Berlin. In der EU ist der erste Corona-Impfstoff für Kinder zugelassen. Doch eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission steht weiterhin aus.

  • Kinder über zwölf Jahre sollen ab dem 7. Juni geimpft werden können
  • Die EU-Kommission hat den Impfstoff von Biontech dafür zugelassen
  • Doch die Ständige Impfkommission (Stiko) will vor einer entsprechenden Empfehlung die Sachlage genau prüfen
  • Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will auch ohne Stiko mit den Kinder-Impfungen loslegen und erntet dafür heftige Kritik

Die ersten Corona-Impfstoffe wurden nur rund ein Jahr nach Auftreten von SARS-CoV-II für Erwachsene in Europa zugelassen – eine wissenschaftliche Leistung im Eiltempo. Kinder mussten und müssen sich teilweise noch länger gedulden. Da sie eine andere Physiologie als Erwachsene haben, müssen Arzneimittel für die Jüngsten stets separat erforscht und zugelassen werden. Dieser aufwendige Prozess nimmt oft Jahre in Anspruch. Für die Corona-Vakzine soll er allerdings beschleunigt werden. So hat die EU-Kommission das Vakzin von Biontech/Pfizer nun auch für Kinder ab zwölf Jahren bereits zugelassen.

Die ersten Pharmaunternehmen haben bereits große Fortschritte bei Corona-Impfstoffen für Kinder und Jugendliche gemacht. Nach dem deutschen Hersteller Biontech und seinem US-Partner Pfizer will nun auch das US-Unternehmen Moderna für seinen Corona-Impfstoff eine Zulassung für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren beantragen. Der Impfstoff schütze Heranwachsende zwischen zwölf und 17 Jahren zuverlässig vor einer Covid-19-Erkrankung, teilte der Hersteller am 25. Mai mit. Die Wirksamkeit liege bei bis zu 100 Prozent.

Am Freitag hatte die EU-Arzneimittelbehörde EMA über die Zulassung des Biontech/Pfizer-Vakzins für Kinder ab zwölf Jahre entschieden und den Impfstoff empfohlen. Die EU-Kommission ist dieser Empfehlung am Montag gefolgt.

Stiko-Mitglied sieht keine baldige Corona-Impfempfehlung für Kinder

Eine offizielle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gibt es zu Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche noch nicht. Es lässt sich aber bereits absehen, dass das Gremium die Impfung für Minderjährige wohl nicht pauschal für sinnvoll hält und nicht für alle empfehlen wird.

Denkbar ist eine Empfehlung mit Einschränkungen, etwa dass zunächst nur chronisch kranke Kinder geimpft werden sollten. Stiko-Mitglied Rüdiger von Kries sagte im rbb, man wisse momentan kaum etwas über die Nebenwirkungen von Corona-Impfungen bei Kindern. "Bei unklarem Risiko kann ich zurzeit noch nicht vorhersehen, dass es eine Impfempfehlung für eine generelle Impfung geben wird."

Dagegen setzt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weiterhin auf die Schutzimpfungen für über Zwölfjährige – auch ohne Stiko-Empfehlung. Spahn sagte, in diesem Fall könnten Eltern und ihre Kinder gemeinsam mit ihren Ärzten eine individuelle Entscheidung treffen.

Immunisierung von Kindern und Jugendlichen – Impfgipfel soll Klarheit bringen

Der Vorsitzende der Stiko, Thomas Mertens, bekräftigte vor dem Impfgipfel von Bund und Ländern seine Zurückhaltung bei einer generellen Empfehlung für Corona-Schutzimpfungen bei Kindern. "Gerade wenn es jetzt um die generelle Impfung von Kindern geht, dann müssen wir doch wirklich sehr sicher sein, dass das, was wir tun, auch wirklich zum besten Wohl der Kinder geschieht", sagte Mertens am Donnerstag dem Sender "Phoenix".

