Washington. Große Emotionen prägten die Oscars. Die Verleihung dürfte noch lange in der Geschichte nachhallen – aus ganz verschiedenen Gründen.

Nach fast vier Stunden Live-Übertragung ist die Verleihung der 94. Oscars in Los Angeles zu Ende gegangen. Die Show bot Überraschungen, großartige Musik, Diversität – und eine filmreife Ohrfeige auf offener Bühne.

Anstelle des zwölffach nominierten Westerns "The Power of the Dog" gewann die Lebensmut verströmende Gehörlosen-Tragikkomödie "Coda" von Siân Heder, produziert von Apple TV+, die Königs-Disziplin bester Film. Damit hat zum ersten Mal ein Streaming-Dienst den Hauptpreis der Academy gewonnen.

Oscars 2022: Die großen Gewinner

Jane Campion, die Neuseeländerin, holte wie erwartet den Regie-Oscar für den Alternativ-Western "The Power of the Dog". Bereits im vergangenen Jahr gewann Chloé Zhao mit "Nomadland“.

Will Smith, der mit einer Live-Prügeleinlage Geschichte schrieb, bekam den Hauptdarsteller-Preis für "King Richard". Der Film erzählt den Aufstieg der Tennis-Superstars Venus und Serena Williams, die von ihrem Vater Richard zu Weltformat getrimmt wurden.

In der Kategorie "weibliche Hauptrolle" bekam Jessica Chastain den Zuschlag für "The Eyes of Tammy Faye", die Geschichte einer faszinierenden Televangelistin. Bester Film: "Coda" von Siân Heder, ein Remake des französischen Films "Verstehen Sie die Béliers?" von 2014.

Oscar-Gewinnerin Jane Campion strahlt über das ganze Gesicht.
Oscar-Gewinnerin Jane Campion strahlt über das ganze Gesicht. © VALERIE MACON / AFP

Oscars 2022: Der Auftakt

Los ging es aber nicht in Hollywood, sondern auf einem ganz in pastelligem Grün gehaltenen Tennis-Platz in Compton, Problemstadtteil von Los Angeles. Da, wo einst die Tennis-Ikonen Serena und Venus Williams von ihrem Vater trainiert wurden.

Beyoncé Knowles sang dort einen Song aus dem an diese einzigartige Sportgeschichte angelehnten Film "King Richard".

Beyoncés Auftritt in Pastell war im Dolby Theater überlebensgroß auf Leinwand zu sehen
Beyoncés Auftritt in Pastell war im Dolby Theater überlebensgroß auf Leinwand zu sehen © Neilson Barnard/Getty Images/AFP

Oscars 2022: Der Echtzeit-Aufreger

Der für "King Richard" als bester Hauptdarsteller nominierte Will Smith ging vor laufender Kamera auf die Bühne und schlug dem für die Kategorie "Bester Dokumentarfilm" aufgebotenen Presenter Chris Rock mit voller Wucht ins Gesicht. Für einige Schrecksekunden war der Ton der Liveübertragung in den USA gestört.

Der Schwarze Comedian hatte eine sarkastische Bemerkung über die Kurzhaar-Frisur von Smiths Frau Jada Pinkett Smith gemacht. Bei der 50-Jährigen wurde vergangenes Jahr Alopecia (kreisrunder Haarausfall) diagnostiziert, Pinket Smith machte die Krankheit auf Instagram öffentlich.

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Smith ging zurück an seinen Platz, schimpfte weiter (unter anderem in Japan konnte man hören: "Nimm den Namen meiner Frau nicht in deinen verdammten Mund"). Das Publikum im Dolby Theatre von Hollywood war geschockt. Rock stammelte etwas von der "größten Nacht in der Geschichte des Fernsehens". Danach versuchte Schauspiel-Titan Denzel Washington Smith zu beruhigen.

Als der 53-jährige Hollywood-Star kurz darauf den Hauptpreis bekam, herrschte betretenes Schweigen im mit 2700 Leuten gefüllten Saal. Smith hatte Tränen in den Augen, als er sich für die Auszeichnung bedankte; die "echten" Venus und Serena Williams sahen zu.

Ein Abend großer Emotionen für Will Smith. Unter Tränen entschuldigte er sich für seinen Ausraster - aber nicht beim geschlagenen Comedian Chris Rock.
Ein Abend großer Emotionen für Will Smith. Unter Tränen entschuldigte er sich für seinen Ausraster - aber nicht beim geschlagenen Comedian Chris Rock. © Robyn Beck / AFP

Er entschuldigte sich bei Academy und Kollegen für den Gewaltausbruch, nicht aber bei Chris Rock. "Ich will ein Gefäß für Liebe sein. Ich will ein Botschafter der Liebe sein", sagte Smith und fügte hinzu: "Liebe bringt Dich dazu, verrückte Dinge zu machen."

