Hamburg/Berlin. Ein Wissenschaftler der Uni Hamburg sieht den Ursprung des Coronavirus in einem Labor. Die zugehörige Studie ist allerdings fragwürdig.

  • Immer wieder kommt die Frage auf, wie das Coronavirus entstanden ist
  • Experten der WHO reisten kürzlich nach China, um den Ursprung des Erregers zu untersuchen
  • Ein Forscher der Universität Hamburg behauptet nun in einer "Studie", das Coronavirus stamme aus einem Labor in China
  • An seinem Papier gibt es massive Kritik wegen der Methodik, auch die Hamburger Wissenschaftsbehörde geht auf Distanz zu Autor und Uni

Könnte das Coronavirus etwa doch aus einem Labor in China stammen? Laut einer Studie der Universität Hamburg spricht über ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie tatsächlich vieles für einen Laborunfall am virologischen Institut in Wuhan.

Zu dieser Erkenntnis kommt zumindest der Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger in einer Untersuchung, die er im vergangenen Jahr durchgeführt hat. Dem Studienergebnis zufolge sprechen sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall in Wuhan als Ursache der immer noch andauernden Pandemie. Viele andere Experten, auch die der Weltgesundheitsorganisation (WHO), halten diese These bisher allerdings für nicht besonders wahrscheinlich.

Studie zum Corona-Ursprung – fragliche Methodik

Wiesendanger untersuchte für die Studie von Januar bis Dezember 2020 laut eigenen Angaben unter anderem wissenschaftliche Literatur, Artikel in Print- und Online-Medien und tauschte sich mit internationalen Kollegen aus. Seine Untersuchung liefere noch keine „hochwissenschaftlichen Beweise“, heißt es in einer Mitteilung der Universität Hamburg, an der Wiesendanger forscht. Ob das Papier mit dieser Methodik überhaupt als Studie gelten kann, ist eher fraglich. Wiesendanger gibt im Literaturverzeichnis Youtube-Videos als Quellen an, die Untersuchung wurde nie von Kollegen gegengeprüft.

Der Physiker ist trotzdem überzeugt, zahlreiche und schwerwiegende Indizien für die Laborthese gefunden zu haben. So sei bisher beispielsweise kein Zwischenwirts-Tier gefunden worden, welches den SARS-CoV-2- Erreger von Fledermäusen auf den Menschen übertragen habe. Außerdem könnte das Virus „erstaunlich gut“ an menschliche Zellrezeptoren ankoppeln und in menschliche Zellen eindringen. Diese Eigenschaft weist laut Wiesendanger darauf hin, dass das neuartige Coronavirus einen nicht-natürlichen Ursprung hat.

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Hamburger Forscher: „Zoonose-Theorie hat keine wissenschaftliche Grundlage“

Gegen die Theorie, dass das Virus über Fledermäuse übertragen wurde und auf dem Fischmarkt von Wuhan seinen Ursprungsort hatte, sei auch einzuwenden, dass dort gar keine Fledermäuse angeboten würden. Gleichzeitig gebe es aber im virologischen Institut der Stadt Wuhan eine der weltweit größten Sammlungen von Fledermauserregern, welche von weit entfernten Höhlen in südchinesischen Provinzen stammten. Außerdem habe es in dem Labor häufig Sicherheitsmängel gegeben.

Für Wiesendanger deutet daher alles darauf hin, dass die Theorie, Covid-19 sei eine "Zoonose", eine von einem Tier auf den Menschen übtragbare Infektionskrankheit, „keine fundierte wissenschaftliche Grundlage“ besitzt. Stattdessen glaubt er, dass das Coronavirus im virologischen Institut in Wuhan im Labor erzeugt wurde. Eine Forscherteam habe dort über viele Jahre hinweg gentechnische Manipulationen an Coronaviren vorgenommen mit dem Ziel, diese für Menschen ansteckender und gefährlicher zu machen, heißt es in der Pressemitteilung der Universität zu Wiesendangers Studie. Dies sei in der wissenschaftlichen Fachliteratur durch zahlreiche Publikationen belegt.

