Washington. Eine bodenständig First Lady – das ist neu in den USA. Jill Biden bringt eine neue Herzlichkeit ins Weiße Haus. Jetzt wird sie 70.

Den ersten bleibenden Eindruck hinterließ Amerikas neue First Lady am Tag nach der Amtseinführung ihres Gatten. Jill Biden hatte wie viele mit Kopfschütteln registriert, dass Tausende zur Sicherung der Inauguration nach Washington abkommandierte Nationalgardisten in Hauptstadt-Tiefgaragen auf dem Boden schlafen mussten. Weil das Pentagon keine Vorkehrungen getroffen hatte.

Als Stiefmutter des 2015 an einem Hirntumor gestorbenen Soldaten Beau Biden, Sohn des Präsidenten aus der Ehe mit seiner ersten Frau Neilia – sie kam bei einem Autounfall ums Leben –, beauftragte Jill Biden am Protokoll vorbei die White-House-Bäckerei mit der Herstellung Dutzender Kekse.

Sie ließ sie mit rot-weiß-blauen Schleifen verzieren und verteilte sie persönlich bei einer unangekündigten Visite am Kapitol an verfrorene Soldaten. „Ich wollte Ihnen heute nur Danke dafür sagen, dass Sie mich und meine Familie beschützen“, sagte Jill Biden bei frostigen Temperaturen und zauberte den Empfängern ein Lächeln auf die Gesichter.

Jill Biden wirkt wie das Gegenstück zu Melania Trump

Die kleine Geste steht prototypisch für die ersten Monate, in denen Jill Biden, die heute 70 Jahre alt wird, nach vier Jahren mit Vorgängerin Melania Trump Tag für Tag ein Rollenverständnis vorlebt, das sich an Kriterien orientiert, die lange verschüttet schienen: Herzenswärme, Nahbarkeit, Bodenständigkeit.

Wenn sie in Washington mit Haargummi in eine Bäckerei geht, um ohne Security-Großaufgebot einzukaufen, wirkt das normal. Kate Bennett, die First-Lady-Beschauerin des Senders CNN, hat neulich gesagt, sie könne sich gut vorstellen, im Supermarkt Frau Biden zu begegnen und Small Talk zu führen. So nach der Art: „Oh mein Gott, es gibt heute billige Tomaten.“ Mit Melania Trump? Nicht vorstellbar, so Bennett.

Jill Biden, 1951 als älteste von fünf Töchtern eines Sparkassendirektors und einer Hausfrau in New Jersey geboren und im rauh-herzlichen Philadelphia aufgewachsen, umgibt nichts Artifizielles oder Mystisches. Sie taucht nicht wie ihre Vorgängerin wochenlang unter. Und dann mit erratischen Botschaften („Es ist mir echt egal, und euch?“) auf der Rückseite ihres Mantels wieder auf.

Jill Biden punktet mit Herzen zum Valentinstag und Scherzen zum April

Stattdessen lässt sie am Valentinstag große rote Herzen auf dem Rasen des Weißen Hauses aufstellen. Und am 1. April narrt sie, mit Perücke verkleidet, als Waffeln austragende Stewardess Jasemine die White-House-Journalisten beim Rückflug aus Kalifornien.

Wo der dicht gedrängte Terminkalender Jill Biden hin verschlägt, sagt sie meist nach wenigen Minuten: „Nennen Sie mich bitte Jill.“ Sie macht sich für die endgültige Bekämpfung der Geißel Krebs stark. Sie rückt den hohen Tribut von Familien ins Rampenlicht, deren Kinder beim Militär sind oder waren.

Und, es ist ihr Leib- und Magenthema, sie redet der Stärkung von Schulen, Schülern und Lehrern das Wort. „Ich höre es jeden Tag von Jill“, sagte Joe Biden bei der Vorstellung seines billionenschweren Hilfspakets zur Linderung der Corona-Krise, „ein Land, das uns bei der Bildung überflügelt, wird uns auch ökonomisch übertrumpfen.“

Auch darum ist Jill Biden integraler Bestandteil der Kommunikationskampagne des Weißen Hauses, das landauf, landab für ein mit Steuergeld finanziertes Novum wirbt: zwei Jahre kostenloses Universitätsstudium. In keiner Rolle ist sie authentischer, leidenschaftlicher. Was kein Wunder ist, geht sie als erste First Lady doch nebenbei einem Tagesjob nach – als Englischlehrerin an einem Community College.

Küsse für den Präsidentenund Fangenspielen mit dem Hund

Mit Jill Biden ist das Zwischenmenschliche zurückgekehrt. Dass eine Präsidentengattin einem Präsidenten über den Rücken streicht, Küsse gibt, innige Blicke zuwirft und gemeinsam mit den Hunden vor dem Westflügel des Regierungssitzes auf dem Rasen „Fang den Ball“ spielt, hat Amerika während der vier aseptischen Eistruhenjahre der Eheleute Trump nicht gesehen.

Wie weit sich die passionierte Ausdauersportlerin von der Ära Trump abgrenzen will, wird die Zukunft des legendären Rosengartens am Weißen Haus zeigen. Das Anfang der 60er-Jahre von Jackie Kennedys Landschaftsarchitektin umgestaltete Areal war unter Frau Trump einem kühlen Rückbau unterzogen worden.

Fast 100.000 Unterzeichner einer Petition fordern nun die Wiederherstellung des lauschigen Zustands. Käme es so, dürften die Arbeiter – siehe oben – gewiss mit einer kleinen Anerkennung in Keksform rechnen.

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