Berlin. Im neuen Schuljahr befürchten die Pädagogen massive Auseinandersetzungen mit Eltern. Es wird um Kinderimpfungen gehen, aber nicht nur.

  • In den ersten Bundesländern hat das neue Schuljahr begonnen
  • Doch nach wie vor sind kaum Schülerinnen und Schüler geimpft
  • Lehrer erwarten deshalb Auseinandersetzungen mit Eltern

Die Delta-Welle in Deutschland rollt, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie in den kommenden Wochen auch in den Klassenzimmern aufschlagen. Schulen und vor allem die Lehrkräfte werden dann wohl erneut vor der Frage stehen, wie sich Unterricht in der Pandemie gestalten lässt. Im Vergleich zum zurückliegenden Schuljahr gibt es diesmal aber einen zentralen Unterschied: die Corona-Impfung. Doch was wie die Lösung klingt, könnte bald der Anfang neuer Probleme sein.

Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbands ist inzwischen die Mehrzahl der Lehrkräfte gegen Covid-19 immunisiert. Die Organisation spricht von einem Wert zwischen 85 und 96 Prozent. Zum Schulstart sind damit viele Pädagogen relativ gut geschützt, falls Kinder und Jugendliche eine Delta-Infektion aus dem Urlaub in den Unterricht tragen sollten.

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Bisher sind nur 10,1 Prozent der 12- bis 17-Jährigen zweifach geimpft

Zudem können Eltern ihre Kinder ab zwölf Jahren seit einigen Wochen gegen Covid-19 impfen lassen. Eine generelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren gibt es zwar bislang nicht.

Doch nun will die Politik das Angebot für diese Altersgruppe massiv ausbauen. Denn die Jüngeren haben derzeit die höchste Sieben-Tage-Inzidenz und zugleich eine niedrige Impfquote. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) waren zu Wochenbeginn lediglich 10,1 Prozent der 12- bis 17-Jährigen zweifach geimpft, 20,7 Prozent haben die erste Dosis erhalten. Lesen Sie auch den Kommentar: Warum Kinderimpfungen die falsche Priorität sind

Es werden schwierige Wochen: Dürfen geimpfte Schülerinnen und Schüler mehr als ungeimpfte? Dürfen Pädagogen für die Covid-19-Impfung werben? Auseinandersetzungen mit den Eltern sind absehbar.
Es werden schwierige Wochen: Dürfen geimpfte Schülerinnen und Schüler mehr als ungeimpfte? Dürfen Pädagogen für die Covid-19-Impfung werben? Auseinandersetzungen mit den Eltern sind absehbar. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Waltraud Grubitzsch

Wie aber läuft es bis dahin? Und was kommt demnächst auf Lehrkräfte zu, falls sie vor Schulklassen stehen, in denen vielleicht die Hälfte der Schüler gegen Corona geimpft ist und die andere nicht?

Welche Konflikte müssen Lehrerinnen und Lehrer demnächst mit Eltern ausfechten, falls geimpfte Schülerinnen und Schüler mehr Dinge dürfen als ungeimpfte? Klassenfahrt, Ausflüge und Abifeiern nur noch mit Impfbescheinigung? Und dürfen Pädagogen bei Kindern und Jugendlichen für eine Corona-Impfung werben oder aber davon abraten?

Viele Corona-Konflikte im neuen Schuljahr befürchtet

Viele Fragen sind offen. Hingegen scheint festzustehen: Schon bald dürfte es hart zur Sache gehen. Das befürchtet auch Gudrun Wolters-Vogele, Vorsitzende des Allgemeinen Schulleitungsverbands Deutschland. Ihre Dachorganisation vertritt rund 30.000 Schulleitungen aus zehn Landesverbänden.

„Natürlich wird es im Alltag heftige Diskussionen geben. Darauf müssen sich die Lehrkräfte einstellen“, sagte Wolters-Vogele unserer Redaktion – und nennt ein Beispiel: „Wenn es künftig einen positiven Corona-Fall in der Klasse gibt, müssen diejenigen in Quarantäne, die nicht doppelt geimpft sind. Die anderen dürfen hingegen im Präsenzunterricht bleiben und können sich weiterhin an schulischen Aktivitäten beteiligen. Das wird zu Spannungen führen.“

Auch Auseinandersetzungen der Lehrer mit Eltern beim Thema Impfen seien absehbar. Diese gebe es bereits jetzt an den Schulen, „und zwar bei der Masern-Pflichtimpfung. Das wird bei Corona ähnlich ablaufen“, glaubt die Verbandschefin.

