Berlin. Die Eindämmung der Affenpocken kann noch Wochen dauern. Lars Schaade vom Robert Koch-Institut erklärt, welche Fehler dabei drohen.

Es sind mehr als 1050 bestätigte Fälle in Deutschland und fast 5000 in über 50 Ländern außerhalb Afrikas (Stand 1. Juli). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt den Verlauf der Affenpocken besorgniserregend. Noch sieht die Organisation keine „Notlage von internationaler Tragweite“.

Steige aber die Zahl der Ansteckungen weiter stark an oder verändere sich das Virus, will die WHO rasch neu entscheiden. Wie ist die Situation in Deutschland? Ist das Virus noch zu kontrollieren? Ein Überblick.

Affenpocken: Wer ist betroffen und wie schwer verlaufen die Infektionen?

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) gibt es bisher hierzulande nur eine Handvoll Fälle ohne Geschlechtsangabe. Bei den übrigen steht fest: Es sind Männer. Bei den Fällen, für die dem RKI Angaben zum wahrscheinlichen Übertragungsweg übermittelt wurden, war angegeben, dass es sich überwiegend um sexuelle Kontakte zwischen Männern handelt.

„Das sind derzeit die Hauptbetroffenen“, sagt Lars Schaade, Vizepräsident des RKI und Professor für Mikrobiologie und Virologie. Etwa vier Prozent der Infizierten in Deutschland sind aktuell in ein Krankenhaus eingeliefert worden, lebensbedrohliche Verläufe gibt es laut RKI bisher nicht. Lesen Sie auch:Affenpocken - Infizierter macht Deutschland schwere Vorwürfe

„Außerhalb von Afrika gibt es während des aktuellen Ausbruchsgeschehens bisher nur einen Todesfall, der mit Affenpocken in Verbindung stehen könnte, in Brasilien. Dieser wird gerade von der WHO untersucht“, sagt Schaade. Die Sterblichkeit sei damit deutlich geringer als bei den Infektionen, die in den vergangenen Jahren in Zentral- und Westafrika aufgetreten sind, wo das Virus schon länger zirkuliert.

Was weiß man inzwischen über den Übertragungsweg?

Zwei unabhängige klinisch-virologische Untersuchungen von Affenpockenfällen in Deutschland und Italien haben ergeben, dass die Viren in Abstrichen der Hautläsionen, in den Pocken an Genitalien und Anus, in Blutserum, Plasma, Samenflüssigkeit, Fäkalien und Nasen-Rachen-Abstrichen nachgewiesen werden konnten. Hinweise darauf, dass die Viren wie Sars-Cov-2 auch leicht über die Luft übertragen werden, gibt es laut RKI bisher nicht. Eine Tröpfchen-Übertragung bei Unterhaltungen mit einer Person, die sich in der unmittelbaren Nähe befindet, könne aber nicht ausgeschlossen werden.

Die Sorge, dass die Viren sich durch Kontakte im Haushalt verstärkt in die Gesellschaft ausbreiten, hat sich bisher nicht bestätigt. „Es kann im Haushalt, etwa durch eine Kontamination von Gegenständen oder auch Bettwäsche, zu Ansteckungen kommen. Das ist aber glücklicherweise, soweit wir wissen, bisher nicht passiert“, sagt Schaade.

Was es für eine Übertragung brauche, sei enger Kontakt. „Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Menschen Sex haben. Zwar häufen sich die Hinweise, dass die Viren in der Samenflüssigkeit sein können und diese dann auch infektiös ist“, sagt Schaade, die Viren könnten aber auch beim Küssen übertragen werden, und vor allem bei engem Haut-zu-Haut-Kontakt.

Nach Angaben der WHO verhält sich das Virus ungewöhnlich. Was bedeutet das?

„Wir müssen sehr wachsam sein“: Lars Schaade, Professor für Virologie und Vizepräsident des Robert Koch-Instituts (RKI).
„Wir müssen sehr wachsam sein“: Lars Schaade, Professor für Virologie und Vizepräsident des Robert Koch-Instituts (RKI). © dpa | Michael Kappeler

Der jetzige Ausbruch unterscheidet sich von dem, was Mediziner aus der Vergangenheit und aus den Lehrbüchern kennen. „Normalerweise bekommen Betroffene zunächst Fieber, Frösteln, Unwohlsein, Glieder- und Kopfschmerzen, geschwollene Lymphknoten und dann erst die charakteristischen Pocken an Handflächen, Fußsohlen, am Rumpf oder im Gesicht“, sagt Schaade.

