Berlin. Podcasts von Corona-Leugnern werden bei Spotify nicht eingeordnet. Nach Kritik kündigt der Musikgigant nun Änderung an. Reicht das aus?

  • Neil Young hat sich wegen Corona-leugnender Podcast-Inhalte mit Spotify angelegt
  • Seine Musik ist dort nicht mehr zu hören – Musiklegende Joni Mitchell hat sich Youngs Protest angeschlossen
  • Jetzt verspricht der Dienst eine bessere Einordnung von umstrittenen Inhalten: mit zusätzlichen Informationen

Der Streamingdienst Spotify will umstrittene Corona-Podcasts künftig einordnen: Hörer sollen zu Informationen über die Pandemie weitergeleitet werden. Die "neuen Bemühungen zur Bekämpfung von Fehlinformationen" würden in den nächsten Tagen anlaufen, kündigte Spotify-Chef Daniel Ek am Sonntagabend an und reagierte damit auf wachsende Kritik.

Die Podcasts werden mit "vertrauenswürdigen Quellen" verlinkt, so Daniel Ek. Die Hörer werden zu datengestützten Fakten, zu Informationen weitergeleitet, die von Wissenschaftlern, Ärzten, Gesundheitsbehörden verbreitet werden.

Spotify-Chef: Sind zu mehr Ausgewogenheit verpflichtet

Zudem wolle das Unternehmen Richtlinien für Urheber von Inhalten veröffentlichen, in denen die Plattform definiert, was sie als "gefährlich" und "irreführend" ansieht. "Wir arbeiten daran, jeder Podcast-Episode, die eine Diskussion über Covid-19 enthält, einen Inhaltshinweis hinzuzufügen."

Ek ist nach eigenen Worten "klar geworden, dass wir eine Verpflichtung haben, mehr zu tun, um Ausgewogenheit zu schaffen". Vor allem reagiert der Musik-Gigant auf Druck. Aus Protest hatten prominente Musiker wie Neil Young und Joni Mitchell ihren Rückzug von der Plattform verkündet.

Kontroverse um Spotify-Podcast: So äußerte sich Joe Rogan

Young hatte Spotify vor die Wahl gestellt, entweder seine Werke oder bestimmte Inhalte zu entfernen, die auf der Plattform zugelassen und verbreitet werden. Konkret ging es um den Podcast des US-Amerikaners Joe Rogan. Der Podcaster gilt vielen als Impfgegner und verbreitete in letzter Zeit häufig Falschinformationen über die Corona-Impfung.

Seine eigene Corona-Erkrankung behandelte mit dem gefährlichen Entwurmungsmittel Ivermectin, mRNA-Vakzine bezeichnete er als Gentherapie. Auf seiner Gästeliste standen zuletzt immer wieder Gesprächspartner, die erklärte Impfgegner sind.

Rockstar Neil Young (l) hat Spotify wegen des Podcasts von Joe Rogan verlassen.
Rockstar Neil Young (l) hat Spotify wegen des Podcasts von Joe Rogan verlassen. © dpa

Rogan zeigte sich jetzt zerknirscht über die Kontroverse. "Ich bin ein Fan von Neil Young, ich war immer schon ein Fan von Neil Young", sagte er in einem Instagram-Video. Er wolle nicht, dass Musiker seinetwegen ihre Musik von Spotify zurückziehen. Außerdem gelobte Rogan, er wolle in seinen Sendungen künftig "kontroverse Standpunkte" mehr "ausbalancieren".

Grundsätzlich aber verteidigte Rogan das Konzept seines Podcasts. "Ich bin daran interessiert, herauszufinden, was die Wahrheit ist, und ich bin daran interessiert, interessante Gespräche mit Leuten zu führen, die andere Meinungen haben." Er wolle eben auch Gäste, die sich vom "Mainstream" abheben würden.

Rogans Sendung gehört zu den am meisten abgerufenen bei Spotify. Ungefähr elf Millionen Menschen lauschen jeder einzelnen Folge. 2020 hatte sich Spotify die Exklusivrechte für Rogans Podcast gesichert, laut Spekulationen für rund 100 Millionen Dollar.

Spotify: Vor Neil Young protestierten schon Wissenschaftler

Young hatte auf seiner Internetseite geschrieben, er hoffe, dass andere Künstler und Plattenlabel seinem Beispiel folgen würden, um die Verbreitung "lebensbedrohlicher Fehlinformationen" über das Coronavirus zu stoppen. Zuvor hatte sich schon eine Gruppe von 270 Wissenschaftlern in einem offenen Brief an Spotify gewandt und ein Vorgehen gegen Rogans Podcast gefordert.

