Berlin. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil über den Start der Koalitionsverhandlungen – und sein ganz besonderes Verhältnis zur Bundeswehr.

Lars Klingbeil hat den Wahlkampf der SPD geleitet, die Ampel-Sondierungen koordiniert – und kann sich jetzt Hoffnungen auf einen Kabinettsposten machen. Im nüchternen Konferenzraum eines Bundestagsgebäudes sagt der Generalsekretär, wer sich was von der neuen Regierung erhoffen kann.

Herr Klingbeil, die FDP hat sich in der Sondierungsrunde für eine Ampelkoalition weitgehend durchgesetzt. Was will die SPD jetzt in den Koalitionsverhandlungen erreichen?

Lars Klingbeil: Ich möchte dem Eindruck widersprechen, dass sich eine Partei durchgesetzt hat. Alle finden sich in dem Sondierungsergebnis sehr gut wieder. In den Koalitionsverhandlungen geht es darum, Sachen viel stärker zu konkretisieren. Aber der gemeinsame Rahmen für einen Aufbruch steht.

Damit sind Steuererhöhungen für Spitzenverdiener vom Tisch. Ist soziale Umverteilung mit dieser Regierung nicht möglich?

Es ist unser Ziel, Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Darauf haben wir uns verständigt. Dass die drei Parteien im Wahlkampf eine Differenz bei Steuererhöhungen für Spitzenverdiener hatten, ist bekannt.

Die FDP hat auch die Schuldenbremse erfolgreich verteidigt. Wie wollen Sie die angekündigten Milliarden-Investitionen finanzieren?

Auf der einen Seite stehen dank Olaf Scholz jetzt schon 50 Milliarden Euro pro Jahr für Zukunftsinvestitionen im Haushalt. Auf der anderen Seite wollen wir private Investitionen zum Beispiel in den Ausbau erneuerbarer Energien noch viel stärker anreizen. Und wir sorgen durch beschleunigte Planungsverfahren und höhere Planungssicherheit auch dafür, dass Investitionen wirklich abfließen.

Solarzellen stehen in einer Photovoltaikanlage.
Solarzellen stehen in einer Photovoltaikanlage. © dpa

Das heißt, Sie kommen ohne größere Neuverschuldung aus?

Die Details klären wir in den Verhandlungen. Aber wir sind in einem viel stärkeren Wachstum, als wir das zu Hochzeiten von Corona noch befürchtet haben. Das wird dafür sorgen, dass mehr Steuereinnahmen da sind. Dazu kommen zusätzliche Einnahmen zum Beispiel durch die globale Mindestbesteuerung, die pro Jahr für Deutschland etwa sechs Milliarden Euro bringen wird.

FDP und Grüne streiten um das Finanzministerium. Hat die SPD kein Interesse an diesem Schlüsselressort?

Es gibt eine Personalie, die geeint ist: Wir wollen, dass Olaf Scholz Kanzler wird. Alles Weitere wird erst noch besprochen.

Um mit Gerhard Schröder zu fragen: Wer wird Koch, wer Kellner in dieser Konstellation?

Wir wollen diese Koalition formen zwischen drei Partnern auf Augenhöhe. Die Koch-und-Kellner-Zeit ist vorbei.

Und Olaf Scholz wird auch kein Basta-Kanzler?

Olaf Scholz ist in der Lage, Brücken zu bauen, sich unterschiedliche Positionen anzuhören - und dann einen sehr klugen Vorschlag zu machen, wie der gemeinsame Weg aussehen kann.

Kommt eine Ampelkoalition zustande, so wird er der nächste Bundeskanzler: Olaf Scholz.
Kommt eine Ampelkoalition zustande, so wird er der nächste Bundeskanzler: Olaf Scholz. © dpa

Die Wirtschaft wünscht sich Sozialreformen, so mutig wie die von Gerhard Schröder. Wird die Ampel liefern?

Wir wollen die Renten stabilisieren, eine Kindergrundsicherung einführen, den Mindestlohn erhöhen.

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Schröders Reformen gingen in eine andere Richtung.

Moment! Wir sorgen dafür, dass Kinder aus Armutsverhältnissen rauskommen, Menschen von ihrer Arbeit leben können und eine auskömmliche Rente haben. Ein Mindestlohn von 12 Euro bedeutet zum Beispiel eine Lohnverbesserung für 10 Millionen Menschen. Das sind wichtige Schritte, die mit dafür sorgen, dass Menschen nicht auf Transferleistungen des Staates angewiesen sind.

Sie wollen Hartz IV in Bürgergeld umtaufen. Was haben Arbeitslose davon?

Als die jetzige Grundsicherung eingeführt wurde, hatten wir fünf Millionen Arbeitslose. Damals war der Aspekt, dass man den Druck erhöht, viel größer. Heute geht es viel mehr um Qualifikation und Weiterbildung. Um einen Staat, der die Menschen befähigt und sie unterstützt. Wie das Bürgergeld ausgestaltet wird, ist jetzt Teil der Koalitionsverhandlungen.

Fallen die Sanktionen weg?

Wer eine staatliche Leistung bekommt, hat auch eine Verantwortung. Daher ist es richtig, dass der Staat auch etwas erwartet. Aber wir haben gesehen, dass es Sanktionen gibt, mit denen auch das Bundesverfassungsgericht nicht einverstanden ist. Es kann nicht sein, dass ein junger Mensch seine Wohnung verliert, wenn er einmal zu spät zum Amt kommt.

