Berlin/London. Die Delta-Variante gefährdet in Großbritannien die Erfolge im Kampf gegen Corona – der Regierung Johnson bleibt aber eine Hoffnung.

Und dann kam Delta: Großbritannien galt als Vorreiterin im Kampf gegen Corona, der Brexit schien die Briten sogar zu beflügeln. Vor allem bei der Bestellung von Impfstoffen konnte das Vereinigte Königreich im Vergleich zum Staatenbund punkten – die britische Impfkamagne zog denen der Festlandseuropäer im Eiltempo davon. Neidvoll blickten Politik, Medienschaffende und Bürgerinnen und Bürger auf die Insel.

So groß waren die Fortschritte, dass die Regierung von Boris Johnson als eine der ersten in Europa überhaupt die Menschen schrittweise aus den strengen Corona-Auflagen entlassen konnte. Sogar ein Datum für ein Lockdown-Ende konnte sie verkünden. Am 21. Juni hätten in Großbritannien die Glocken zum "Tag der Freiheit" läuten sollen; die Einschränkungen wären komplett aufgehoben worden.

Delta-Variante: Die Freiheit muss warten

Daraus ist nichts geworden – bereits vergangene Woche verschob die Regierung Johnson den "Freedom Day" um vier Wochen. Die Freiheit muss noch einen Monat warten. Premierminister Johnson ist zuversichtlich, dass sie kommt. "Ich glaube, es sieht gut dafür aus, dass der 19. Juli der Endpunkt sein wird", sagte der konservative Politiker.

Grund für die Neubewertung waren die durch die Delta-Variante deutlich gestiegene Zahl an Neuinfektionen. Die zunächst in Indien nachgewiesene Mutation ist nach bisherigen Erkenntnissen deutlich ansteckender als alle anderen. In Großbritannien ist sie bereits die dominierende Variante, neun von zehn Infektionen lassen sich auf die Corona-Mutation zurückführen. Am Dienstag durchbrach die Sieben-Tage-Inzidenz die Marke von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. In Deutschland würde nun die "Bundesnotbremse" greifen.

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    Großbritannien in Sorge: Breitet sich die "UEFA"-Variante aus?

    Besondere Sorge bereitet im Zusammenhang mit der Delta-Ausbreitung in Großbritannien derzeit die Fußball Europameisterschaft. Im Londoner Wembley-Stadion sollen neben drei Gruppenspielen auch zwei Achtelfinals (26. und 29. Juni), beide Halbfinalpartien (6. und 7. Juli) und am 11. Juli das Endspiel stattfinden. Bis zu 45.000 Menschen sollen in Wembley bei den kommenden K.o.-Spielen dabei sein dürfen, was 50 Prozent der Gesamtkapazität des Stadions entspricht.

    Erwartet werden dabei nicht nur Fans und Medienschaffende aus dem Königreich, sondern aus ganz Europa. Für 2500 von ihnen hat die Regierung für das Endspiel offenbar vorgesehen, die Quarantäneauflagen auszusetzen. Ein Vorhaben, dass im Königreich auf Kritik stieß. Im Oberhaus des Parlaments war am Montag von einer "UEFA"-Variante die Rede, die sich nach dem Finale in Großbritannien ausbreiten könne. Entschieden sei das noch nichts, hieß es von der Regierung.

    Hintergrund der Debatte um die möglichen Ausnahmen ist derweil, dass die Regierung Johnson die prestigeträchtigen EM-Finalspiele ungern abgeben will – und genau das könnte passieren. Die UEFA überlegt derzeit, Partien von London nach Budapest zu verlegen, denn dort gibt es keine coronabedingten Einschränkungen.

    Eine Verlegung der Spiele von London an einen anderen Austragungsort fordern unterdessen immer mehr Politikerinnen und Politiker, etwa SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. "Es ist voll unverantwortlich, die Endspiele der EM in England durchzuführen", twitterte Lauterbach am Wochenende. "Besser wäre Verlegung."

    Delta in Großbritannien: Fehlersuche hat begonnen

    In Großbritannien wird aktuell nach Gründen für die erneut außer Kontrolle geratene Covid-Situation gesucht. Einige Hinweise zeigen in Richtung Reiseverkehr. Zwischen 500 und 1000 Delta-Infektionen sind wohl aus dem Ausland ins Vereinigte Königreich gekommen, berichtete die BBC am Wochenende.

    Diese seien dann auf ein Großbritannien getroffen, das zum fraglichen Zeitpunkt seine Corona-Auflagen gelockert hatte "und das bei kaltem Wetter", wie die BBC schreibt. Das könnte dazu geführt haben, dass das Virus sich unter den Menschen so verbreiten konnte.

    Das Wetter begünstigte die Ausbreitung der Delta-Variante: Menschen warten in Southport im Regen auf einen Coronatest.
    Das Wetter begünstigte die Ausbreitung der Delta-Variante: Menschen warten in Southport im Regen auf einen Coronatest. © PA Wire/dpa | Peter Byrne

    Eine weitere Rolle könnte gespielt haben, dass die Regierung Johnson Indien erst spät auf die rote Liste gesetzt hat. Rückreisende aus roten Ländern müssen sich nach der Ankunft in Großbritannien in Quarantäne begeben. Geschehen ist das am 23. April. Zu dem Zeitpunkt war Delta bereits bekannt, allerdings von den britischen Gesundheitsbehörden nur als "Variant of Interest" eingestuft worden.

    Wie relevant das ist, ist aber unklar. Die Virologin Muge Sevik von Universität St. Andrews sagte der BBC, "irgendwann startet jede Variante durch" in Großbritannien. Die Einschleppung hätte lediglich verzögert werden können. Die beste Lösung sei es, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich weltweit gegen Covid-19 zu impfen.

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    So ruht denn auch die Hoffnung der Regierung Johnson derzeit auf der eigenen Impfkampagne und den Bemühungen weltweit. Auf dem G7-Gipfel in Cornwall hatte Premierminister Boris Johnson kräftig Werbung dafür gemacht, arme Länder Spenden von Corona-Impfdosen zu unterstützen – eine Milliarde sollen nun mindestens aus den reichen Industriestaaten über die internationale Impfplattform Covax an bedürftige Ländern fließen, rund 400 Millionen davon bis Jahresende.

    Im eigenen Land nehmen die Impfanstrengungen seit Montag noch einmal kräftig Fahrt auf. Die Priorisierung wurde aufgehoben, nun kann jeder Erwachsene im Königreich eine Spritze bekommen. Über das vergangene Wochenende buchten die Britinnen und Briten mehr als eine Millionen Impftermine, Anmeldungen bei Hausärztinnen und -hausärzten nicht mitgezählt. Lange Schlangen bildeten sich vor den Impfzentren des Landes.

    Bis zum 19. Juli sollen möglichst alle Erwachsenen eine erste Impfung erhalten haben, derzeit sind es knapp 80 Prozent. Vollen Impfschutz haben aktuell rund 60 Prozent der Menschen in Großbritannien.

    Gezielt ansprechen will die Regierung nun auch junge Menschen, über soziale Netzwerke wie Snapchat, Tiktok, Reddit und Youtube. Man werde nichts unversucht lassen, um die Impfbereitschaft zu steigern, twitterte Gesundheitsminister Matt Hancock kämpferisch. Es könnte reichen: Hat die Impfkampagne Erfolg, sieht es gar nicht schlecht aus für den "Freedom Day".

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