Ahrweiler/Köln. Zahlreiche Menschen sind nach den Überschwemmungen in Deutschland von der Außenwelt abgeschnitten. So erleben sie die Katastrophe.

Gigantische Wassermassen fließen durch die Straßen, ganze Orte versinken in braunen Fluten. Es sind unfassbare Bilder und Szenen, die sich in vielen Teilen Deutschlands abspielen – besonders betroffen von der Katastrophenflut sind die Eifel und Nordrhein-Westfalen. Mindestens 43 Menschen sterben nach den Überflutungen. Etwa 70 Menschen wurden am Donnerstagabend noch vermisst. Mehrere Häuser sind eingestürzt. Menschen fliehen in ihrer Not auf ihre Hausdächer und warten auf Rettung. Etwa 200.000 Menschen sind deutschlandweit ohne Strom.

„Das ist die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Jürgen Pföhler, Landrat in Ahrweiler. Der Landkreis in Rheinland-Pfalz ist mit am stärksten von der Katastrophe betroffen. Hier hat sich die Zahl der Toten auf mindestens 18 erhöht. Hundert Häuser wurden zerstört. Die reißende Ahr hat sie einfach weggespült – vielfach waren die Menschen noch im Haus. Eine Frau konnte den Wassermassen nicht entkommen. Sie ertrank in ihrer Souterrain-Wohnung.

Hochwasser in Deutschland: Altenpflegerin verzweifelt über Versorgungslage

Auch der kleine Ort Schuld im Kreis Ahrweiler ist betroffen: „Es fehlen drei Häuser, die die Sturmflut mitgerissen hat“, sagt Ortsbürgermeister Helmut Lussi. „Autos sind weggeschwommen und Gastanks wurden weggerissen. Es sieht verheerend aus, wie nach einem Bombenanschlag..“

Yvonne Glasner ist erst vor zwei Wochen mit ihrer Familie in ihr Häuschen eingezogen. Im Fernsehinterview berichtet sie, welche dramatischen Szenen sich in der Nacht zum Donnerstag abgespielt haben: Ganz schnell seien „Keller und Garage vollgelaufen, sagt sie und ergänzt, sie könne es immer noch nicht fassen. Mit belegter Stimme berichtet sie, wie dann „das Auto ihres Schwiegervaters und noch andere Autos“ am Schlafzimmerfenster vorbeigeschwommen sind. „Auch der Kühlschrank trieb uns schon entgegen.“ Eigentlich hatten sie sich schon zum Schlafen hingelegt. Doch dann hat sie alle wachgeschrien und gerufen: „Wir müssen hier raus!“

Sie und ihre Familie sind in Sicherheit. Aber sie macht sich Sorgen um ihre Angehörigen, die sich wie viele in ihren Häusern nach oben geflüchtet haben. „Meine Schwiegereltern sitzen im zweiten Stock fest. An die kommt man überhaupt nicht mehr ran. Sie sind komplett eingeschlossen.“ Sie selbst hat keinen Strom und nur noch die Hoffnung, dass sie überhaupt wieder in ihr Haus zurückkann.

Insul in Rheinland-Pfalz: Weitgehend zerstört und überflutet ist das Dorf Insul in Rheinland-Pfalz nach massiven Regenfällen und dem Hochwasser der Ahr.
Insul in Rheinland-Pfalz: Weitgehend zerstört und überflutet ist das Dorf Insul in Rheinland-Pfalz nach massiven Regenfällen und dem Hochwasser der Ahr. © dpa | Boris Roessler

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Überschwemmungen: „Es sieht aus wie im Krieg“

Verzweiflung ist auch bei Jessica Groß zu spüren. Die Altenpflegerin aus Ahrweiler sagt: „Es ist so furchtbar, es sieht so aus wie im Krieg, Autos hängen auf Bäumen, alles ist überflutet, durch die vielen Absperrungen kommt man kaum nach Hause.“ Doch zum Weinen bringt die 30-Jährige, dass sie und ihre Kollegen viele ihrer Patienten gar nicht erreichen können: „Wir wissen noch nicht einmal, wie es ihnen geht, denn die Telefone funktionieren nicht und viele könnten noch nicht mal den Notruf wählen.“

Dramatische Bilder kommen auch aus Teilen von Nordrhein-Westfalen. 15 Menschen kamen allein in Euskirchen bei Köln ums Leben, meldet die Polizei. In Solingen starb ein 82 Jahre alter Mann nach einem Sturz im überfluteten Keller seines Hauses, weil er mit dem Kopf unter Wasser geraten war.