Lars Klingbeil (Mitte, SPD) mit den den möglichen Koalitionspartnern Volker Wissing (l.), Generalsekretär der FDP, und Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, am Ende der Sondierungsgespräche Mitte Oktober.
Lars Klingbeil (Mitte, SPD) mit den den möglichen Koalitionspartnern Volker Wissing (l.), Generalsekretär der FDP, und Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, am Ende der Sondierungsgespräche Mitte Oktober. © Getty Images | Omer Messinger

Herr Klingbeil, Sie sind an einem Bundeswehrstandort aufgewachsen, Ihr Vater war Soldat. Später haben Sie den Wehrdienst verweigert. Wie ist Ihr Verhältnis zum Militär?

Ich hatte längere Zeit ein sehr kritisches Verhältnis zur Bundeswehr. Das war durch verschiedene Dinge geprägt, die ich in meiner Jugend in Munster erlebt habe. Eine Anekdote kann ich Ihnen erzählen: Der Vater meiner ersten Freundin war Offizier, und er wollte nicht, dass diese Beziehung besteht, weil ich ein Unteroffizierskind bin. Dieses Hierarchie-Denken passte nicht zu meinem Verständnis von gerechter Gesellschaft. Ich wollte raus aus Munster, bin nach Hannover gegangen und habe Zivildienst geleistet in der Bahnhofsmission. Aber dann hatte ich ein sehr einschneidendes Erlebnis.

Welches?

Ich habe als Praktikant in Manhattan gelebt, als es am 11. September 2001 zu dem Anschlag auf das World Trade Center kam. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich den Einsatz militärischer Gewalt nicht mehr pauschal ablehnte. Wenn man die Anschläge dort vor Ort erlebt hat, prägt einen das. Den Afghanistan-Einsatz fand ich damals richtig.

Und heute?

Wir haben Dinge erreicht in Afghanistan. Wir haben Al-Qaida zerschlagen. Aber der Auftrag war in den letzten Jahren nicht mehr klar, und der Abzug war nicht rühmlich. Es ist notwendig, dass es jetzt eine Aufarbeitung gibt. Das sind wir den Soldatinnen und Soldaten schuldig, die dort ihr Leben für uns riskiert haben. Wir müssen uns auch fragen, was dieser Einsatz für die deutsche Sicherheitspolitik heißt.

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In der Bundeswehr kommen immer wieder extremistische Umtriebe ans Tageslicht. Wie groß ist das Problem?

Die Bundeswehr ist Spiegelbild der Gesellschaft. Aber gerade bei der Bundeswehr ist man in der Pflicht, genauer hinzugucken. Das darf an keiner Stelle heruntergespielt werden. So etwas wie die Innere Führung, das Konzept des Staatsbürgers in Uniform, auch die politische Bildung müssen wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Aber ich wehre mich auch gegen pauschale Verurteilungen. Dafür kenne ich zu viele Soldatinnen und Soldaten, die sich in unserer demokratischen Gesellschaft und in Vereinen engagieren. Das sind sehr ehrenwerte Menschen.

Die Wehrbeauftragte Eva Högl hat eine Wiedereinführung der Wehrpflicht angeregt - auch als Schutz vor rechtsextremen Tendenzen. Ist das eine Überlegung wert?

Spätestens als die Wehrpflicht auf sechs Monate reduziert wurde, war klar, dass eine solche Ausbildung sicherheitspolitisch keinen Sinn mehr macht. Allerdings sollten wir zwei Dinge tun: Erstens den freiwilligen Dienst stärken. Und zweitens die Bundeswehr stärker in die Gesellschaft holen. Ich fand es komplett richtig, dass der große Zapfenstreich zu Ehren der Afghanistan-Soldaten hier vor dem Parlament gemacht wurde.

Schlussakkord des Afghanistan-Einsatzes: Soldaten laufen beim Großen Zapfenstreich in Berlin, um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu würdigen.
Schlussakkord des Afghanistan-Einsatzes: Soldaten laufen beim Großen Zapfenstreich in Berlin, um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu würdigen. © dpa | Christophe Gateau

Bekennt sich eine Ampel-Regierung zum Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben?

Der Verteidigungsetat ist dank Olaf Scholz in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Wir haben eine Parlamentsarmee, die wir in gefährliche Einsätze schicken. Die Ausstattung der Soldaten muss optimal sein. An dieser Frage geht mir die theoretische Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel aber manchmal vorbei.

Theoretisch?

Die Frage der bestmöglichen Ausstattung hängt nicht nur am Geld, sondern auch an Beschaffungsprozessen und bürokratischen Hürden. Wir müssen das Geld so ausgeben, dass die Soldatinnen und Soldaten profitieren. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer war in den vergangenen Jahren immer wieder gezwungen, Geld zurückzugeben, das nicht abfließen konnte.

Also kein Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel.

Wenn wir Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze schicken, müssen sie optimal vorbereitet, ausgestattet und nachbetreut werden. Dafür muss und wird ausreichend Geld da sein. Die Truppe kann sich auf uns verlassen.

Braucht Europa eine gemeinsame Armee?

Die Kooperation der nationalen Armeen muss ausgebaut werden mit dem Ziel einer europäischen Armee.

Wie realistisch ist dieses Ziel?

Wir brauchen als Europäer Visionen.

Sie waren Wahlkampfleiter - und die SPD hat gewonnen. Was wünschen Sie sich als Belohnung? Das Verteidigungsministerium?

(lacht) Die Belohnung für den intensiven Wahlkampf und unsere Aufholjagd ist der Moment, wenn Olaf Scholz im Bundestag als Kanzler vereidigt wird.