Berlin. Hilflos gegen Starkregen und Sturzfluten: Wissenschaftler sehen in Deutschland „erhebliche Defizite“ beim Flutschutz. Ihre Forderungen.

Mitte Juli ist es ein Jahr her: Das Jahrhunderthochwasser im Ahrtal (Rheinland Pfalz) und in weiteren Gebieten im Südwesten Deutschlands im vergangenen Sommer war eine Katastrophe besonderen Ausmaßes. Viele Menschen verloren bei der Flut ihr gesamtes Hab und Gut, 134 Menschen im Ahrtal ihr Leben.

Ein Einzelfall bleiben wird es nicht. Starkregen und Sturzfluten werden in Zukunft infolge des Klimawandels immer häufiger auch über Deutschland hereinbrechen, da sind sich die meisten Forscherinnen und Forscher einig.

Allerdings: „Kaum eine Stadt oder Gemeinde ist darauf wirklich vorbereitet“, Deutschland habe beim effektiven Schutz vor Unwetter-Katastrophen „erhebliche Defizite“, schlagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Kaiserslautern und der Universität der Bundeswehr in München Alarm – in einer gemeinsamen Erklärung als Ergebnis ihrer aktuellen Studie.

Starkregen und Sturzfluten: „Kaum eine Region in Deutschland sicher“

Im Auftrag der Initiative „Verantwortung Wasser und Umwelt“ haben die Fachleute nach eigenen Angaben „bundesweit massive Versäumnisse“ bei der Hochwasserprävention festgestellt und ein Schutzkonzept entwickelt. Im Zuge ihrer Studie „Starkregen und urbane Sturzfluten – Agenda 2030“, die am Montag im Rahmen der Weltleitmesse für Umwelttechnologien (IFAT) in München vorgestellt wurde, stellten sie zudem klare Forderungen an die Politik.

„Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat Deutschland im letzten Sommer geschockt und noch einmal kräftig wachgerüttelt“, sagte Prof. Theo Schmitt von der TU Kaiserslautern laut Voraberklärung. Die Flutgefahr ist laut Schmitt allerdings keineswegs auf flussnahe Gebiete beschränkt. „Überflutungen drohen überall. Auch da, wo keine Gewässer sind.“ Schmitt geht sogar noch weiter: „Es gibt kaum eine Region in Deutschland, die vor Starkregen und urbanen Sturzflutensicher ist“, warnt er. In den kommenden Jahren würden Wetterextreme schlimmer, an immer mehr Orten, immer häufiger und heftiger auftreten – und häufig ohne jede Vorwarnung.

Starkregen und Sturzfluten haben im Juli 2021 viele Häuser und Straßen im Ahrtal (Rheinland Pfalz) zerstört.
Starkregen und Sturzfluten haben im Juli 2021 viele Häuser und Straßen im Ahrtal (Rheinland Pfalz) zerstört. © AFP/Getty Images | Getty Images

Flutgefahr steigt: Forscher fordern Starkregen-Risikokarten für Kommunen

An Starkregen besonders gefährlich ist laut der Studie die Geschwindigkeit, mit der sich Wassermassen aufbauten. Der Überraschungseffekt überfordere Bevölkerung wie auch Behörden regelmäßig. „Die Sturzflut kommt quasi von oben – von jetzt auf gleich. Ohne Deich, ohne Schutz“, sagt demnach Prof. Wolfgang Günthert, der an der Universität der Bundeswehr in München zu Sturzfluten geforscht hat.

Schmitt fordert, dass Städte und Gemeinden zu einem „Starkregen-Risikomanagement“ verpflichtet werden. Die Kommunen müssten künftig Gefahren- und Risikokarten erstellen. Diese könnten aus den örtlichen Daten etwa zu Grünflächen, Gefällen, Wetterdaten oder Kanalsystemen die befürchteten Regenmengen in die konkrete lokale Gefahr einer Überflutung übersetzen, so Schmitt.

„Auf Risikokarten muss Straße für Straße – bis aufs einzelne Haus genau – die Überflutungsgefahr eingetragen werden. Es geht darum, mit der Starkregen-Risikokarte die Wirkung von Sturzfluten digital zu simulieren“, so Günthert. Auch Hausbesitzer würden aus Sicht der Autoren von Starkregen-Risikokarten profitieren und könnten individuell früher Vorsorge am Gebäude betreiben.

Hochwasser: Kommt bundesweites Frühwarn- und Informationssystem?

Zusätzlich forderten die Wissenschaftler ein bundesweites Frühwarn- und Informationssystem in Form einer „funktionierenden Risikokommunikation“, erklärt Studienautor Schmitt. „Es bringt nichts, viele Menschen weiter im Ungewissen zu lassen. Dafür ist die Gefahr, die vom Starkregen ausgeht, viel zu hoch.“ Deutschland müsse sich auf die kommenden Flutgefahren möglichst effektiv vorbereiten. „Und dabei gilt es, keine Zeit zu verlieren“, warnt Schmitt.

Mit Blick auf die Ergebnisse der Studie sprach sich in München auch der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) dafür aus, Hauseigentümer und Bauherren stärker beim individuellen Starkregenschutz ihrer Gebäude unter die Arme zu greifen. „Der Staat muss hier beim Neu- und Umbau Anreize schaffen“, sagt BDB-Präsidentin Katharina Metzger laut Voraberklärung. Neben steuerlichen Anreizen sei etwa die Einführung eines „Starkregen-Bauschutzprogrammes“ bei der staatlichen KfW-Bank möglich, als „direkte Zuschüsse und zinsgünstige Kredite“, so Metzger.

Konkret nehme die Wissenschaftler in ihrer alarmierenden Erklärung auch die Bundesregierung in Berlin in die Pflicht: Die im Koalitionsvertrag zugesagten bundeseinheitlichen Standards für Hochwasser und Starkregenüberflutungen müsse die Ampel-Koalition Bundesregierung in die Tat umsetzen. Das Baurecht, so heißt es im Appell, müsse endlich „Starkregen- und Hochwasser-konform angepasst werden“.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.