Bei den nun beobachteten Fällen, die meist nach einer Inkubationszeit von 5 bis 21 Tagen offenbar werden, träten bei einigen Fällen zunächst eine einzelne oder mehrere Pocken am Eintrittsort des Virus auf, bevor es zu den grippeähnlichen Beschwerden und in einer dritten Phase zu einer weiteren Pustelbildung kommt.

Es kommt aber auch vor, dass die Allgemeinsymptome und die weitere Ausbreitung der Pusteln ausbleiben. Die Pocken hätten zudem in vielen Fällen auch unterschiedliche Reifegrade. „Sie treten also nicht immer- wie zuvor oft berichtet - synchron auf“, so Schaade. Laut RKI könnten diese Abweichungen darauf hindeuten, dass das Virus schon länger im Menschen zirkuliere als bisher angenommen.

Schützt eine „alte Pockenimpfung“ gegen Infektion?

Dazu gibt es bisher keine systematische Studie. „Wir können uns aber nicht darauf verlassen, dass eine Impfung, die 40 Jahre oder länger zurückliegt, einen Schutz gegen Infektion bietet.“ Die aktuellen Impfungen, die vor kurzem in Deutschland begonnen haben, finden mit einem neueren Vakzin statt. Deutschland hat 240.000 Impfdosen bestellt, 40.000 davon sind bereits an die Bundesländer ausgeliefert worden.

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Werden die Affenpocken zu einer sexuell übertragbaren Krankheit, die bleibt?

„Diese Gefahr gibt es. Auf der anderen Seite sehe ich noch ein Zeitfenster, um das verhindern zu können“, erklärt Virologe Schaade. Laut RKI gebe es dafür wirksame Instrumente: Information zur Vorbeugung und zur frühen Diagnose, Isolation und Quarantäne und die Impfung. „Es gibt die Empfehlung, dass sich Menschen nach einem Kontakt mit einem Infizierten oder mit entsprechendem Risikoverhalten impfen lassen sollen.

Zwar wissen wir noch nicht genau, wie gut der aktuelle Impfstoff eine Übertragung verhindert, aber wir denken, dass er zu etwa 85 Prozent vor Affenpocken schützt“, sagt Schaade. „Darüber hinaus ist eine Reduzierung der Anzahl von Sexualpartnern ein wichtiges Mittel, das Risiko für Infektion zu senken.“

Schaade appelliert: „Wir dürfen vor allem einen Fehler nicht machen. Betroffene stigmatisieren oder diskriminieren.“ Das berge die Gefahr, dass Infizierte mit der Erkrankung nicht offen umgingen. „Das wichtigste in der jetzigen Situation ist Transparenz. Wenn wir das nicht hinkriegen, sieht es nicht gut aus“, so Schaade weiter. „Auch für die Betroffenen selbst und ihre Kontaktpersonen ist diese Transparenz wichtig, damit sie die bestmögliche Behandlung bzw. die Impfung bekommen können.“

Wie ist die Prognose für die Zukunft?

Aufgrund der langen Inkubationszeit von bis zu 21 Tagen wird es nach Einschätzung des RKI länger dauern, bis man eine abflachende Kurve der Ansteckungen sehen kann. „Wir reden da schon über einige Wochen“ sagt Schaade. „Es wird bis zum Spätsommer oder Frühherbst dauern, bis wir sehen ob die Bemühungen, den Ausbruch einzugrenzen, erfolgreich waren“.

Schaade ist optimistisch, dass die Fallzahlen sinken werden, „wenn gut informiert wird, die Vorsichtsmaßnahmen für die Fälle und Kontaktpersonen greifen und der Impfstoff vernünftig eingesetzt wird. Ich glaube aber, dass wir auch in den Monaten danach immer mal wieder Fälle sehen werden. Wir müssen sehr wachsam sein.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.