Washington. Die Tage vor ihrer Strafmaßverkündung verbringt Ghislaine Maxwell in einer Einzelzelle. Die Epstein-Komplizin könnte Suizid begehen.

Am Dienstag soll das Strafmaß für Ghislaine Maxwell, die Komplizin des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein, verkündet werden. Dann entscheidet sich, wie die Verleger-Tochter für ihre Mittäterschaft bei der sexueller Ausbeutung minderjähriger Frauen zur Verantwortung gezogen werden soll. Weil die Gefängnisleitung offenbar aus den Fehlern im Fall Epstein gelernt hat, verbringt Maxwell das Wochenende allerdings in einer Sonderbehandlung.

Nachdem sich der zu Lebzeiten in Politik, Königshäusern und High Society blendend vernetzte Sexualstraftäter Jeffrey Epstein im August 2019 mit einem Bettlaken in seiner Zelle im berüchtigten "Metropolitan Correctional Center" von New York City aufgehängt hatte, kam eine dubiose Geschichte aus Wegsehen und Versagen ans Tageslicht. Wegsehen und Versagen der Gefängnisleitung. Das soll sich nun nicht wiederholen.

Ghislaine Maxwell, hier 2013, war die Komplizin des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein
Ghislaine Maxwell, hier 2013, war die Komplizin des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein © dpa

Ghislaine Maxwell steht am Wochenende wegen Suizid-Gefahr unter Sonderbeobachtung und wurde in eine Einzelzelle verlegt. Ohne ihre Kleidung. Ohne Zahnpasta und Seife, wie ihre Anwältin Bobbi Sternheim klagt. Und ohne alle nötigen Unterlagen, um sich angemessen auf den Moment vorbereiten zu können, der darüber entscheidet, ob die Tochter des britischen Verlegers Robert Maxwell den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen muss oder nicht.

Sternheim, die vor Tagen anführte, dass ihre Mandantin im Knast von einem Scharfschützen erschossen oder von einer Mitinhaftierten ermordet werden könnte, hält die mit Schlafentzug verbundene "suicide watch" für Schikane. Maxwell sei von einer Gutachterin als nicht suizidgefährdet eingestuft worden, erklärte die bekannte Strafverteidigerin.

Sternheim will an diesem Montag bei Richter Alison Nathan eventuell einen neuen Termin für die Bekanntgabe des Strafmaßes einfordern.

Maxwell muss im schlimmsten Fall für 55 Jahre in Haft

Bekommen dabei ihre Ankläger recht, müsste Ghislaine Maxwell mindestens 90 Jahre alt werden, um noch einmal die Welt in Freiheit zu erleben. Im härtesten Fall – das wären 55 Jahre Gefängnis – würde die 60-Jährige ihre letzten Atemzüge nach menschlichem Ermessen hinter Gittern tun.

Die geforderte Spanne stammt von der Staatsanwaltschaft. Sie hatte es geschafft, dass Maxwell Ende vergangenen Jahres wegen Führung eines Sexhandelsrings in mindestens fünf Fällen für schuldig befunden wurde. Anklägerin Lara Pomerantz damals: "Sie ist ein Raubtier, das verletzlichen jungen Mädchen auflauerte, sie manipulierte und zum Missbrauch servierte."

Das und vor allem die Tatsache, dass die seit 2020 im Gefängnis einsitzende Ex-Jetset-Dame bis heute "keinen Funken Verantwortung übernimmt und auf schockierende Weise auch kein bisschen Reue zeigt", nahmen die Ankläger um Bezirks-Staatsanwalt Damian Williams zum Anlass für ihre knallharte Straf-Forderung. Maxwell hat "sehr verletzlichen Opfern verheerenden Schaden zugefügt", sagt Williams, mache dafür Gott und die Welt verantwortlich – aber nie sich selbst.

Maxwells Verteidigung: Sie will "Gutes in der Welt tun"

Maxwells Verteidiger sehen den Fall völlig anders. Danach seien maximal vier Jahre und drei Monate als Strafe angemessen. Schließlich sei Frau Maxwell von dem Wunsch beseelt, "Gutes in der Welt zu tun". Etwa durch Unterstützung der gemeinnützigen Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton (der ein häufiger Gast in Epsteins Privatflugzeug war).

Wie das zusammengeht mit Schilderungen von Opfern, die im Prozess mit erschütternden Details nachzeichneten, wie Maxwell junge Frauen für Epsteins unstillbare Gier in Einkaufszentren oder auf der Straße mit falschen Versprechen rekrutierte, erschließt sich Prozess-Insidern nicht.

Beim Schuldspruch am 29. Dezember 2021 wiesen die Geschworenen den Vorwurf zurück, Maxwell sei nach dem Ableben Epsteins Opfer eines Stellvertreterprozess geworden. Vielmehr sei die dunkelhaarige Milliardärs-Tochter die "rechte Hand" Epsteins gewesen und habe, um ihren privaten Luxus zu bewahren, das brutale Missbrauchsspiel mitgespielt und die jungen Opfer zu einer "Kultur des Schweigens" gezwungen.

So sah Maxwell laut einer Gerichtsskizze zuletzt aus
So sah Maxwell laut einer Gerichtsskizze zuletzt aus © dpa

Maxwells und Epsteins Opfer sollen ihre Geschichte erzählen

Die wollen die Staatsanwälte beim vorläufig letzten Auftritt Maxwells aufbrechen. Mehrere Opfer, darunter Annie Farmer, Sarah Ransome und die durch ihren von Epstein vermittelten Sex-Kontakt zum englischen Royal Prinz Andrew bekannte gewordene Virginia Giuffre, sollen bei der Strafmaß-Zuteilung über ihre Leidensgeschichten berichten.

Ransome zum Beispiel, die nach eigenen Worten über Monate das "Sexspielzeug" von Epstein und Maxwell war, hatte zwei Selbstmordversuche unternommen. Fotos von ihr danach im Krankenhaus sollen herzzerreißend sein.

Offizielle Einstellung von Missbrauchsverfahren gegen Prinz Andrew

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    Virginia Giuffre schließlich schreibt in ihrem Opferbericht: "Du hättest die Vergewaltigungen, die Belästigungen, die du arrangiert hast und an denen du sogar beteiligt warst, beenden können. Du hättest die Behörden alarmieren und gestehen können, dass du an etwas Furchtbarem beteiligt warst. Ghislaine, Du verdienst es, den Rest deines Lebens in einer Gefängniszelle zu verbringen. Du verdienst es, in einem Käfig gefangen gehalten zu werden, genau so wie du deine Opfer eingeschlossen hast."

    Maxwells Anwältin Sternheim will die Opfer-Berichte unbedingt verhindern. Richter Nathan hat noch nicht entschieden.

    Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.