Der Streaming-Dienst daraufhin zunächst den Katalog des Kanadiers aus dem Programm genommen. Doch weitere Stars schlossen sich Youngs Kritik an. "Neil Young hat recht", schrieb der deutsche Comedian Jan Böhmermann bei Twitter, der selbst gemeinsam mit dem Musiker und Entertainer Olli Schulz einen exklusiven Spotify-Podcast produziert. "Das macht mich stolz auf ihn", kommentierte Musik-Kollege David Crosby.

Mittlerweile ist Young nicht mehr die einzige Musiklegende, dessen Katalog auf Spotify nicht mehr verfügbar ist. Joni Mitchell folgte seinem Beispiel am Freitagabend (Ortszeit). "Unverantwortliche Menschen verbreiten Lügen, die anderen das Leben kosten", schrieb Mitchell auf ihrer Website. "Ich bin mit Neil Young, der Wissenschaft und dem medizinischen Personal in Solidarität vereint."

Weil sie Falschinformationen über Corona-Impfstoffe verbreitet haben soll, hat der kanadische Rockstar Neil Young die Audio-Plattform Spotify scharf kritisiert.
Weil sie Falschinformationen über Corona-Impfstoffe verbreitet haben soll, hat der kanadische Rockstar Neil Young die Audio-Plattform Spotify scharf kritisiert. © dpa

Debatte um Corona-Leugner: Das Problem ist viel größer

Rock-Legende Young mag sich an einem bestimmten Podcaster aufhängen – doch das Problem ist viel größer. Joe Rogan mag die größte Reichweite haben, aber fragwürdige Inhalte zur Corona-Pandemie oder gar rechtsextreme Inhalte findet man bei dem Streamingdienst zuhauf.

Die Partei "Ein Prozent" etwa veröffentlicht bei Spotify ihren Podcast "Lagebesprechung". Die Gruppierung steht der rechtsextremen Identitären Bewegung nahe und wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Als Gesprächs-Gäste waren unter anderem der rechtsextreme Chef der Thüringer AfD, Björn Höcke, in der Sendung zu hören oder der ehemalige österreichische FPÖ-Innenminister Herbert Kickl.

Der Podcast-Host, Arndt Novak, gehört selbst der Burschenschaft "Danubia" an, die ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Inhalt der Gespräche ist meist allerdings zurückhaltender. Ein Sprecher von Spotify bestätigte gegenüber dem Portal "Belltower.News" zwar, dass der Podcast kürzlich überprüft worden wäre. Bislang seien allerdings keine Verstöße gegen die Plattform-Regeln festgestellt worden.

Rechtsextreme, Corona-Leugner, Schwurbler – auf Spotify

Und es gibt weitere Podcasts, die rechtsextreme Inhalte oder Falschinformationen und Verschwörungsmythen auf der Streamingplattform verbreiten. Bekannter sind unter anderem die Sendungen des neurechten "Konflikt Magazin" oder der Podcast "Gib ma Kaffee", der von einem der bekanntesten Mitglieder der Identitären Bewegung in Deutschland moderiert wird: Alexander Kleine, auch "Malenki" genannt, twittert nicht nur Hassbotschaften an Politiker und darüber, dass er bald seinen Job bei der "BRD-GmbH" kündigen wolle.

Er berichtet auch aus seinem Alltag in Sachsen: "Wenn du in die Tanke gehst und vom lokalen Telegram-Chat Admin mit 'nimm den Fetzen runter' begrüßt wirst", heißt es in einem Eintrag vom 10. Januar 2022, gefolgt von einem roten Herz-Emoji.

Doch damit nicht genug: Auch Rechtsrock-Bands und Rapper aus demselben Spektrum veröffentlichen ihre Musik auf Spotify, darunter beispielsweise die Hardcore-Gruppe "Green Arrows" aus Italien, die Band "Phönix" und die Neonazi-Musiker "Übermensch". Gibt man "Rechtsrock" in das Suchfeld bei Spotify ein, erscheinen über 25 Playlists, einige mit rechtsextremen Symbolen als Titelbild. Laut Beobachtern der Szene geht Spotify zwar gegen diese Listungen vor – aber eher behäbig. Der Streaming-Konkurrent Deezer greife vergleichsweise schnell ein.

Auch zahlreiche Corona-Leugner verbreiten ihre kruden Inhalte bei Spotify, beispielsweise im Podcast "Corona-Ausschuss" oder "Die dicke fette Coronalüge".