Oscars 2022: Die Moderation

Nachdem der klassische Oscar-Host in den vergangenen drei Jahren weggespart worden war, bot die Academy bei der 94. Aufführung ein Trio auf. Die Schauspielerinnen Amy Schumer, Regina Hall und Wanda Sykes warteten mit fies-ätzenden Kinnhaken gegen ihresgleichen im Showbusiness auf.

Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes (v.l.n.r.) führten mit fiesen Spitzen und Showeinlagen durch den Abend.
Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes (v.l.n.r.) führten mit fiesen Spitzen und Showeinlagen durch den Abend. © Robyn Beck / AFP

Eröffnungsmonolog und manche Spitzen waren Volltreffer. Etwa Schumers Versuch, das größte Manko der Oscars neben der wachsenden Macht der Streaming-Dienste mit einem Witz zu verhohnepiepeln. Es ging um die elegische Länge des mit zwölf Nominierungen ins Rennen gegangenen Favoriten "The Power of the Dog".

Allein: Wenn es nur die zwei Stunden und fünf Minuten wären… - ausweislich einer repräsentativen Umfrage kannten nur 20 Prozent der amerikanischen Entertainment-Konsumenten den seit Monaten auf Netflix laufenden Alternativ-Western der Neuseeländerin Jane Campion.

"Coda", das wundervolle Gehörlosen-Drama von Apple, das den Preis des Abends abräumen sollte, war nur 14 Prozent geläufig. Das große Lagerfeuer namens Kino, an dem sich Millionen wärmen, um hernach über ihren Favoriten zu fachsimpeln, gibt es im Zeitalter stark fragmentierter Publikumsgruppen und weit verzweigter Streaming-Anbieter nicht mehr.

Oscars 2022: Die besten Bilder der Preisverleihung

Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes (v.l.n.r.) führten mit fiesen Spitzen und Showeinlagen durch den Abend.
Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes (v.l.n.r.) führten mit fiesen Spitzen und Showeinlagen durch den Abend. © Robyn Beck / AFP
Schauspieler Will Smith (r.) sorgte bei den Oscars für eine filmreife Prügelszene: Er schlägt dem Comedian Chris Rock mit voller Wucht ins Gesicht.
Schauspieler Will Smith (r.) sorgte bei den Oscars für eine filmreife Prügelszene: Er schlägt dem Comedian Chris Rock mit voller Wucht ins Gesicht. © Robyn Beck / AFP
Jessica Chastain hält ihren Oscar in der Hand. Die Schauspielerin bekam die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in dem Film
Jessica Chastain hält ihren Oscar in der Hand. Die Schauspielerin bekam die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle in dem Film "The Eyes of Tammy Faye". © David Livingston/Getty Images
Tristan Myles, Brian Connor, Paul Lambert, Gerd Nefzer jubeln über ihren Oscar für die visuellen Effekte im Sci-Fi-Epos
Tristan Myles, Brian Connor, Paul Lambert, Gerd Nefzer jubeln über ihren Oscar für die visuellen Effekte im Sci-Fi-Epos "Dune". © Mike Coppola/Getty Images
Oscar-Preisträgerin Billie Eilish sang ihren Song
Oscar-Preisträgerin Billie Eilish sang ihren Song "No time to die" in einer Gänsehaut-Performance live. © Robyn Beck / AFP
Ihm gehörte mit der bewegendeste Moment des Abends: Troy Kotsur. Der gehörlose Schauspieler ist bester Nebendarsteller.
Ihm gehörte mit der bewegendeste Moment des Abends: Troy Kotsur. Der gehörlose Schauspieler ist bester Nebendarsteller. © VALERIE MACON / AFP
Für Will Smith war es ein besonders denkwürdiger Abend. Zuerst verpasste er Chris Rock vor der Weltöffentlichkeit eine schallende Ohrfeige - dann gewann er für
Für Will Smith war es ein besonders denkwürdiger Abend. Zuerst verpasste er Chris Rock vor der Weltöffentlichkeit eine schallende Ohrfeige - dann gewann er für "King Richard" den Oscar als bester Hauptdarsteller. © Chris Pizzello/Invision/AP/dpa
Die Ukraine-stämmige Mila Kunis erinnerte an die instabile Weltlage.
Die Ukraine-stämmige Mila Kunis erinnerte an die instabile Weltlage. © Robyn Beck / AFP
Die Sängerin H.E.R. im Backstagebereich.
Die Sängerin H.E.R. im Backstagebereich. © Al Seib/A.M.P.A.S. via Getty Images
Die gehörlose Schauspielerin Marlee Maitlin bei den Academy Awards.
Die gehörlose Schauspielerin Marlee Maitlin bei den Academy Awards. © Al Seib/A.M.P.A.S. via Getty Images
Zooey Deschanel und Jonathan Scott posieren bei der Vanity Fair Oscar-Party für die Fotografierenden.
Zooey Deschanel und Jonathan Scott posieren bei der Vanity Fair Oscar-Party für die Fotografierenden. © Frazer Harrison/Getty Images
Schauspielerin Ariana De Bose auf dem Governors Ball in Hollywood. Kurz zuvor bekam sie den Oscar als beste Nebendarstellerin in
Schauspielerin Ariana De Bose auf dem Governors Ball in Hollywood. Kurz zuvor bekam sie den Oscar als beste Nebendarstellerin in "West Side Story". © VALERIE MACON / AFP
Die Neuseeländerin Jane Campion mit ihrem Oscar für die beste Regie bei
Die Neuseeländerin Jane Campion mit ihrem Oscar für die beste Regie bei "The Power of the Dog". © Handout/A.M.P.A.S. via Getty Images
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Oscars 2022: Aus deutschem Blickwinkel

