Berlin. Einige europäische Länder erhöhen mit strengen Maßnahmen den Druck auf Ungeimpfte. Drohen ähnliche Corona-Regeln bald in Deutschland?

  • Europa wird schwer von der vierten Welle getroffen
  • In Deutschland steigen die Corona-Zahlen rasant an, Österreich entwickelt für Ungeimpfte schon Lockdown-Pläne
  • Droht ein ähnliches Szenario auch in Deutschland?

Deutschland steht wohl der nächste Corona-Winter bevor: Die Neuinfektionen haben wieder deutlich zugenommen, die Sieben-Tage-Inzidenz erreichte am Wochenende erstmals seit Mitte Mai den Wert von 100. Seit mehreren Tagen gibt es täglich deutlich über 10.000 neue Fälle. Die Ziel-Impfquote ist derweil noch nicht erreicht, offiziell sind derzeit 76 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger über 18 Jahren vollständig geimpft – von den Jüngeren ganz zu schweigen.

Andere europäische Länder erhöhen deshalb schon jetzt die Sicherheitsmaßnahmen und den Druck auf Ungeimpfte. Denn mit den steigenden Corona-Zahlen keimen auch Sorgen um eine Überlastung des Gesundheitssystems wieder auf. „Die Inzidenzen sind weiterhin extrem eng gekoppelt an die Aufnahmen auf die Intensivstationen“, sagte Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dem Deutschlandradio.

Zwar seien die Intensivstationen derzeit mit Covid- und anderen Patientinnen und Patienten etwa gleich stark belegt wie vor einem Jahr, allerdings gebe es inzwischen weniger freie Kapazitäten, weil die Zahl der Betten mangels Pflegepersonal verringert werden musste.

Österreich verschärft Corona-Stufenplan – Lockdown für Ungeimpfte

In Österreich bereitet man wegen ähnlicher Probleme einen Lockdown für Ungeimpfte vor. Die österreichische Regierung hat eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen beschlossen für den Fall, dass mehr als 600 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt sind. Künftig werde es dann Ausgangsbeschränkungen für Menschen ohne Impfschutz eingeführt, wie die Regierung am Freitagabend mitteilte. Sie dürften dann ihre Wohnungen nur noch in Ausnahmefällen verlassen. Geimpfte und Genesene wären von der Regelung ausgenommen.

Die neuen Regelungen sehen außerdem Restriktionen für Ungeimpfte bereits für den Fall vor, dass mehr als 500 Corona-Patienten auf den Intensivstationen behandelt werden. Dann tritt in vielen Bereichen wie Gastronomie oder Kultureinrichtungen eine 2G-Regel in Kraft. An den Details feilt man in Wien wohl noch.

Derzeit sind in Österreich laut APA mehr als 220 Intensiv-Betten mit Corona-Patienten belegt. Ab November soll in Österreich zudem die 3G-Regel an jedem Arbeitsplatz mit direktem Kontakt zu Kunden oder Kollegen gelten.

Italien: Strenge 3G-Regelung – ohne „Grünen Pass“ geht gar nichts

Doch Österreich ist nicht der einzige Staat, der drastische Maßnahmen im Vorfeld des zweiten Corona-Winters beschließt. Für Furore sorgte vor allem die Entscheidung der italienischen Regierung, eine 3G-Regelung für den Arbeitsplatz einzuführen. Italiens Regierung hatte vor einer Woche den sogenannten Grünen Pass auf diesen Bereich ausgeweitet.

Seitdem muss man einen Impfnachweis, negativen Test oder eine Genesungsbescheinigung vorzeigen, um zur Arbeit gehen zu können. In der Folge stiegen unter anderem die Zahlen der täglichen Corona-Tests merklich. Auch der Corona-Inzidenzwert ist in dem Land wieder leicht gestiegen. Stand Donnerstag lag der Wert je 100.000 Einwohner für die vorangegangenen sieben Tag landesweit bei durchschnittlich 34 Fällen, wie das Gesundheitsministerium in seinem wöchentlichen Corona-Lagebericht am Freitag in Rom mitteilte.

Natürlich habe man mit mehr Tests auch mehr positive Fälle, erklärte der Epidemiologe Giovanni Rezza am Freitag. Der leichte Anstieg der Inzidenz könnte zum Teil mit der Anhäufung von Tests erklärt werden.