So werde es auch demnächst „erwartbare Konflikte“ geben um die grundsätzliche Frage, ob Impfungen notwendig seien und ob Elternrechte übergangen werden. „Es wird auch Debatten mit Kindern geben, die Impfungen vielleicht ablehnen oder unbedingt haben wollen“, glaubt Wolters-Vogele. Den Lehrern stehen gesprächsreiche Wochen bevor.

Abfrage über den Impfschutz ist heikel

Schon allein die Klärung, welche Kinder und Jugendliche überhaupt einen Impfschutz haben, ist laut der Verbandschefin heikel. „Ich gehe davon aus, dass wir den Impfstatus der einzelnen Schüler aus rechtlichen Gründen nicht von uns aus abfragen dürfen.“

Andererseits gelte: „Wer aus der Testpflicht herauskommen will, muss nachweisen, dass er geimpft ist. Anders geht es nicht.“ Insofern wird nach ihren Worten kaum ein Weg daran vorbeiführen, dass die Schulen Informationen über den Impfstatus der Jugendlichen erhalten. Auch interessant: Corona-Impfungen und Kinder: Das können wir von den USA lernen

Jedoch müssten sich gleichzeitig besonders die verbeamteten Pädagogen mit etwaigen Ratschlägen zur Impfung zurückhalten. „Die einzelne Lehrkraft und die Schulen werden keine ausdrückliche Impfempfehlung abgeben können“, das sei „eine politische Entscheidung, die wir nicht an den Schulen treffen können“.

Wenn aber die Politik klar sage, dass Impfungen an Schulen ausdrücklich empfohlen werden sollten, um Lehrkräfte und Jugendliche vor Infektionen zu schützen, „dann können wir uns dem auch nicht verweigern“, sagte Wolters-Vogele.

Eltern warnen vor politischem Druck bei Kinderimpfung

Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, findet, Lehrkräfte sollten sich bei direkten Empfehlungen an Schüler in der Frage der Impfungen zurückhalten. „Das ist nicht ihr Zuständigkeitsbereich. Letztendlich müssen das die Eltern nach ärztlicher Beratung selbst entscheiden“, sagte Meidinger unserer Redaktion. Auch interessant: Warum der Datenschutz den Unterricht ausbremst

Mobile Impfangebote für Kinder und Jugendliche hält er jedoch für sinnvoll, „es spricht nichts dagegen, an oder im Umfeld von Schulen Impfmöglichkeiten anzubieten“. Die Verantwortung hierfür liege aber nicht bei Lehrkräften und Schulleitungen, sondern bei den Gesundheitsbehörden. Sie hätten „den Hut auf“, betonte Meidinger.

Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, sprach sich für Impfangebote „durch qualifiziertes medizinisches Personal vor den Schulen“ aus. Dies könne in der Pandemie eine unterstützende Maßnahme sein, um eine höhere Impfquote zu erreichen.

Kaum Impfgegner unter den Pädagogen vermutet

Erneut stellte sich die GEW-Chefin aber gegen eine Impflicht. Lehrkräfte ließen sich schon jetzt „zu einem hohen Anteil impfen, um sich selbst und andere zu schützen“, sagte Finnern auch mit Blick auf den nahenden „Delta-Herbst“.

Dass es auch unter den Pädagogen eine nennenswerte Zahl von Impfgegnern geben könnte, schließt der Lehrerpräsident indes aus. Nach seinem Eindruck seien auch „unter der kleinen Minderheit, die sich bislang nicht impfen hat lassen, generelle Corona-Impfgegner selten zu finden“, sagte Meidinger. Es handle sich hierbei „oft um Menschen, bei denen ein nachgewiesenermaßen höheres Risiko allergischer Reaktionen oder anderer Impfrisiken besteht“.

Elternvertreter warnen derweil die Verantwortlichen in der Politik davor, eine Corona-Impfung der Kinder zur Voraussetzung für den Schulbesuch zu machen. „Viele Eltern stehen dem Impfangebot sehr skeptisch gegenüber – mindestens solange die Ständige Impfkommission keine Empfehlungen dafür abgibt“, sagte Ines Weber, Vorstandsmitglied des Bundeselternrats.

Noch fehlten Studien zur Verträglichkeit und zu den Langzeitwirkungen der Impfungen bei Kindern und Jugendlichen. Trotzdem fühlten sich Eltern unter Druck gesetzt, ihre Kinder impfen zu lassen, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen, kritisierte Weber.