Insofern stehe er dazu, "die Dinge erst sehr gründlich zu prüfen und dann anschließend eine Empfehlung abzugeben". Mit Blick auf die Sorge vor Long-Covid-Erkrankungen sagte er, die bisherige Analyse habe ergeben, "dass es Long-Covid bei den Kindern eigentlich nicht gibt". Insgesamt gebe es nur "sehr wenig schwere Verläufe". Kinder, die an Covid erkrankt oder verstorben seien, "waren praktisch alles Kinder, die schwerste Vorerkrankungen hatten".

Im Mittelpunkt der Bund-Länder-Beratungen zum Thema Impfen stand die Frage, wie die Impfungen von Kindern und Jugendlichen organisiert werden. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte zuvor gefordert, dass sich die Beratungen mit den Impfungen für Jugendliche befassen sollten. "Es wäre wünschenswert, wenn es schon sehr zeitnah in allen Bundesländern einen Impffahrplan für die Kinder und Jugendlichen ab zwölf Jahren geben könnte", sagte sie unserer Redaktion. Sie wolle, dass vor allem nach den Sommerferien überall der Schulbetrieb wieder "relativ normal“ beginnen könne.

Bund und Länder beschlossen beim Impfgipfel schließlich den Start der Impfkampagne für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren am 7. Juni. Voraussetzung war die Zulassung des Biontech-Vakzins für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren durch die EU.

An diesem Datum fällt auch deutschlandweit die Impfpriorisierung bei den Hausärzten. Kinder und Jugendliche werden nach den Beschlüssen des Gipfels keine Bevorzugung bei den Impfstoffen erhalten. Droht also ein zunehmender Verteilungskampf um Vakzine bei den Hausärzten?

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Erste Bundesländer wollen schon vor den Sommerferien Schüler impfen

Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hatte für einen zeitnahen Start der Impfkampagne bei Kindern sogar schon vor dem Gipfel Impfstoff bestellt. Eine Order von 64.450 Dosen des Präparats von Biontech/Pfizer sei bereits beim Bund hinterlegt sagte Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) einen Tag vor dem Gipfel.

Niedersachsen hatte als erstes Bundesland bereits ein Konzept zum möglichen flächendeckenden Impfen aller Schüler ab zwölf Jahren gegen das Coronavirus vorgelegt. Mit Aktionen in Schulen, kommunalen Gebäuden oder in den Impfzentren könnten demnach alle rund 450.000 Schüler immunisiert werden, sagte Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) am Dienstag in Hannover. Die Impfaktion könnte so noch vor den Sommerferien im Juli beginnen, Zweitimpfungen würden dann gegen Ende der Ferien, Ende August bis Anfang September, erfolgen. Voraussetzung hierfür ist, dass genügend Vakzin-Dosen zur Verfügung stehen.

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Corona-Impfungen für Kinder – Das sind die Pros und Contras

Kritiker verweisen auf den geringen Nutzen einer Impfung für Kinder. So kommt eine in der Fachzeitschrift "The Lancet" erschienenen Studie zu dem Schluss, dass pro eine Million Kinder weniger als zwei an oder mit Covid-19 gestorben sind. Eine vorgezogene Impfung von Kindern würde außerdem dazu führen, dass die mittleren Altersgruppen (mit höherem Risiko) länger warten müssen.

Befürworter sagen, dass Impfungen nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Kontaktpersonen schützen. Der Städte- und Gemeindebund hält eine rasche Impfung von Minderjährigen für geboten.

"Wenn wir im Herbst endlich wieder normalen Präsenzunterricht in den Schulen haben wollen, wäre es wichtig, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler dieser Altersgruppe geimpft sind", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion. Es gehe darum, die Lernrückstände aufzuholen und "den Schülerinnen und Schülern wieder ein normales soziales Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen".

