Berlin. Sprit soll, geht es nach den Grünen, bald mehr kosten. Von anderen Parteien kommt heftige Kritik – dabei steigen die Preise ohnehin.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz befindet sich im Sinkflug. Das schafft auf der politischen Bühne Platz für andere Themen als die Corona-Pandemie. Zum Beispiel für eine Debatte rund um die Zukunft der Spritkosten. So trat die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock für eine Erhöhung der Benzinpreise um 16 Cent ein – gemäß dem Programmentwurf ihrer Partei.

Aus Sicht der Grünen sind davon sechs Cent mit dem CO2-Preis auf Benzin zu Jahresbeginn schon erfolgt. Baerbock sieht sich seither anhaltender Kritik von mehreren politischen Lagern ausgesetzt. Vor allem die SPD lässt mit ihren Attacken nicht locker. Fraglich ist allerdings wieso. Denn die schrittweise Preiserhöhung ist eigentlich gar kein grünes Wahlkampfversprechen – sondern schon beschlossene Sache.

Spritpreise: Bundesregierung hat CO2-Bepreisung selbst beschlossen

Die Bundesregierung von Union und SPD hatte zuletzt eine neue CO2-Bepreisung im Verkehr und bei Gebäuden eingeführt, um dem Klimawandel den Kampf anzusagen. Zu Jahresbeginn startete ein fixer CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne. Bisher ist geplant, dass dieser bis 2025 auf 55 Euro steigen soll. Das würde letztendlich einen Aufschlag von mindestens 15,5 Cent beim Liter Benzin bedeuten, beim Liter Diesel mindestens 17,4 Cent zusätzlich.

Trotzdem war die Aufregung nach Baerbocks Vorschlag groß: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte bereits am Donnerstag davor gewarnt, an der Spritpreisschraube zu drehen. Wer dies tue, der zeige, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger seien, hatte der Finanzminister der „Bild“ gesagt.

CDU und SPD üben heftige Kritik an Baerbock und den Grünen

CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sagte ebenfalls gegenüber „Bild“: „Es geht nicht, dass die Preise immer weiter nach oben gehen.“ SPD-Chefin Saskia Esken sprach von einem „Manöver“ aus dem „politischen Elfenbeinturm“.

Baerbock konterte: „Naja, das zeugt schon von einer besonderen Form der Selbstvergessenheit in der Regierungskoalition“, sagte sie dem „Handelsblatt“. Die Koalition habe einen CO2-Preis selbst eingeführt und gerade die Klimaziele geschärft – „beides zurecht“.

Im Streit um höhere Benzinpreise und den Klimaschutz sieht sich die designierte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock anhaltender Kritik ausgesetzt.
Im Streit um höhere Benzinpreise und den Klimaschutz sieht sich die designierte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock anhaltender Kritik ausgesetzt. © dpa

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Klimaschutz: Urteil des Verfassungsgerichts drängt auf schärfere Maßnahmen

Rückendeckung bekommt Baerbock unter anderem vom Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Er verwies in den ARD-„Tagesthemen“ ebenfalls darauf, dass die Koalition selbst beschlossen habe, den CO2-Preis zu erhöhen. Inzwischen seien die Klimaziele noch einmal ehrgeiziger gefasst worden. Daraus müsse man Konsequenzen ziehen. Der CO2-Preis sei das wichtigste Instrument der Klimapolitik. Es spreche viel dafür, ihn schneller zu erhöhen.

Eine ambitioniertere Klimapolitik dürfte in den nächsten Jahren auch wegen des letzten Urteils des Bundesverfassungsgerichts für alle Parteien auf der Agenda stehen: Dieses erklärte zuletzt Teile des 2019 verabschiedeten Klimaschutzgesetzes für verfassungwidrig.

Da in dem Gesetz lediglich bis zum Jahr 2030 Maßnahmen für eine Emissionreduktion vorgesehen sind, würden die Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume danach und damit zulasten der jüngeren Generation verschoben, urteilten die Richter.

Auch die Union plant wohl eine schnellere Steigerung des CO2-Preises

Daraus folgt der Auftrag an die Politik, die Senkung des CO2-Austoß nicht weiter zu Lasten der jungen Generation auf die lange Bank zu schieben. Nach dem Urteil erklärte die Bundesregierung, die Klimaziele anheben zu wollen. Wie das konkret erreicht werden soll? Auch die Union sympathisiert mit einer stärkeren Steigerung der CO2-Preise.

Ein Wahlprogramm haben CDU und CSU zwar noch nicht vorgelegt. Nach dem Urteilsspruch des Verfassungsgericht schlug allerdings Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag und Vordenker seiner Partei, vor, den CO2-Preis schon 2022 auf 45 Euro zu erhöhen. So viel sollte die Emissionstonne eigentlich erst 2024 kosten. Der Benzinpreis würde dadurch laut ADAC schon deutlich früher nochmals um 12,6 Cent steigen, der Dieselpreis um 14 Cent – weit entfernt vom Vorschlag der Grünen ist das nicht mehr.

Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. © dpa

Grüne: Höherer CO2-Preis soll durch „Energiegeld“ abgefedert werden

Die Grünen haben ihre Karten offen auf den Tisch gelegt: „Wir wollen die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro auf das Jahr 2023 vorziehen“, heißt es im Entwurf ihres Wahlprogramms. Damit Klimaschutz sozial gerecht sei, sollten die staatlichen Einnahmen aus dem CO2-Preis wieder an die Bürger zurückgeben werden. Dazu streben die Grünen neben der Senkung der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms ein „Energiegeld“ an, das jeder Bürger erhalten soll.

Auch die Bundesregierung hatte im Zuge der CO2-Bepreisung bereits Entlastungen beschlossen: die EEG-Umlage sank mit Milliardenmitteln aus dem Bundesetat, außerdem gibt es Entlastungen bei der Pendlerpauschale für Arbeitnehmer mit längeren Fahrwegen. Die Pläne der Grünen sind von der politischen Realität – und beispielsweise den Vorhaben der Union – also gar nicht so weit entfernt.

Benzinpreise 2021 deutlich gestiegen

Das Thema Verkehr ist zwischen den Parteien auch deshalb hart umkämpft, da seit Jahresbeginn die Kraftstoffpreise bereits deutlich geklettert sind. Einer ADAC-Auflistung zufolge stieg der monatliche Durchschnittspreis für einen Liter Diesel von 123,3 Cent im Januar auf 133,1 Cent im Mai, beim Liter Super E10 ging es im selben Zeitraum von 135,1 Cent auf 148,3 Cent nach oben.

Wie viel Diesel und Benzin an den Tankstellen kosten, dass hängt auch stark von den Rohölpreisen ab. Und obwohl zwischen den Lagerstätten der Ölförderländer wie Russland, Norwegen, den USA und Saudi-Arabien und der heimischen Tankstelle noch ein langer Verarbeitungsprozess steht, schlagen steigende Rohölpreise relativ schnell auf die Spritpreise durch – aktuell liegen die Ölpreise auf dem höchsten Stand seit mehreren Jahren.

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(bml mit dpa)