Berlin. Schon mit 28 Jahren hielt die Stasi ihn für einen “alten Polit-Profi“. Was die alten Akten über Kanzler Olaf Scholz (SPD) verraten.

Man schaut zwei Mal hin. Ist er das? Der Mann mit den schönen langen Haaren? Wie eine Reise in die Vergangenheit muten die alten Fotos und ausgegrabenen Stasi-Berichte über Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an.

Der frühere Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, schreibt in seinem Blog, Scholz habe zu Beginn seiner Karriere "ausgesprochen Kreml-nahe Positionen" vertreten und "enge Beziehungen zu Funktionären der DDR und der Sowjetunion" unterhalten. Alte Geschichten.

Stasi interessierte sich für Scholz

Neu sind sie nicht. Scholz machte nie ein Geheimnis daraus, dass er Marxist war und zum Stamokap gehörte, zum linken Flügel der Jusos. Als Vizechef der SPD-Jugendorganisation – zwischen 1982 und 1988 – hatte er häufig Kontakt zu DDR-Funktionären.

Es ist eine Ironie, dass sich Scholz häufig und gern auf einen Mann beruft, gegen dessen Politik er Anfang der 80er Jahre auf die Straße ging. Die Rede ist vom damaligen Kanzler Helmut Schmidt und von der Nato-Aufrüstung, dem so genannten Doppelbeschluss.

Zu Juso-Zeiten gehörte Olaf Scholz zum linken Flügel der SPD-Jugendorganisation.
Zu Juso-Zeiten gehörte Olaf Scholz zum linken Flügel der SPD-Jugendorganisation. © Wikipedia

Scholz gern in der DDR gesehen

Die Aufstellung von amerikanischen Raketen polarisierte die alte Bundesrepublik wie kein anderes Thema. Die Debatte spaltete auch die SPD, beschleunigte das Ende der Kanzlerschaft Schmidts, aber auch die Geburt einer neuen Partei, mit der Scholz heute regiert: die Grünen.

Knabe bezeichnet den heutigen Kanzler als "Wortführer der damaligen Proteste gegen die Politik der NATO", aber das ist übertrieben. Wer nach den prominentesten Rednern der Friedensbewegung sucht, muss eher beim damaligen SPD-Chef Willy Brandt oder beim Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll anfangen.

In der Sauna mit DDR-Funktionären

Klar ist: Wegen seiner Stellung und noch mehr seiner Haltung war Scholz für die DDR-Führung ein interessanter Mann - und im September1983 hochwillkommen bei einem "Internationalen Jugendlager" in der DDR. Das fand bei Werder statt, nahe Potsdam, wo der Kanzler mittlerweile wohnt.

Tagelang seien die Teilnehmer mit Vorträgen von SED-Funktionären, Veranstaltungen und Exkursionen "indoktriniert" worden, schreibt der Historiker Knabe. Geleitet wurde die zehnköpfige Juso-Delegation von Scholz, der an einem Abend gemeinsam mit den "FDJ-Granden" in die Sauna ging, wie Knabe unter Verweis auf Teilnehmer behauptet.

Scholz schafft es ins DDR-Fernsehen

Am 4. Januar 1984 schafft es Scholz bei einem Besuch in Berlin auf die Titelseiten des "Neuen Deutschland" und der "Jungen Welt" und in die Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera": Am Vormittag treffen die Jusos den wichtigen SED-Funktionär Egon Krenz.

Entlang der Stasi-Akten, die das Bundesarchiv auf Antrag der "Bild" freigab, streicht das Boulevardblatt die Vorzugsbehandlung für den hofierten Gast aus dem Westen heraus. Die Grenzer erhielten den Auftrag "Erteilung Visa für Berlin, gebührenfrei, Befreiung vom Mindestumtausch, höfliche Abfertigung, ohne Zollkontrolle."

Stasi hielt ihnen für einen Politprofi

Bis Ende der 80er Jahre blieb Scholz für die Stasi interessant. Agenten berichteten mindestens 19 Mal über den Jungpolitiker aus Hamburg: "Gehört zum Stamokap - alter Politprofi, der in der Organisation großen Einfluss hat", notierte die Stasi - mit gutem Riecher für aussichtsreiche Politiker, wie man heute zugeben muss.

Die Daten über Scholz seien damals zum Teil in der Sowjetunion gelandet, wie die Leiterin der Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv,Daniela Münkel, der "Bild" erklärte. Keine Seltenheit, da man dort "starkes Interesse an der politischen Lage und den politischen Konstellationen in der Bundesrepublik hatte - dies betraf auch die Jungsozialisten."

Historiker Knabe fand in den Erinnerungen des DDR-Jugendfunktionärs Eberhard Aurich ein Foto von Scholz von September 1987, das ihn in einer Gruppe von Funktionären beim Olof-Palme-Friedensmarsch in Wittenberg zeigt. Ein Jahr später reiste Scholz erneut in die DDR, die dann im November 1989 implodierte.

Scholz schweigt zu den Akten

Scholz äußert sich weder zu den Akteneinträgen noch zu deren Interpretationen. Bei den 30, fast 40 Jahre alten Geschichten kann man im Nachhinein politisch nur alt aussehen. Als Fraktionsmanager der SPD erteilte er schon 2007 dem Antrag des Historikers Knabe eine Absage, die Einflussnahme der Stasi auf Bundestagsabgeordnete zu untersuchen.

Die Begründung: Weil die Untersuchung "entweder Jahrzehnte dauern oder unseriös werden würde". Die "Zeit" titelte damals irritiert; "Lieber nichts wissen". Scholz sorgte sich, dass bei einer Untersuchung des gesamten Parlaments Namen von Unschuldigen bekannt würden. Er hielt es für besser, dass Wissenschaftler oder Journalisten Einzelfällen nachgehen. Und genau das ist jetzt geschehen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.