Berlin. RKI-Chef Lothar Wieler und Gesundheitsminister Karl Lauterbach warnen vor falschem Corona-Optimismus. Die aktuelle Lage sei “kritisch“.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angesichts steigender Infektionszahlen vor falschem Optimismus gewarnt: „Die Lage ist objektiv viel schlechter als die Stimmung.“ Viele verhielten sich, „als hätten wir die Pandemie schon bewältigt“. Die aktuelle Corona-Lage sei „kritisch“, die Infektionszahlen stiegen stark, mittelfristig werde das auch zum Problem für die Krankenhäuser. Aktuell gebe rund 200 bis 250 Sterbefälle pro Tag. Diese Zahl könne wieder steigen. Das sei „unhaltbar“. Er sei in „großer Sorge“, sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin.

Lauterbach rief die Länder auf, auf weitreichende Lockerungen nach dem 20. März zu verzichten, sondern stattdessen die geplanten gesetzlichen Schutzmaßnahmen für Hotspots rasch anzuwenden: Bereits jetzt gebe es vielerorts schon Hotspots, andere Regionen seien kurz davor. Unter Hotspots versteht die Ampel-Koalition Regionen oder ganze Bundesländer mit einer „konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage“. Es seien Hotspots in zahlreichen Bundesländern zu erwarten, warnte Lauterbach. Die Länder sollten die Nutzung des Gesetzes vorbereiten.

In Köln etwa habe sich offenbar durch Karnevalsfeiern die Lage deutlich verschärft: In der Kölner Uniklinik müssten bereits wieder planbare Eingriffe abgesagt werden. Hier könne die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen jetzt schon die Hotspot-Regeln vorbereiten, so Lauterbach.

Corona: Omikron-Subtyp BA.2 breitet sich aus

Bundesweit hat der aktuelle Anstieg der Infektionszahlen laut Robert Koch-Institut zwei Ursachen: Der Virus-Subtyp BA.2 der Omikronvariante ist noch leichter übertragbar und macht mittlerweile mindestens 50 Prozent der Neuinfektionen aus. Dazu komme der Effekt der Lockerungen, viele verhielten sich jetzt deutlich weniger vorsichtig. Wie RKI-Präsident Lothar Wieler am Freitag erklärte, steigt derzeit auch die Zahl der hospitalisierten Patienten wieder. Derzeit gebe es pro Woche zudem mehr als 1000 Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion. 86 Prozent der Verstorbenen seien über 70 Jahre alt, immerhin 14 Prozent seien jüngere Patienten.

Obwohl die Omikron-Variante im Durchschnitt seltener zu schweren Verläufen führt, dürfe man eine Infektion nicht unterschätzen, so Lauterbach: Auch Geimpfte könnten an der Omikronvariante schwer erkranken, auch bei schwachen Verläufen könne Long-Covid drohen.

Long Covid kann zu schweren Schäden führen

In der Regel würden Long-Covid-Symptome noch ein bis drei Monaten nach der akuten Erkrankung auftreten, erklärte Jördis Frommhold, Expertin für Long-Covid-Therapien an der Median-Klinik in Heiligendamm. Es seien bereits mehrere Hunderttausend, die von diesem Krankheitsbild betroffen seien. Häufig seien es gerade „die Jungen, die Sportlichen, die Dynamischen“, häufig träten die Symptome nach einem eher milden Krankheitsverlauf auf.

Frommhold berichtete am Freitag in Berlin von einem 40-jährigen Triathleten, der kaum noch Spazierengehen könne, von einer 35-jährigen Mutter, die kognitiv nicht mehr in der Lage sei, die Matheaufgaben ihres Kindes zu verstehen. Sie habe einen 25-jährigen Studenten erlebt, der die Grundrechenarten neu erlernen müsse oder eine 20-jährige Krankenschwester, die im Alltag nicht mehr zurechtkomme.

