Berlin. Wagenknecht und andere wollen die Linke erneuern. Kritik kommt von der Linksjugend Solid. Alles zum „Aufruf für eine populäre Linke“.

Das Momentum hatte sie zumindest auf ihrer Seite. Nur wenige Stunden, nachdem bekannt wurde, dass Sahra Wagenknecht nicht aus der Linkspartei ausgeschlossen wird, wagte die 52-jährige Politikerin einen Vorstoß, der in den eigenen Reihen für Aufsehen sorgte. In ihrem „Aufruf für eine populäre Linke“ forderte sie am Dienstagmorgen eine Erneuerung der Partei – etwa mehrere Tausende Mitglieder der Linken haben das Positionspapier in den ersten Stunden unterschrieben.

„So wie bisher darf es nicht weitergehen – sonst verschwindet die Partei in der Bedeutungslosigkeit“, mahnt Wagenknecht. Die Linke müsse sich für die Mehrheit der Bevölkerung einsetzen und dürfe sich „nicht auf bestimmte Milieus verengen“.

„Populäre Linke“: Partei solle für Arbeiter, Familien, Rentner und sozial Benachteiligte einstehen

Die Linkspartei solle zudem für Arbeiter, Familien, Rentner und sozial Benachteiligte einstehen, heißt es in Wagenknechts Aufruf. „Es ist unsere Pflicht, die Menschen zu erreichen, deren Interessen missachtet werden, und die sich eine Verbesserung ihrer Lebenssituation erhoffen.“ Und: Eine besondere Verantwortung habe die Linke für Menschen im Osten.

Der Grundtenor ihres Vorstoßes ist ähnlich zu den Aussagen, die Wagenknecht bereits in der Vergangenheit getroffen hatte – Aussagen, die zu einem Konflikt mit der damaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping geführt hatten. Ähnliche Kritik hat Wagenknecht in „Die Selbstgerechten“ getroffen. Ihr Buch erschien im Bundestagswahljahr 2021. Wagenknecht warf darin linken Parteien vor, ihre Stammwählerschaft mit Themen wie gendergerechte Sprache, Klimaschutz und Bio-Ernährung zu verprellen.

Es war eine Abrechnung mit den so genannten „Lifestylelinken“, die sich zwar korrekt verhalten würden, aber den Kontakt zur Basis verloren hätten. Seitdem toben in der Linken hitzige Debatten. Kurz nach Veröffentlichung des Buches beantragten einige Parteimitglieder das besagte Parteiausschlussverfahren gegen Wagenknecht – ohne Erfolg.

Linksjugend Solid übt Kritik am „Aufruf für eine populäre Linke“

Kritik kommt nun von der Linksjugend Solid. Die Jugendorganisation der Linkspartei teile Wagenknechts Anspruch, linke Politik an gemeinsamen Klasseninteressen auszurichten, doch eine Rückbesinnung statt der wirklichen Erneuerung sei „nicht zielführend“. „Wir leben nicht mehr in den 2000ern, Politik aus den 2000ern wird in der aktuellen Lage nicht funktionieren, wir teilen die Romantisierung der damals neu gegründeten Linkspartei nicht“, sagte ein Vertreter der Organisation gegenüber dieser Redaktion.

Die Linksjugend Solid stört sich an einem „geschlechtspolitischen blinden Fleck“: „Die vom Aufruf vorgeschlagene Fokussierung auf Umverteilung, Umwelt- und Klimapolitik, Friedenspolitik und Kampf gegen Überwachung und für persönliche Freiheiten erscheint und etwas willkürlich, sie lässt einige Themen außen vor, ohne es groß zu begründen.“ Zudem finde sich in Wagenknechts Aufruf „kein Wort“ zu dem Sexismusskandal, der die Linkspartei vor wenigen Wochen erschüttert hatte, kritisiert die Jugendorganisation weiter.

Die Linke steckt in einer Krise

Fest steht also: Die Debatten um die Zukunft der Partei wurden vom Vorstoß zur „populären Linken“ noch einmal angeheizt. Die Linke müsse sich einer Aufrüstung konsequent widersetzen, fordern Wagenknecht und ihre Mitstreiter. Vor allem eine Passage bietet Zündstoff: Die Linke solle sich auch vom „opportunistischen Streben nach Mitregieren um den Preis der Aufgabe linker Ziele“ distanzieren – ein Seitenhieb von Wagenknecht gegen die ehemalige Führungsspitze Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow.

Vom Aufbruch ist nicht viel geblieben: Susanne Hennig-Wellsow (r.) ist als Parteichefin zurückgetreten, Janine Wissler stellt sich zur Wiederwahl.
Vom Aufbruch ist nicht viel geblieben: Susanne Hennig-Wellsow (r.) ist als Parteichefin zurückgetreten, Janine Wissler stellt sich zur Wiederwahl. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Beide hatten die Partei im Vorjahr in den Bundestagswahlkampf geführt und offen über eine Regierungsbeteiligung gesprochen. Das hat sich nach der Wahl zerschlagen: Die Linke ist unter der Fünf-Prozent-Marke geblieben. Bei den Landtagswahlen 2022 im Saarland (2,6 Prozent), in Schleswig-Holstein (1,7 Prozent) und in Nordrhein-Westfalen (2,1 Prozent) erreichte Links ebenfalls Tiefstwerte. Seit Monaten schon steckt die Partei in einer tiefen Identitäts- und Ergebniskrise. Sie wirkt zerstritten, auch im Umgang mit der Nato und zu Russland. Hennig-Wellsow ist inzwischen zurückgetreten.

Eine neue Führungsspitze wird Ende Juni auf dem Parteitag in Erfurt gewählt. Insofern überrascht der Zeitpunkt von Wagenknechts Vorstoß zur Partei-Erneuerung nicht. Wissler stellt sich wieder zur Wahl – als Gegenkandidatin geht die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek ins Rennen. Sie kündigte an, dass es ein „Weiter so“ mit ihr nicht gebe. In Erfurt werden zudem der Europapolitiker Martin Schirdewan und der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann kandidieren.

Wagenknechts „Aufstehen“ war krachend gescheitert

Pellmann und Reichinnek passen programmatisch eher zu Wagenknechts Ideen als Wissler und Schirdewan. Wissler beispielsweise hat sich als Parteichefin bereits kritisch zur wohl prominentesten und zugleich kontroversesten Linken-Politikerin geäußert: Sahra Wagenknecht.

Übrigens ist es nicht ihr erster Vorstoß für einen Neuanfang linker Politik. 2018 war Wagenknecht Mitorganisatorin der Sammelbewegung „Aufstehen“, die eine neue Friedenspolitik, eine gerechtere Steuerpolitik sowie Wähler von der AfD zurückgewinnen wollte. „Aufstehen“ scheiterte nach hohen Erwartungen krachend.