Berlin. Sind wir auf den nächsten Corona-Winter vorbereitet? Nein, sagen Experten und warnen. Es droht wieder Chaos, kommentiert Jan Dörner.

Der Sommer fühlt sich herrlich unbeschwert an. Es werden Familienfeste und Geburtstagsfeiern geplant, Abibälle finden statt. Musiker spielen vor Publikum, zu Sportevents sind Zuschauer erlaubt, die Cafés und Biergärten sind voll. Masken werden kaum noch getragen, schon gar nicht in beliebten Urlaubsländern. Es fühlt sich an, als hätten wir unser Leben aus der Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie zurück. Das haben wir nicht.

Zumindest nicht, wenn der Corona-Expertenrat der Bundesregierung mit seiner Prognose für den kommenden Herbst und Winter richtig liegt. Die Berater haben drei Szenarien für den Verlauf der kommenden Monate entworfen: Diese reichen von der günstigsten Annahme, dass sich eine noch mildere Variante als die aktuell dominierenden Virustypen durchsetzt, über eine saisonbedingte Fortentwicklung der aktuellen Umstände bis zu dem Aufkommen einer neuen, aggressiveren Variante, die den bisherigen Impfschutz durchbricht.

Eine Belastung des Gesundheitswesens, vor allem der Kinderkliniken, erwartet das Gremium selbst bei der positivsten Annahme. „Insbesondere vulnerable Gruppen müssen auch weiterhin in allen Szenarien geschützt werden“, warnen die Experten. Eine Vorbereitung auf jede der denkbaren Entwicklungen sei daher unerlässlich. Von der Politik verlangen die Berater, rechtlich, kommunikativ, medizinisch und organisatorisch jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, um bei einem Anstieg der Zahlen entschlossen und einheitlich reagieren zu können.

Politik-Korrespondent Jan Dörner.
Politik-Korrespondent Jan Dörner. © Privat | Privat

Die Regierungskoalition zieht in der Pandemie nicht an einem Strang

Nach zwei chaotischen und belastenden Corona-Wintern mit überlasteten Krankenhäusern, geschlossenen Kitas und Schulen sowie Einschränkungen für die Wirtschaft und das öffentliche Leben kommen Zweifel auf, ob eine vorausschauende Planung in diesem Jahr gelingt. In den anstrengendsten Zeiten der Pandemie glich die Diskussion der politisch Verantwortlichen einer Kakophonie. Manche Ministerpräsidenten taten sich durch zackige Richtungswechsel hervor, wenn sie sich unter Druck fühlten.

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Es ist zu befürchten, dass sich an diesen Grundreflexen nichts geändert hat. Erschwerend kommt hinzu, dass die Koalition im Bund in der Pandemiebekämpfung nicht an einem Strang zieht. Die FDP lehnt erneute Einschränkungen ab und hat dem Kanzler mit ihrem Nein zu einer Impfpflicht die erste schwere Niederlage seiner Amtszeit beigebracht. Nach der Sommerpause wollen die Ampel-Partner gemeinsam mit den Bundesländern versuchen, einen Plan für die Herbst- und Wintermonate zu entwerfen. Das Infektionsschutzgesetz läuft im September aus.

Ein Hinweisschild weißt die Bürger daraufhin in der Straßenbahn Mund-Nasen-Schutz, zu tragen.
Ein Hinweisschild weißt die Bürger daraufhin in der Straßenbahn Mund-Nasen-Schutz, zu tragen. © dpa | Roberto Pfeil

Der FDP sind Corona-Auflagen ein Graus

Die bisherigen Diskussionen innerhalb der Koalition lassen erahnen, wie schwierig das werden wird. Zu den Maßnahmen, die bei einem Hochschnellen der Infektionszahlen im kommenden Herbst und Winter griffbereit sein sollen, gehören für das Expertengremium eine Rückkehr der allgemeinen Maskenpflicht, Abstandsregeln in Innenräumen oder Kontaktbeschränkungen. Alles Regelungen, die der FDP ein Graus sind – und die sich auch sonst wirklich niemand zurückwünscht.

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Die Ampel-Koalition muss den Sommer jedoch nutzen, um auch solche Schritte innerhalb eines klaren Regelwerks vorzubereiten. Wenn sie doch nicht gebraucht werden, umso besser. Wenn das Regierungsbündnis die Ratschläge seiner Experten aber aufgrund politischer Streitigkeiten ignoriert, wären die Einschätzungen der Wissenschaftler nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Und dem Land drohte ein erneutes Corona-Chaos.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de