die Leistungen an die steigende Inflation anpassen.“ Zusätzlich müssten die Löhne auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Niedriglohnsektor, „signifikant und dauerhaft steigen“, forderte sie. „Dadurch lösen wir ganz unmittelbar eine Lohn-Kaufkraft-Spirale aus, die die Binnennachfrage stärkt und damit weitere positive Effekte auf die Konjunktur erwirkt.“

Ein wichtiges Ziel der konzertierten Aktion müsse auch sein, die Tarifbindung wesentlich zu erhöhen. Sie sehe die konzertierte Aktion nicht als einmaligen Gipfel, sondern als „einen Prozess, der die aktuelle Krise als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angeht“, machte Esken deutlich. Gerade Menschen mit kleinen Einkommen stünden angesichts der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise vor einer existenziellen Bedrohung.

Der CDU-Sozialflügel forderte vor dem Krisentreffen sogar deutlich weiter reichende Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. In einem Beschlusspapier, das unserer Redaktion vorab vorlag, fordert der Arbeitnehmerflügel der Union (CDA) unter anderem eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Zuzahlungen für Hartz IV-Empfänger sowie langfristig niedrigere Preise im öffentlichen Personennahverkehr.

Hohe Preise: CDU-Sozialflügel fordert Steuersenkung auf Grundnahrungsmittel

„Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, die um bis zu 40 Prozent teurer geworden sind, muss vorübergehend reduziert werden“, heißt es in dem Papier, das am Samstag verabschiedet werden sollte. Die Energiekostenpauschale in Höhe von brutto 300 Euro muss nach Vorstellungen des CDU-Sozialflügels „auch Rentnern und Studierenden sowie Versorgungsempfängern und Beziehern von Lohnersatzleistungen“ wie etwa jungen Eltern zugänglich gemacht werden.

Außerdem seien die Leistungen der Grundsicherung „zeitnah – bei außergewöhnlichen Preissteigerungen erforderlichenfalls in Sonderrunden – anzupassen“. Weiter wird gefordert, der ÖPNV müsse „dauerhaft günstiger werden.“ Zudem brauche es ein Entfernungsgeld „unabhängig vom Einkommen“. Ziel sei es, Pendler fairer zu entlasten.

Um die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen abzusichern, spricht sich die CDA indirekt für höhere Beiträge für Menschen mit hohem Einkommen aus. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze dürfe „kein Tabu“ sein. Der CDA-Vize und Chef der Arbeitnehmergruppe der Union im Bundestag, Axel Knoerig (CDU), appellierte vor der „konzertierten Aktion“ an die Beteiligten, Lösungen im Umgang mit den gestiegenen Preisen zu suchen.

Finanzminister Lindner (FDP) bremst bei Mehrausgaben gegen Inflation

„Die Inflation darf nicht die Lohnerhöhungen auffressen. Wir müssen mit steuerlichen Maßnahmen gegenlenken, sonst haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weniger im Portemonnaie“, sagte Knoerig unserer Redaktion.

Der Verbraucherexperte der Union, Volker Ullrich (CSU), sagte unserer Redaktion, die hohe Inflation belastet schon jetzt den Alltag vieler Menschen massiv. „Der Staat trägt die soziale Verantwortung, sich besonders um jene zu kümmern, die derzeit am stärksten betroffen sind“, sagte Ullrich.

Derweil trat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf die Bremse und sprach sich vor dem Treffen gegen mehr Staatsausgaben und Subventionen im Kampf gegen die hohe Inflation aus. Er werde stattdessen dafür werben, „dass wir zu einer angebotsorientierten Politik kommen“, sagte Lindner. Nötig seien „Anreize, dass ohne staatliches Geld mehr produziert wird und die Produktivität steigt“.

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