Berlin. Die Wissenschaft hofft im Kampf gegen die Corona-Pandemie auf einen Schleimhautimpfstoff. Dieser hätte einen gravierenden Vorteil.

Die Wissenschaft setzt im weiteren Kampf gegen Sars-CoV-2 Hoffnungen auf Lebendimpfstoffe, die über Nase oder Mund verabreicht werden können. Einige dieser Vakzine sind in der Entwicklung so weit fortgeschritten, dass Wirksamkeit und Verträglichkeit bereits an Menschen erprobt werden. Die Impfstoffe könnten ein „Meilenstein“ sein, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“.

Was sind Lebendimpfstoffe?

„Lebendimpfstoffe enthalten abgeschwächte Erreger, die zwar noch lebensfähig sind und sich vermehren können, die aber nicht krank machen“, erklärt das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Internetseite „Zusammen gegen Corona“. Gelangen die Vakzine über die Impfung in den Körper, werde eine Infektion nachgeahmt und das Immunsystem bilde Antikörper. Lebendimpfstoffe gibt es gegen viele Erreger – etwa gegen Masern, Mumps, Röteln oder auch Windpocken.

Lebendimpstoffe: Was sind Vor- und Nachteile dieser Vakzine?

„Lebendimpfstoffe spiegeln dem Organismus die reale Bedrohung durch ein Virus viel besser vor, als das Tot- oder mRNA-Impfstoffe tun“, sagt Impfstoff-Forscher Kai Schulze aus der Abteilung Vakzinologie und angewandte Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Der „echte“ Erreger, der sich noch vermehre und Zellen angreife, ohne sie krank zu machen, „löst eine komplexere Immunantwort aus“ so Schulze.

Immunologen aus Ecuador beschrieben in der Zeitschrift „Nature“ im Februar 2021 eines der Probleme: Um abgeschwächte Viren für Lebendimpfstoffe zu erschaffen, brauche es aufwendige Forschung mit Zellkulturen, erklärten die Wissenschaftler.

Warum sollen die Impfstoffe über ein Spray oder eine Inhalation gegeben werden?

„Wenn ich Impfstoffe über Mund oder Nase verabreiche, simuliere ich die Immunabwehr direkt am Eintrittsort der Krankheitserreger, die uns über Atmung oder Schlucken erreichen“, sagt Kai Schulze. Schleimhautbasierte, also nasal oder oral verabreichte Impfstoffe, hemmten so im Idealfall bereits stark die Infektion.

„Übertragen auf das Coronavirus kann man sagen: Das Virus könnte stärker daran gehindert werden, überhaupt in den Körper einzudringen“, erklärt Schulze. Und das würde bedeuten, dass die Übertragung deutlich reduziert, im Idealfall sogar gestoppt werde. Die Infektion mit und die Übertragung von Sars-CoV-2 trotz einer mehrfachen muskulären Impfung sind aktuell ein Problem, mit dem viele Länder kämpfen.

Was sind die Probleme bei der Entwicklung dieser Impfstoffe?

„Bei der Schleimhaut-Impfung ist der größte Nachteil, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass 100 Prozent meines Impfstoffes zu den Immunzellen vordringt“, sagt Kai Schulze. Denn die Schleimhaut solle gerade das verhindern. „Man muss demnach gucken, wie man es schafft, bei einer gut funktionierenden Schleimhaut die Tür zur Immunantwort ein bisschen zu öffnen“, so Schulze. Und man müsse den Impfstoff so zusammenbauen, „dass ich trotz des Verlusts noch eine schützende Immunantwort stimulieren kann“.

Ein weiterer Unterschied zur Impfstoffinjektion sind veränderte Anforderungen der Zulassung. „Diese sind etwas restriktiver, weil man relativ nah am Hirn ist. Da muss man die Sicherheit schon gut dokumentieren“, sagt Schulze.

Wie viele Forschende arbeiten an einem Impfstoff?

Laut HZI gibt es bereits Inhalationsimpfstoffe gegen andere Krankheitserreger, die eingesetzt oder in Studien getestet werden – gegen Grippe, Keuchhusten oder Tuberkulose. Mindestens sieben Forschungsteams arbeiten laut Weltgesundheitsorganisation an einem Schleimhautimpfstoff gegen Corona. Die Entwicklungen befänden sich in unterschiedlichen Phasen der klinischen Erprobung. Impfprojekte aus Indien und China haben laut den Angaben die Zulassung für eine Phase-III-Studie, bei der Wirksamkeit und Verträglichkeit an Patienten erprobt werden.

Wann könnten die Impfstoffe zugelassen sein?

„Ich könnte mir vorstellen, dass wir schon in diesem Jahr eine Notfallzulassung für eine Booster-Impfung mit einem Schleimhautimpfstoff bekommen“, sagt Kai Schulze. Aus seiner Sicht könnte ein Booster über einen anderen Impfweg als den Muskel sinnvoll sein. „Studien haben gezeigt, dass es eine bessere Immunantwort gibt, wenn man Vektor- und mRNA-Impfstoffe im Impfschema mischt“, sagt Schulze. Auch der Wechsel der Impfroute könnte hilfreich sein.

Generell glaubt Schulze, dass die Corona-Pandemie die Forschung an weiteren Schleimhautvakzinen anschieben wird. „Wir könnten in Zukunft auch für andere Erreger schneller einen solchen Impfstoff bekommen, aufgrund der gemachten Erfahrungen und dem besseren Verständnis für die Anforderungen solcher Impfstoffe.“

Könnten Impfstoff und -weg Skeptiker überzeugen?

Für Kai Schulze ist ein Schleimhautvakzin – abgesehen von den möglichen Vorteilen beim Ausbremsen der Infektionen – vor allem einfacher und komfortabler zu verabreichen. Es gebe keine Spritze und entsprechend keine Spritzenangst. „Ich glaube aber nicht, dass die Akzeptanz der Impfung dann grundsätzlich höher wäre. Es wird auch bei diesen Impfstoffen noch genug Menschen geben, die sagen, ,das ist mir egal, ich will trotzdem nicht geimpft werden‘. Auch da wird es Gegenwind geben.“