Hans Zimmer, der sich als Komponist in den 90er Jahren für "Der König der Löwen" den Oscar abholte, gewann diesmal für das Science-Fiction-Epos "Dune" die Auszeichnung für die beste Film-Musik. Sein Landsmann Gerd Nefzer wurde für den gleichen Film in der Kategorie Visuelle Effekte prämiert.

Apropos Dune: Mit einem halben Dutzend Oscars der erfolgreichste Film des Abends. Und der einzige, der in echten Kinos über 400 Millionen US-Dollar eingespielt hat.

Tristan Myles, Brian Connor, Paul Lambert, Gerd Nefzer jubeln über ihren Oscar für die visuellen Effekte im Sci-Fi-Epos
Tristan Myles, Brian Connor, Paul Lambert, Gerd Nefzer jubeln über ihren Oscar für die visuellen Effekte im Sci-Fi-Epos "Dune". © Mike Coppola/Getty Images

Oscars 2022: Der programmierte Aufreger

Um das Format, dem im vergangenen Jahr nur noch knapp elf Millionen Menschen live zusahen, TV-kompatibler zu machen, wurde ein Drittel der Preise in renommierten Kategorien wie Schnitt, Sound und Make-up/Hairstyling bereits vor der Gala vergeben und später nur gekürzt eingespielt. Die Rede von Oscar-Preisträgern/-innen zweiter Klasse wird so schnell nicht abebben.

Oscars 2022: Die Musik

Unter den erfreulich vielen Live-Darbietungen ragten Billie Eilish and Finneas mit ihrer Ballade aus dem James Bond-Film "No Time to Die" heraus. Gänsehaut.

Oscar-Preisträgerin Billie Eilish sang ihren Song
Oscar-Preisträgerin Billie Eilish sang ihren Song "No Time to Die" in einer Gänsehaut-Performance live. © Robyn Beck / AFP

Oscars 2022: Diversität

Der erste Oscar des Abends ging an Ariana DeBose (Nebenrolle in "West Side Story"). Die 31-Jährige ist erst die zweite prämierte Latina in der Oscar-Geschichte – und lebt offen lesbisch.

Für die beste männliche Nebenrolle ("Coda") wurde Troy Kotsur ausgezeichnet. Der 53-Jährige ist seit Geburt gehörlos. Seine in Gebärdensprache gehaltene Dankesrede, in der er sich bei seinem verstorbenen Vater bedankte, gehörte zu den bewegendsten Momenten des Abends.

Kotsur spielt in dem Film den Vater einer Fischerfamilie, wo nur die 17-jährige Ruby hören kann und eine Sängerinnen-Karriere anstrebt. Prädikat: erhebend.

Ihm gehörte mit der bewegendeste Moment des Abends: Troy Kotsur.
Ihm gehörte mit der bewegendeste Moment des Abends: Troy Kotsur. © VALERIE MACON / AFP

Oscars 2022: Das Politische

Sean Penn wird, wenn er seine Androhung wahr macht, heute seine "Oscars" (für "Mystic River" und "Milk") zu Klump einschmelzen. Der von ihm geforderte Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj blieb aus. Wie überhaupt der Krieg in Europa weit weg war bei diesen Oscars.

Die Ukraine-stämmige Mila Kunis erinnerte an die instabile Weltlage.
Die Ukraine-stämmige Mila Kunis erinnerte an die instabile Weltlage. © Robyn Beck / AFP

Einige Gäste drückten durch blaue Bänder ihre Solidarität mit Flüchtlingen aus. Mila Kunis, in der Ukraine geboren, erinnerte an die politische Instabilität auf der Welt. Und nach gut 90 Minuten wurde ein stiller Aufruf eingeblendet, den Kriegsopfern materiell zu helfen. "Ressourcen sind rar und wir - kollektiv als globale Gemeinschaft - können mehr tun", hieß es auf einem Laufband.

Ein wirklich großer Anti-Kriegs-Moment vor laufender Kamera aber blieb aus. Nah dran war vielleicht Meister-Regisseur Francis Ford Coppola, der gemeinsam mit Al Pacino und Robert De Niro 50 Jahre "Der Pate" zelebrierte und am Ende ein dezentes "Viva Ukraine" in die Runde warf.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de