Berlin. Die neue Pflegebeauftragte Claudia Moll kritisiert Bayerns Alleingang bei der Impfpflicht und fordert einen großzügigen Corona-Bonus.

Claudia Moll ist vom Fach. Die neue Pflegebevollmächtigte hat selbst Jahre lang in der Altenpflege gearbeitet. Mit rheinischer Direktheit spricht sie die Probleme an. Das ist selten geworden in der Politik.

Frau Moll, Sie sind gelernte Altenpflegerin. Können Sie verstehen, dass sich Pflegerinnen und Pfleger nicht impfen lassen?

Claudia Moll: Ich verstehe es nicht, aber ich muss es akzeptieren. Gerade Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sollten wissen, wie gefährlich Corona ist. Ich selbst habe jahrelang in der Pflege gearbeitet und natürlich bin ich geimpft und geboostert. Wenn ich als ungeimpfte Pflegerin meine Bewohner anstecken würde und sie dann schwer erkrankten oder sogar sterben müssten, ich würde mir das niemals verzeihen. Denn ohne die Impfung hätte ich nicht alles getan, um das Risiko für die Bewohner so klein wie möglich zu halten.

Mitte März soll die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen greifen. Bayern ist schon ausgeschert und will die Impfpflicht aussetzen. Werden weitere Länder folgen?

Moll: Das erwarte ich nicht. Meine Sorge ist mehr, dass sich die Leute jetzt von der Politik veräppelt fühlen: Die Länder haben die einrichtungsbezogene Impfpflicht gemeinsam im Bundesrat beschlossen, Bayern auch. Darauf muss sich jeder verlassen können. Man darf ja nicht vergessen: Bayern hat niedrigere Impfquoten als viele andere Bundesländer. Wenn wir jetzt die Impfquote nicht deutlich steigern, sitzen wir im Herbst wieder da mit Einschränkungen.

Claudia Moll, die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, hat selbst Jahrzehnte in der Altenpflege gearbeitet.
Claudia Moll, die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, hat selbst Jahrzehnte in der Altenpflege gearbeitet. © Nikolai Kues | Nikolai Kues

Bayern lässt ungeimpfte Pflegekräfte erst einmal weiterarbeiten. Erwarten Sie eine Fachkräfte-Abwanderung aus anderen Bundesländern nach Bayern?

Moll: Es ist jetzt schon so, dass viele Pflegekräfte, zum Beispiel aus Thüringen, in Bayern arbeiten, weil die Bezahlung besser ist. Allerdings muss man auch sagen, dass sich die Frage für ungeimpfte Mitarbeiter ab Mitte März ohnehin nicht mehr stellt. Ab dann kann eine neue Beschäftigung in der Pflege ohne Impfschutz oder Genesenennachweis nicht mehr aufgenommen werden.

Lässt sich irgendjemand wegen der drohenden Pflicht impfen? Gibt es Bewegung unter den ungeimpften Pflegekräften?

Moll: Die Impfquote bei den Pflegefachkräften ist ganz überwiegend sehr hoch. Aber es geht bei der Impfpflicht ja auch um Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, um Reinigungskräfte und Servicepersonal. Ich habe das Gefühl, dass sich gerade in dieser Gruppe viele jetzt doch noch impfen lassen. Der Impfstoff Novavax ist da sicherlich hilfreich.

Eine Pflegefachkraft geht mit einer Bewohnerin durch ein Seniorenheim. Mitte März soll die Impfpflicht für Pflegekräfte greifen.
Eine Pflegefachkraft geht mit einer Bewohnerin durch ein Seniorenheim. Mitte März soll die Impfpflicht für Pflegekräfte greifen. © picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Die Gesundheitsämter sollen in jedem Einzelfall prüfen, ob es zu einem Tätigkeitsverbot für ungeimpfte Pflegekräfte kommt. Maßstab soll die Personallage sein. Die ist überall schlecht. Läuft die Impfpflicht ins Leere?

Moll: Es ist leider klar, dass es nicht einfach wird. Mir wäre es auch lieber gewesen, von vornherein eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, dann würden sich auch nicht einige Pflegekräfte stigmatisiert fühlen. Aber es ist anders gekommen. Damit muss man in einer Demokratie umgehen.

Wie könnte man die Pflege-Impfpflicht noch retten?

Moll: Wir müssen vor dem 15. März abstimmen, wie die Länder die Impfpflicht alltagstauglich umsetzen können. Aber das war von Anfang an klar und da laufen auch die Gespräche.

Das tiefere Problem ist der Personalmangel in der Pflege. Was ist zu tun?

Moll: Wir brauchen keine weiteren Reförmchen, sondern eine große Pflegereform. Ein Punkt wird dabei auch die Frage sein, wie wir mehr ausländische Fachkräfte ins Land holen. Ganz wichtig ist auch das Image des Berufs: Wir müssen damit aufhören, den Pflegeberuf schlechtzureden. Wir müssen den jungen Leuten sagen, wie es ist: Das ist ein anspruchsvoller Beruf, es macht Spaß, es ist Teamarbeit. Ich habe es immer gerne gemacht.

Die Regierung will eine Milliarde für einen neuen Corona-Pflegebonus ausgeben. Minister Lauterbach möchte den Bonus nur an besonders belastete Pflegekräfte auszahlen. Wer ist denn nicht besonders belastet?

Moll: Das ist in der Tat die Frage. Der Bonus darf nicht zu Neiddebatten unter den Pflegekräften führen. In einer Pandemie kann man nicht fragen, wer ist wichtiger und wer nicht. Jemand, der in der gynäkologischen Station arbeitet, hat vielleicht weniger mit Corona zu tun gehabt als ein Intensivpfleger, aber die hohe Belastung tragen doch alle gemeinsam. Wir dürfen keine Spaltung erzeugen.

Was ist Ihr Vorschlag?

Moll: Es ist schwierig, eine gerechte Lösung zu finden, ohne zu sagen, der Pflegebonus gilt entweder für alle oder für niemanden. Das betrifft ja auch die Reinigungskräfte: Jemand, der jeden Morgen auf der Covid-Station reinigen muss, ist genauso gefährdet wie eine Pflegekraft. Rettungssanitäter gehören ebenfalls in diese Gruppe, und auch die Menschen, die in den Impfzentren und den Laboren arbeiten.

Muss Deutschland mehr Geld in die Hand nehmen für den Bonus?

Moll: Wir haben in dieser Pandemie schon unglaublich viel Geld in die Hand genommen. Das ist auch gut so. Bei diesem Bonus geht es um Wertschätzung. Da muss sich der Staat großzügig zeigen. Aber jetzt warten wir erst mal ab, bis der Vorschlag auf dem Tisch liegt. Ich bin zuversichtlich, dass es eine gute Lösung geben wird.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Sie haben sich für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Dazu braucht es eine Übersicht über den Impfstatus der Bürger. Sollten die Kassen die Daten sammeln?

Moll: Das klingt zunächst so schön einfach. Die Kassen sollten die Impfnachweise der Versicherten abfragen und einsammeln. Neue Impfungen könnten dann direkt an die Kassen gemeldet werden. Aber ich weiß, wie kompliziert ein Datenaustausch werden kann. Da müssen wir ganz genau prüfen, wie wir am besten vorgehen. Denn ein bürokratisches Monster braucht keiner.

Welche Lehre sollte die Politik aus dem Fehlstart der Pflege-Impfpflicht für die allgemeine Impfpflicht ziehen?

Moll: Das muss gut abgestimmt und kommuniziert werden. Es darf nicht wieder ein solches Desaster passieren, dass eines der Bundesländer ausschert.