Falschinformationen und Rechtsextremismus: Spotify greift selten ein – oder erst spät

Die Beispiele zeigen das Problem von Spotify: Eine Moderation von Podcast-Inhalten und Musik findet auf der Plattform selten oder gar nicht statt. Sie ist natürlich auch aufwändiger als die Untersuchung von visuellen oder geschriebenen Inhalten, die Falschinformationen oder extremistische Äußerungen transportieren. Einen zwei- bis dreistündigen Podcast anzuhören und auf Richtlinien-Verstöße zu prüfen ist zeit- und damit kostenintensiver, als Tweets oder Bilder überprüfen. Zudem können Podcast-Folgen bei Spotify, anders als Posts in anderen sozialen Netzwerken, nicht von Nutzern gemeldet werden.

Spotify hat mit 365 Millionen aktiven Nutzern eine soziale Verantwortung für die Inhalte, die auf der Plattform verbreitet werden – wird dieser aber offenbar nicht immer gerecht. Während Social-Media-Plattformen, wie Facebook, Twitter oder Youtube, ihre Community-Regeln seit der Beginn der Coronapandemie angepasst haben, um das Verbreiten von Falschinformationen und Verschwörungsmythen einzudämmen, agiert Spotify bisher nur selten. Lesen Sie auch: Rechtsextremismus – Twitter sperrt Konten der "Identitären"

Problematisch an den Aussagen in Rogans Podcast ist aber vor allem, dass dieser seine Sendungen nicht einfach auf Spotify veröffentlicht – der Streamingdienst ist selbst Herausgeber des Podcasts. "The Joe Rogan Experience" ist seit dem Millionen-Deal ein "Spotify Exclusive". Der Digitalexperte der ARD, Dennis Horn, erklärte auf Twitter, dass es eben nicht das Problem sei, dass Rogan, wie beispielsweise als Facebook-Nutzer, Inhalte einfach posten würde und Spotify dafür keine Verantwortung trage. Spotify sei in diesem Fall vielmehr der Medienanbieter, wie beispielsweise ein Verlag.

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Spotify entfernt Neil Youngs Musik – und stellt sich damit hinter Joe Rogan

"Spotify möchte, dass alle Musik- und Audioinhalte der Welt für unsere Hörer*innen verfügbar sind. Das bringt eine große Verantwortung mit sich, wenn es darum geht, ein Gleichgewicht zwischen der Sicherheit der Hörer*innen und der Freiheit der Creator*innen herzustellen", teilte der Streamingdienst am Mittwoch als Reaktion auf Neil Youngs Protest mit. "Wir bedauern Neils Entscheidung, seine Musik von Spotify zu entfernen, hoffen aber, ihn bald wieder begrüßen zu können."

Das Unternehmen wehrt sich gegen die Auffassung, dass Inhalte nicht geprüft werden würden. Seit Beginn der Pandemie habe man mehr als 20.000 Podcast-Episoden mit Bezug auf Corona aus dem Angebot entfernt. Dass gerade der reichweitenstärkste Podcast Spotifys davon aber nicht betroffen ist, macht viele stutzig. Darüber hinaus sind viele Sendungen, die Falschinformationen oder extremistische Inhalte enthalten, jüngeren und älteren Datums weiter auf der Plattform verfügbar.

Eine Anfrage unserer Redaktion mit verschiedenen Fragen zu diesem Thema beantwortete Spotify nicht, sondern verwies lediglich auf die bisher bestehenden Richtlinien.

Debatte um Inhalte auf Spotify: Kundendienst überlastet?

Die Kritik Youngs schien direkte Auswirkungen zu haben: Das Volumen der Beschwerden von Kunden seit seinem Statement hatte offenbar so stark zugenommen, dass Spotify-Kunden zeitweise nicht mit dem Kundendienst chatten konnten. "Wir bekommen gerade sehr viele Kontakte", informierte eine Einblendung. Auch der Wert des Unternehmens litt: Spotify-Aktien verloren am Mittwoch und Donnerstag zusammengenommen etwa sieben Prozent an Wert.

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Konkurrenten des Streamingdiensts nutzten die Situation aus: Apple Music erklärte sich zum "Zuhause von Neil Young". Es sei immer eine gute Idee, Youngs Musik zu hören, twitterte die Musikplattform. Deezer machte Werbung für eine "100-Prozent-Neil-Young-Playlist" und der Dienst Tidal bewarb eine Hilfestellung, mit der Neukunden ihre Playlists aus anderen Diensten importieren können. Youngs Musik trendete wenig später auf der Plattform.

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