Berlin. Frauen fordern Strafen gegen verbale sexuelle Belästigung, “Catcalling“. Bereits 70.000 haben eine Online-Petition unterschrieben.

Überall tauchen jetzt diese bunten Botschaften auf. Frauen schreiben sie mit Kreide auf den Asphalt, in Mainz genauso wie in Münster, Bielefeld oder Berlin. Immer dort, wo jemand auf offener Straße „geiler Arsch“ ruft, sich im Vorbeigehen demonstrativ in den Schritt fasst oder über die „schönen Titten“ einer Fremden spricht.

Anzügliche Bemerkungen wie diese galten lange als Auswüchse einer männlichen Anmachkultur, die junge Frauen eben zu ertragen haben. Doch eine Generation wehrhafter Aktivistinnen nimmt es mit den Sprücheklopfern auf – und zahlt es ihnen heim.

Petition gegen Catcalling: Frauen wehren sich gegen niederträchtige Männer

Antonia Quell ist eine von denen, die sich nichts mehr gefallen lassen. Die 20-jährige Medienmanagement-Studentin aus Würzburg glaubt, dass die meisten Frauen schon Opfer unappetitlicher verbaler Übergriffe geworden sind: „Nicht jeder Mann belästigt Fremde auf der Straße – aber anscheinend genug, um jede Frau zur Betroffenen zu machen.“

Sie hat eine Online-Petition gestartet, in der sie die Bundesregierung auffordert, das sogenannte Catcalling unter Strafe zu stellen. Catcalling, das ist ein vergleichsweise harmloser Begriff für sexuell aufgeladene, einschüchternde Sprüche und Gesten und bedeutet wörtlich so viel wie Katzengeschrei.

„Verbale sexuelle Belästigungen hat es schon immer gegeben“, sagt Antonia Quell, die selbst immer wieder nachts von aggressiven oder betrunkenen Männern angesprochen wurde. „Ich glaube aber, dass das Problem zunimmt. Die Gesellschaft wird insgesamt anonymer und die Hemmschwellen sinken.“

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Umfrage: Zwei Drittel aller Frauen in Deutschland wurden seit 2018 belästigt

Seit einigen Jahren gehen Frauen auf der ganzen Welt dagegen vor. Aus 150 Städten werden Kreide-Aktionen gemeldet, von Kairo bis Buenos Aires. Auch in Deutschland schreiben immer mehr Frauen Entgleisungen genau dort auf die Straße, wo sie passiert sind, und sammeln die abstoßendsten Beispiele auf Instagram.

Ein Kampf gegen Windmühlen: Laut einer Umfrage der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) wurden zwei Drittel der Frauen in Deutschland in den letzten zwei Jahren mindestens einmal mit Pfiffen auf der Straße konfrontiert, über 40 Prozent mit Sprüchen, Witzen, sexistischen Beleidigungen oder Gesten.

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In Deutschland droht Tätern keine Strafe – das soll sich ändern

Antonia Quell, Initiatorin einer Petition gegen verbale Belästigung.
Antonia Quell, Initiatorin einer Petition gegen verbale Belästigung. © Privat | Privat

Antonia Quell trifft mit ihrer Petition den Zeitgeist – fast 70.000 Menschen haben bereits unterzeichnet, „sie liegt jetzt beim Petitionsausschuss des Bundestags“. Ihr Ziel: Catcalling-Fälle sollen mit Bußgeldern belegt werden. In Frankreich etwa kann es 750 Euro kosten, jemanden auf der Straße zu belästigen. In Deutschland dagegen liegt nach jetziger Definition nur bei körperlichem Kontakt eine Straftat vor.

„Das Strafgesetzbuch ist aus einer extrem männlichen Perspektive geschrieben“, findet Quell. „Probleme von Frauen und Minderheiten haben dort wenig Platz.“

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Ist ein „Hey Süße“ wirklich ein Fall für den Richter?

Ein Blick ins Netz zeigt, wie kontrovers das Thema diskutiert wird. In einschlägigen Kommentarspalten wird vielfach behauptet, diese Sprüche seien als Kompliment zu verstehen. Die Trennlinie zwischen einem missglückten Flirtversuch und einem als beleidigend empfundenen Spruch ist ziemlich dünn. Sollte ein „Hey Süße“ wirklich sanktioniert werden?

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Quell definiert den Gegensatz so: „Flirtversuch und Belästigung unterscheiden sich durch Übergriffigkeit. Zwingt mir eine fremde Person unerwartet ein sexuell konnotiertes Gespräch auf, greift sie meine sexuelle Selbstbestimmung an.“ Quells Faustregel lautet: Sätze, die sie nicht mit einem Danke beantworten könne, seien weder nett gemeint noch ein Kompliment.

Mut macht der aus dem hessischen Fulda stammenden Studentin eine ähnliche Kampagne: Im Juli 2020 stufte der Bundestag das Up­skirting, also das heimliche Fotografieren unter den Rock, als Straftat ein. Dafür drohen nun bis zu zwei Jahre Gefängnis. Und alles begann – mit einer Onlinepetition.

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