Berlin. Extremwetterfans pilgern in die USA zur Tornado-Hochsaison. Warum sich diese Männer und Frauen trotz Todesrisiko in den Sturm stellen.

Wagemutige Menschen wie Thomas Sävert schauen in diesen Wochen gebannt Richtung USA. Im Mittleren Westen ist Tornado-Hochsaison – wohl nirgendwo auf der Welt haben Ex­tremwetterfans gerade bessere Chancen, einen heftigen Sturm vor die Kameralinse zu bekommen. Wer sich nicht auskennt, zahlt locker 2000 Euro für eine geführte Tornado-Tour. Die Abenteuertouristen suchen den Nervenkitzel, aber bitte auf Nummer sicher. Doch Sicherheit ist eine Illusion in dieser Szene, manche bezahlen ihre Leidenschaft mit dem Leben. Wie die drei Studenten, die kürzlich in Kansas auf der Jagd nach einem Tornado tödlich verunglückten.

Thomas Sävert steht trotzdem gern mitten im Wind. Der 56-Jährige aus Voerde am Niederrhein ist ein risikobereiter Tornado-Jäger. Seit 20 Jahren reist er Unwettern hinterher – mit wissenschaftlichem Interesse, wie er betont. Der Meteorologe erinnert sich, wie er in Florida mal selbst zum Gejagten wurde, weil er einem Tornado zu nahe kam: „Das Tempolimit auf dem Highway war mir dann egal – man gibt nur noch Gas.“

Bis zu 60 Tornado-Meldungen jährlich

Sävert ist einer von immer mehr Deutschen, die die Leidenschaft für spektakuläre Stürme gepackt hat. Bis zu 700 Männer und Frauen sind es nach Angaben des Vereins Skywarn, in dem sich viele zusammengeschlossen haben. Sie reisen nicht nur in die USA oder die Tropen, wo es deutlich wärmer als in Europa ist und wo deswegen besonders viele Tornados entstehen.

Auch in Deutschland werden pro Jahr bis zu 60 der gefährlichen Windhosen gemeldet. 2019 etwa wütete ein Tornado im Münsterland, schleuderte Autos wie Spielzeug durch die Luft und entwurzelte Bäume. „Ich bin schon tagelang durch Trümmer gelaufen und habe alles aufgezeichnet“, berichtet Sävert.

In Zusammenarbeit mit der Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland – einem mehrköpfigen Expertenteam – und Skywarn sowie mit deutschen und internationalen Wetterdiensten klassifiziert er Meldungen zu Tornado-Verdachtsfällen. Skywarn bietet dafür eine eigene Meldezentrale mit Hotline und App an. „Dicht mit dem Auge am Gewitter zu sein – das ist unsere Aufgabe, um sofort Meldungen abgeben zu können“, erklärt der Sprecher des Vereins, der Brandenburger Heiko Wichmann (49).

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Nicht von Sensationslust getrieben

Auch er reist zum Fotografieren und Messen regelmäßig in die USA. Allein dort, sagt der Oranienburger, habe er mehr als 50 Tornados gesehen, in Deutschland sechs. „Es geht uns nicht um Sensationslust“, beteuert Thomas Sävert. „Das Hauptanliegen von 95 Prozent der Sturmjäger ist, dem Wetterdienst Gefahren zu melden, damit der die Bürger warnen kann.“

Auf Tornado-Jagd: Ehrenamtliche Wetterbeobachter wollen dicht ans Unwetter ran – und nutzen moderne Messtechnik.
Auf Tornado-Jagd: Ehrenamtliche Wetterbeobachter wollen dicht ans Unwetter ran – und nutzen moderne Messtechnik. © Getty Images | Drew Angerer

Der an der Nordseeküste aufgewachsene Sävert kennt Stürme, seit er denken kann. Dort hat er als Kind seinen ersten Tornado erlebt: „Der ist damals mitten durch unseren Ort gezogen.“ Tornados entstehen dann, wenn sich feuchtwarme Luft am Boden und trockene und kalte Luft in der Höhe übereinanderschichten. Dadurch bildet sich ein Aufwind: Immer mehr Luft strömt mit immer größerer Geschwindigkeit ins Innere des Schlauchs. Vorhersehbar sind sie nicht, die Vorwarnzeit ist gering. Bis heute hat Thomas Sävert die Schäden von 50 Tornados in Deutschland analysiert.

Supersturm tötet acht Menschen

Ein Datum, das weder er noch Heiko Wichmann vergessen werden, ist der 31. Mai 2013. Damals wütete der größte bisher aufgezeichnete Tornado mit Namen El Reno im US-Bundesstaat Oklahoma – Durchmesser: 4,2 Kilometer. „Dort sind Sturmjäger ums Leben gekommen, die in die äußere Zirkulation des Tornados geraten sind. Sie wurden davon eingesaugt“, erinnert sich Wichmann.

Er hat El Reno vor neun Jahren vor Ort verfolgt. „Dieser Tornado hat Dinge gemacht, die wir noch nicht gesehen haben. Das steckt noch bis heute vielen in den Gliedern.“ Acht Menschen kamen zu jener Zeit zu Tode. Das Risiko ist den deutschen Sturmjägern bewusst. Dennoch freuen sie sich schon auf die kommende USA-Tour. Das nächste Tornado-Abenteuer kommt bestimmt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.