An der Steinbachtalsperre mussten mehrere Orte evakuiert werden. Die Talsperre wurde von einem Sachverständigen als „sehr instabil“ eingestuft. 4500 Einwohner sind betroffen. Viele Orte in NRW sind immer noch von der Außenwelt abgeschnitten. So auch das sauerländische Altena. „Es ist wirklich sehr bedrückend hier“, sagte ein Kreis-Sprecher. Das Wasser fließe noch immer kniehoch durch die Straßen. Ein Feuerwehrmann hatte am Mittwoch hier sein Leben verloren.

Schuld in Rheinland-Pfalz: Zwei Frauen stehen neben Trümmern vor einem Haus in dem Ort im Kreis Ahrweiler am Tag nach dem Unwetter mit Hochwasser. Mindestens sechs Häuser wurden durch die Fluten zerstört.
Schuld in Rheinland-Pfalz: Zwei Frauen stehen neben Trümmern vor einem Haus in dem Ort im Kreis Ahrweiler am Tag nach dem Unwetter mit Hochwasser. Mindestens sechs Häuser wurden durch die Fluten zerstört. © dpa | Thomas Frey

Polizei muss gegen Plünderer vorgehen

Bewohner aus Altena berichten am Telefon von Autos, die in der Brühe schwimmen und dem Geruch von Öl und Diesel, der über der Stadt liegt. Straßen seien zu vermüllten Grachten geworden, Keller und Geschäfte vollgelaufen. „Bei den Ersten werden langsam die Lebensmittel knapp“, sagt ein Mann.

Die Stadt Hagen steht teilweise unter Wasser. Hier hilft die Bundeswehr mit, die Schäden einzudämmen. Hundert Soldaten sind im Einsatz. Am Donnerstag wurden zwei weitere Panzer geschickt.

Entsetzt zeigte sich die Polizei über Plünderer, die in Stolberg bei Aachen unterwegs waren. Einer wollte einen Juwelier überfallen, die Polizei konnte den Verdächtigen aber festnehmen. Auch in einen Supermarkt wurden sie gerufen. Hier konnten die Unbekannten flüchten. Eine Hundertschaft der Polizei bewache nun die leer stehenden Häuser.

Betroffen von den Folgen des schweren Unwetters sind auch Deutschlands Nachbarstaaten Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Mindestens sechs Menschen sollen ihr Leben verloren haben.

Fünf schlimme Stürme in Deutschland

Sturm
Sturm "Lothar" gilt bis heute als Jahrhundertsturm und Vorbote des Klimawandels. 1999 fegte er über Europa. Mehr als 100 Menschen starben. Diesem Gebäude in Karlsruhe wurde das Dach teilweise weggerissen. © dpa/lsw
Aufräumarbeiten: Orkantief
Aufräumarbeiten: Orkantief "Lothar" brachte 1999 das Dach dieses Autohauses in Achern (Ortenaukreis) zum Einstürzen. Über 20 Neuwagen verschiedener Marken wurden beschädigt. © dpa
2007 zog der Orkan
2007 zog der Orkan "Kyrill" über das Land. Bis heute gilt er als einer der heftigsten Stürme in Deutschland. Vielerorts - wie hier in Wipperfürth - entwurzelte er Bärume. © IMAGO / McPHOTO/Luhr
Der Orkan
Der Orkan "Kyrill" wütete heftig, 47 Menschen verloren ihr Leben. Hier schieben Feuerwehrleute einen umgestürzten Anhänger auf der Autobahn am Andislebener Kreuz von der Straße. © IMAGO / Bild13
Sturmtief
Sturmtief "Christian" hielt die Menschen in Nord- und Westeuropa 2013 in Atem, 16 Menschen starben. In Deutschland war vor allem der Norden betroffen: In Scharbeutz an der Ostsee ziehen dunkle Wolken auf. © IMAGO / Christian Ohde
Sturmschäden in Hamburg: Tief
Sturmschäden in Hamburg: Tief "Christian" hat 2013 das Dach des Ernst-Deutsch-Theaters abgedeckt. © IMAGO / Lars Berg
Der Orkan
Der Orkan "Niklas" verursachte 2015 große Schäden. Elf Menschen kamen zu Tode, die Kosten beliefen sich auf rund 750 Millionen Euro. Am Flughafen Tegel rissen die Windböen ein Werbebanner von Qatar Airways nieder. © IMAGO / Arnulf Hettrich
Weitere Folgen von Sturm
Weitere Folgen von Sturm "Niklas": In Waltershausen (Landkreis Gotha / Thüringen) knickte ein Baum um, der daraufhin eine Stromleitung herunterriss. © IMAGO / Jacob Schröter
"Friederike" zog 2018 als schwerer Sturm mit Orkanböen über das Land. Zehn Menschen starben. Starkregen - wie hier in Berlin - fiel nieder. © IMAGO / photothek / Florian Gärtner
"Friederike" gilt als der schwerste Sturm seit "Kyrill". Auf der A71 in Richtung Schweinfurt stürzte ein LKW um. © IMAGO / Steve Bauerschmidt
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