Hohe Bußgelder für Verstöße gegen 3G-Pflicht am Arbeitsplatz

Die italienische Regelung ist die strengste dieser Art in Europa. Wer ohne den „Grünen Pass“ zur Arbeit kommt, riskiert bis zu 1500 Euro Bußgeld. Wer der Arbeit fernbleibt, muss mit unbezahlter Freistellung rechnen - dies lässt sich durch Krankschreibungen umgehen. Die Kosten für Corona-Tests sind im Normalfall selbst zu tragen.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Rom haben inzwischen knapp 82 Prozent der Italiener im Alter von über zwölf Jahren vollständig geimpft, mehr als 85 Prozent haben zumindest eine Impfdosis erhalten. Schätzungen zufolge sind allerdings bis zu drei Millionen Arbeiter noch ungeimpft. Infolge der neuen Maßnahme erhöhte sich auch sprunghaft die Zahl der Krankschreibungen in dem südeuropäischen Land.

Corona-Situation in Deutschland: Härtere Maßnahmen erforderlich?

Könnten ähnlich harte Maßnahmen auch bald in Deutschland verhängt werden? Die stark steigenden Fallzahlen trotz der Corona-Impfungen sorgen zumindest langsam für Besorgnis „Natürlich gehen jetzt die Zahlen hoch, und sie werden auch weiter steigen“, sagte Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, der Deutschen Presse-Agentur. Immerhin sei nun aber ein sehr großer Teil der Menschen durch die Impfung geschützt. Trotzdem hält Watzl die konsequente Umsetzung der 3G-Regel bei Veranstaltungen und in Innenräumen für unabdingbar.

"Getestet! Geimpft! Genesen!" steht auf einem Schild an einer Bar. © dpa

Schon Mitte Oktober berieten die Gesundheitsminister der Länder mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über weitere Schutzmaßnahmen in der Pandemie. Damals stand eine bundesweite Testpflicht für Beschäftigte, die Kontakt mit Kunden haben, zur Debatte. Bund und Länder konnten sich aber nicht auf ein einheitliches Vorgehen für das Erlassen einer solchen Corona-Testpflicht für Mitarbeiter in Unternehmen mit Publikumsverkehr einigen.

Baden-Württemberg und Sachsen wagten danach den Alleingang: Hier müssen Mitarbeiter, die „direkten Kontakt zu externen Personen“ haben, sich derzeit testen lassen, wenn sich die Corona-Lage verschärft und bestimmte Behandlungszahlen in den Kliniken überschritten werden. In Sachsen ist die Testpflicht von Beschäftigten an einen Inzidenzwert von 35 gekoppelt. Wird er überschritten, „sind Beschäftigte und Selbstständige mit direktem Kundenkontakt verpflichtet, zweimal wöchentlich einen Testnachweis zu führen“. Auch in Bayern gibt es bereits in einigen Berufsfeldern, etwa bei Erziehern entsprechende Vorschriften.

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Kommt strenge 3G-Regelung auch in Deutschland?

Ob eine generelle 3G-Regelung am Arbeitsplatz in Deutschland überhaupt umsetzbar ist, ist allerdings fraglich. Die Auskunftsrechte der Arbeitgeber und Arbeitnehmerrechte verhindern eigentlich, dass beispielsweise der Impfstatus vom Chef abgefragt werden darf. Hierfür müsste es eine Gesetzesänderung geben.

Dafür zeigte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in letzter Zeit aber offen: Er könne sich grundsätzlich vorstellen, dass Arbeitgeber Mitarbeiter nach ihrem Corona-Impfstatus fragen dürfen. Er sei hin- und hergerissen, ob es nicht zumindest eine Gesetzesänderung geben solle, die Arbeitgebern zumindest für die nächsten sechs Monate eine solche Statusabfrage erlaube, sagte der CDU-Politiker bereits im frühen Herbst in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. Beim Restaurantbesuch werde es ja nicht anders gemacht, so Spahn. Er argumentierte: „Wenn alle im Großraumbüro geimpft sind, kann ich damit anders umgehen, als wenn da 50 Prozent nicht geimpft sind.“

Je nachdem, wie schnell die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP laufen, dürfte ein großer Teil des Corona-Winters in die Verantwortung der neuen Bundesregierung fallen – in der Spahn nicht mehr Minister wäre. Doch der Koalitionsvertrag soll erst Ende November feststehen. Die Corona-Fallzahlen in Deutschland dürften schon vorher schwindelerregende Höhen erreichen, wenn man Experten glaubt. Eskaliert dann die Lage in den Krankenhäusern, dürfte die aktuelle Regierung noch einmal Handlungsbedarf sehen – und sich vielleicht an anderen europäischen Ländern ein Vorbild nehmen.

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(bml mit dpa/epd)