Impfstoff-Zulassung für Kinder und Jugendliche wird geprüft

Die Ergebnisse zur hohen Moderna-Wirksamkeit bei Heranwachsenden gehen aus einer Studie mit mehr als 3700 Teilnehmenden aus dieser Altersgruppe hervor. Keiner von ihnen habe nach einer vollständigen Impfung eine Covid-19-Erkrankung entwickelt. Der Impfstoff sei gut vertragen worden. Noch sind die Ergebnisse aber weder von Experten begutachtet, noch in einem Fachjournal veröffentlicht. Anfang Juni will Moderna eigenen Angaben zufolge die Zulassung seines Vakzins fürs 12- bis 17-Jährige beantragen.

Biontech strebt zudem eine Zulassung seines Vakzins für alle Altersklassen im September an. Ziel sei es demnach, dass vor dem nächsten Winter der Impfstoff für alle Kinder ab Kindergartenalter erprobt sei. "Wir sind auf gutem Weg, diese Ziele zu erreichen", sagte Unternehmenschef Uğur Şahin dem "Spiegel".

Corona-Impfstoffe für Kinder – das ist der Stand bei den Impfstoffen:

  • Biontech/Pfizer: Der mRNA-Impfstoff der Mainzer Firma Biontech und ihres US-Partners Pfizer ist derzeit für Menschen ab 12 Jahren zugelassen – als einziger Corona-Impfstoff in Europa. Eine Studie mit 4600 jüngeren Kindern ist weit fortgeschritten. Geimpft wird nach absteigendem Alter: Wenn die Zehnjährigen die Vakzine gut vertragen, sind danach die Neunjährigen an der Reihe. Die Biontech-Forscher sind inzwischen bei der jüngsten Altersklasse angelangt: Kinder ab sechs Monaten. Laut den bereits vorliegenden Studiendaten ist der Impfstoff bei älteren Kindern ab zwölf Jahren zu 100 Prozent wirksam und gut verträglich.
  • Moderna: Der US-Pharmahersteller Moderna hat die klinischen Tests an Babys und Kindern in den USA und Kanada unterdessen bereits begonnen. Etwa 6750 gesunde Babys und Kinder im Alter von sechs Monaten bis elf Jahren sollen demnach daran teilnehmen. Dafür würden den Kindern in der sogenannten Phase 2/3-Studie zunächst zwei kleinere Dosen des bei Erwachsenen erfolgreich getesteten mRNA-Wirkstoffes im Abstand von 28 Tagen verabreicht. Das Ergebnis der Studie wird für Mitte 2022 erwartet.
  • Astrazeneca: Bis zum Sommer rechnen das britisch-schwedische Unternehmen Astrazeneca und die Universität Oxford mit Ergebnissen ihrer Impfstudie. Sie testen ihren Corona-Impfstoff den Angaben zufolge seit Februar an 300 Freiwilligen im Alter von sechs bis 17 Jahren.
  • Johnson & Johnson: Auch der vierte in der EU verfügbare und zugelassene Corona-Impfstoff des US-Herstellers Johnson & Johnson wird laut Unternehmensangaben bereits auf die Wirksamkeit und Sicherheit bei Kindern getestet. Seit März laufen erste Studien.

Warum ist Biontech als einziger Corona-Impfstoff ab 12 Jahren zugelassen?

Während Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson hierzulande erst ab 18 Jahren verimpft werden, können sich 16-Jährige mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer impfen lassen. Der Grund dafür liegt darin, dass Biontech und Pfizer in ihrer groß angelegten Studie mit 44.000 Probandinnen und Probanden im Jahr 2020 bereits Teilnehmende ab 16 einbezogen hatten, wie aus einer Pressemitteilung beider Unternehmen hervorgeht.

Andere Unternehmen hatten hingegen zuerst Personen in die Studien zum Corona-Impfstoff einbezogen, die bereits 18 Jahre alt waren. Dies war beispielsweise bei Moderna bei der klinischen Studie in der Phase III der Fall, in der das Vakzin an mehr als 30.000 Probandinnen und Probanden ab 18 Jahren erprobt wurde, wie es in einem EMA-Bericht heißt.

(mir/tma/ape/bef/raer/dpa)