Coronavirus: Bis zu 200 Long-Covid-Symptome bekannt

Es gebe bis zu 200 verschiedene Long-Covid-Symptome, so Frommhold, – von Erschöpfung und Muskelschmerzen über Probleme beim Atmen bis hin zu kognitiven Defiziten, die an eine Demenz erinnern würden. Frommhold wandte sich ausdrücklich dagegen, Long Covid als rein psychosomatisches Krankheitsbild zu sehen. Es gebe Untersuchungen, nach denen sich die Größe des Gehirns nach einer Covid-Erkrankung reduzieren könne.

Frommhold verband ihre Analyse mit einem Appell: Der beste Schutz gegen Long-Covid sei die Impfung: Vollständig Geimpfte hätten laut einer israelischen Studie bei einer Durchbruchsinfektion ein um 68 Prozent reduziertes Risiko an Long Covid zu erkranken.

Auch die Amtsärzte warnten die Länder davor, jetzt schon erprobte Schutzregeln aufzugeben: „Solange die Infektionszahlen so hoch sind wie aktuell, sollten wir an wichtigen Schutzmaßnahmen festhalten. Dazu gehören Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen, vor allem aber auch das Tragen von Masken überall dort, wo man keine Abstände halten kann“, sagte Elke Bruns-Philipps, Vizevorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), unserer Redaktion.

„Die Länder sollten bei den aktuell noch sehr hohen und wieder steigenden Infektionszahlen vorerst an der Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen festhalten, also nicht nur in Bussen und Bahnen, sondern zum Beispiel auch im Einzelhandel, in Behörden oder öffentlichen Einrichtungen“, so die Ärztin. Das Problem sei, dass jetzt schon trotz der steigenden Zahlen signalisiert werde, dass weitere Lockerungen kämen. „Diese Lockerungen sind aber erst verantwortbar, wenn die Zahlen wieder stabil sinken.“

Intensivmediziner fordern Beibehaltung der Maskenpflicht

Ebenfalls die Intensivmediziner forderten die Beibehaltung der Maskenpflicht in möglichst vielen Bereichen: „Das Tragen von Masken ist eine erprobte und einfache Schutzmaßnahme. Es wäre ein Fehler, dieses Mittel ohne Not aus der Hand zu geben“, sagte Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), unserer Redaktion. „Mit Masken kann man sich und andere effektiv gegen eine Infektion schützen. Die Länder sollten deswegen in jedem Fall auch nach dem 20. März die Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen beibehalten.“ Dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, sollte das Tragen von Masken selbstverständlich sein. „Selbst dort, wo es nicht vorgeschrieben ist, empfehlen wir jedem, eine Maske zu tragen.“

Bundesweit hat der aktuelle Anstieg der Infektionszahlen laut Robert-Koch-Institut zwei Ursachen: Der Virus-Subtyp BA.2 der Omikron-Variante ist noch leichter übertragbar und macht mittlerweile mindestens 50 Prozent der Neuinfektionen aus. Hinzu komme der Effekt der Lockerungen, viele verhielten sich jetzt deutlich weniger vorsichtig. Wie RKI-Präsident Lothar Wieler am Freitag erklärte, steigt derzeit auch die Zahl der hospitalisierten Patienten wieder.

Intensivmediziner Marx hält die aktuelle Infektionslage für die Kliniken allerdings derzeit für gut beherrschbar. „Auf den Intensivstationen beobachten wir derzeit sogar eine rückläufige Tendenz bei den Covid-Patienten. Die Situation ist aktuell also stabil und im Griff.“ Belastend für viele Krankenhäuser sei allerdings die hohe Zahl von positiv getesteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Wir haben beim Personal eine deutlich höhere Ausfallquote als sonst.“

Niemand könne jedoch derzeit sagen, wie sich die Pandemie in den kommenden Wochen und Monaten entwickele. „Im Notfall müssen wir innerhalb weniger Tage handeln können“, so Marx. Sollte sich die Lage rapide verschärfen, müssten die Länder sämtliche Instrumente der Pandemiebekämpfung zur Verfügung haben. Dazu gehörten im Ernstfall auch strenge Kontaktbeschränkungen und Schließungen von Schulen und Betrieben. Die jetzt geplante Reform des Infektionsschutzgesetzes gebe den Ländern zu wenig Handlungsspielraum. „Jedes Land sollte im Ernstfall eine epidemische Lage feststellen und entsprechend handeln können“, so der Intensivmediziner.