Berlin. In Deutschland verbreiten sich derzeit mehrere Corona-Varianten, darunter auch die Gamma-Mutation. Das muss man darüber wissen.

Eigentlich sorgt gerade vor allem die Delta-Variante des Coronavirus für Sorgenfalten bei deutschen Politiker und Pandemie-Experten. Doch neue Infektionsfälle in einem Schlachthof in Niedersachsen rufen eine Virus-Variante auf den Plan, die viele gerade in Deutschland schon abgeschrieben hatten. In acht der fast 50 Fälle wurde die zuerst in Brasilien aufgetretene Gamma-Variante (P.1) nachgewiesen, die restlichen Infektionen lassen sich auf die Delta-Variante zurückführen.

Nach vorläufigen Prüfungen des Gesundheitsamtes seien die Delta- und Gamma-Variante durch Reiserückkehrer in den Landkreis Cloppenburg und in das Umfeld des Schlachtbetriebs gelangt. Eigentlich wurde der Gamma-Typ des Sars-Cov-2-Erregers bisher nur vereinzelt in Deutschland nachgewiesen. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt, dass weniger als ein Prozent der Corona-Fälle darauf zurückgehen.

Der Ausbruch in Niedersachsen wirft nun neues Licht auf die Verbreitung der Variante in Deutschland – gerade während der Urlaubssaison. Doch wie gefährlich ist die Gamma-Variante tatsächlich? Alle bisher bekannten Informationen im Überblick.

Gamma-Variante: Wie und wo wurde sie entdeckt?

Die Variante Gamma des Coronavirus, auch als Lineage P.1 oder Variante B.1.1.248 bezeichnet, wurde erstmals im November 2020 in Manaus in Brasilien festgestellt. Forscher schätzen, dass diese Mutation erstmals zwischen dem 6. Oktober und dem 24. November 2020 aufgetreten ist.

Bereits im Oktober 2020 stiegen in Brasilien, insbesondere in der dortigen Region Amazonas, die Infektionszahlen sprunghaft um fast 70 Prozent an. Ab Januar diesen Jahres beobachtete man dann eine deutliche Steigerung der Covid-19-Todesfälle in Brasilien. Der erste Labornachweis der Mutation erfolgte allerdings erst im Januar 2021 in Japan.

Gamma-Variante: Welche Merkmale zeichnen die Mutante aus?

Alle „Variants of Concern“, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beobachtet, weisen verschiedene Mutationen in ihrem Erbgut auf. Diese verändern unter anderem die sogenannten Spike-Proteine des Corona-Erregers. Das Virus nutzt diese stachelartigen Strukturen – „spike“ bedeutet auf Englisch so viel wie Spitze oder Dorn –, um sich an menschliche Zellen zu binden und in sie einzudringen.

Bestimmte Veränderungen an den Spike-Proteinen können Sars-Cov-2 den Zugang in menschliche Zellen deutlich erleichtern. Gamma weist insgesamt 17 Veränderungen in der Aminosäurensequenz auf, davon allein zehn, die das Spike-Protein betreffen. Die Variante ähnelt laut Angaben des RKI in ihren Mutationen der südafrikanischen Variante.

Durch die Veränderungen im Erbgut könnte diese Mutante ansteckender sein als der Wildtyp des Coronavirus. Wissenschaftler gehen von einer um 1,4- bis 2,2-mal erhöhten Übertragbarkeit des Virus aus. Allerdings ist die Gefährlichkeit der Mutante noch schwer einzuschätzen: Obwohl die Variante schon sehr lange bekannt ist, gibt es bisher nur wenige belastbare Daten zu ihren Merkmalen.

Warum könnte die Gamma-Mutation gerade jetzt gefährlich werden?

Zwar ist derzeit noch wenig über die Variante bekannt – erste Ergebnisse legen aber nahe, dass sie trotz fortschreitender Impfkampagne zum Problem werden könnte. Forscher rechnen damit, dass Menschen nach einer Corona-Infektion oder einer Covid-19-Impfung gegen eine Infektion mit der Virus-Variante Gamma weniger gut geschützt sind.

Dies liegt an den bestimmten Mutationen, die die Variante auszeichnen. Zum einen können diese das Erbgut nämlich so verändern, dass das Virus ansteckender wird. Ein Infizierter scheidet dann beispielsweise mehr Viren aus oder ist länger infektiös als bei einer Ansteckung mit dem Wildtyp.

Die Gamma-Variante zeichnet sich aber auch durch Mutationen aus, die das Virus so verändert haben, dass es dem menschlichen Immunsystem zumindest teilweise entkommen kann. Diese Art nennt man auch Escape- oder Flucht-Mutante. Derartige Virustypen können auch dann Menschen infizieren, wenn diese bereits eine Infektion mit dem Wildtyp des Coronavirus hinter sich haben oder gegen ihn geimpft sind.

Je mehr Menschen in der Bevölkerung immun gegen das Coronavirus sind, desto stärker wirkt der Selektionsdruck auf das Virus – mit der Folge, dass sich Escape-Varianten durchsetzen. Inwiefern die Gamma-Variante sich daher hierzulande erst durchsetzen wird, wenn viele Menschen eine Corona-Impfung erhalten haben, bleibt abzuwarten. Ihre Merkmale deuten zumindest daraufhin, dass sie dann einen biologischen Vorteil haben könnte.

Wie wirksam sind die Impfstoffe gegen die Gamma-Variante?

Dem RKI zufolge deuten experimentelle Daten deshalb wohl auf eine geringere Wirksamkeit der Impfungen bei Infektionen mit Gamma hin. Eindeutige Studiendaten gibt es allerdings noch nicht. Seit dem Frühjahr werden allerdings vermehrte Zweit-Infektionen mit der Gamma-Variante bei überstandener Erstinfektion untersucht. Ein Forscherteam in Brasilien stellten nach Untersuchungen von Gamma-Infizierten in Manaus bereits fest, dass man sich trotz einer überstandenen Infektion mit dem Wildtyp wieder anstecken kann. Lesen Sie auch: Spahns Ministerium: Dritte Corona-Impfung im Herbst für alle möglich

Eine Untersuchung britischer Forscher kam im Frühjahr zu dem Ergebnis, dass die Astrazeneca- und Biontech-Präparate gegen Gamma wohl in etwa genauso wirksam sind wie gegen Alpha. Allerdings legte kurz darauf eine US-Studie dar, dass die Vakzine von Biontech und Moderna sowohl bei der Gamma-Variante als auch bei Beta eine „signifikant verminderte“ Wirksamkeit haben könnten.

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Nach einer Infektion: Welche Krankheitsverläufe sind bei Gamma zu erwarten?

Auch hierzu gibt es nur wenige belastbare Daten. Eine Studie ergab zwar, dass es einen Anstieg des relativen Sterblichkeitsrisikos durch Gamma gibt. Allerdings untersuchten die Forscher nur die Situation in der brasilianischen Stadt Manaus, dessen Gesundheitssystem durch die vielen Gamma-Infektionsfälle schnell überlastet war.

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(bml)