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Corona-Forschung: WHO-Team bestätigt Fledermaus-Theorie

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) untersucht derzeit, ob es in China schon vor Dezember 2019 kleinere Ausbrüche mit dem Coronavirus gab. Zuletzt hatten die Experten, die für die WHO nach dem Ursprung der Pandemie forschen, bei einer Pressekonferenz zum Ende ihrer Reise nach Wuhan erste Ergebnisse vorgestellt. WHO-Teamchef Peter Ben Embarek bestätigte dort, dass das Virus - wie bereits angenommen - wahrscheinlich von Fledermäusen über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen war. Die Labor-Theorie halten die Experten für „extrem unwahrscheinlich“.

Inwiefern Wiesendangers Studie diesen Schlussfolgerungen tatsächlich wissenschaftliche Konkurrenz macht, ist mehr als fraglich. Der Hamburger Forscher nutzte für seine Arbeit vor allem bestehende Quellen teils ohne Verifizierung, führte selbst keine Untersuchungen in Wuhan oder Ähnliches durch.

WHO: Labor-Vorfall als Pandemie-Auslöser "extrem unwahrscheinlich"

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    Corona-Studie aus Hamburg: Wie wissenschaftlich sind die Ergebnisse?

    Laut Vorwort bezieht sich das Ergebnis seines Papiers vor allem auf Erkenntnisse aus interdisziplinärer sowie fachspezifischer wissenschaftlicher Literatur mit und ohne wissenschaftliche Begutachtung, Briefe, Korrespondenz und Kommentare publiziert in der wissenschaftlichen Literatur, Medienberichte und persönliche Kommunikation mit internationalen Kollegen.

    Ob die Studie des Physikers zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie damit tatsächlich einen Beleg für die Labortheorie liefert, dürfte wissenschaftlich umstritten sein. Dass das Papier nun veröffentlicht wurde, hat laut Wiesendanger einen einfachen Grund: Seine Arbeit soll als Basis einer breit angelegten Diskussion in der Bevölkerung dienen und wissenschaftsbasiert infomieren.

    Kritik an Uni Hamburg nach Verbreitung von Wiesendangers Corona-Theorie

    Hamburgs Wissenschaftsbehörde ist bei der umstrittenen Untersuchung zum Ursprung des Corona-Virus nun schon vorsichtig auf Distanz gegangen. „Wissenschaftsfreiheit ist ein unverrückbares Gut. Gleichwohl gilt für alle Form wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht ist“, sagte ein Sprecher von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) am Freitag.

    Die Universität wollte die Untersuchung nicht kommentieren. „Die Hochschulleitung und die Pressestelle der Universität Hamburg üben keine Zensur zu Forschungsgegenständen und -ergebnissen ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus“, sagte eine Sprecherin. Dem ZDF hatte Wiesendanger gesagt, die Veröffentlichung sei gemeinsam mit Uni-Präsident Prof. Dieter Lenzen geplant gewesen.

    Der Nanowissenschaftler Wiesendanger hatte seine Untersuchung auf der Plattform „Research Gate“ als soziales Netzwerk für Forscher hochgeladen, in wissenschaftlichen Fachblättern ist sie bislang nicht erschienen. „Diese wissenschaftliche Kritik und Methodik fehlt in diesem Fall noch komplett“, sagte Markus Weißkopf, Geschäftsführer der Initiative Wissenschaft im Dialog, die sich mit der Entwicklung und Qualität von Wissenschaftskommunikation befasst.

    In den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR werde davon abgeraten, aktive Pressearbeit über nicht extern begutachtete Studien zu machen, erklärte Weißkopf - auch und gerade in Zeiten der Pandemie, in denen vorläufige wissenschaftliche Erkenntnisse von der Öffentlichkeit begierig aufgesogen würden.

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    (mit dpa)