Washington. Joe Biden ist als 46. Präsident der USA vereidigt worden. Er will „Präsident aller Amerikaner” sein. Das ist leichter gesagt als getan.

Nein, für diesen doch alle vier Jahre als „Festtag der Demokratie” bekannten 20. Januar hat Washington sich diesmal nicht schön gemacht. Wie in einen abweisenden Kokon aus Stahl und Soldatenstiefelspitzen eingesponnen liegt Amerikas Hauptstadt da bei unangenehmen fünf Grad Celsius und kräftigem Wind, als Joe Biden um 11.48 Uhr die neue Zeit einläutet. Die Zeit nach Donald Trump.

Die rechte Hand zum Schwur erhebt und die linke auf eine mit Keltenkreuz verzierte Bibel gelegt, die seit 127 Jahren im Besitz seiner irisch-amerikanischen Vorfahren ist, spricht der 78-Jährige vor John Roberts, dem Vorsitzenden Richter des Supreme Courts, auf den Treppen des Kapitols mit kraftvoller Stimme fehlerfrei die Formel, auf die über 80 Millionen Wähler seit dem 3. November sehnlich gewartet hatten: „Ich schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich verwalten und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften erhalten, schützen und verteidigen will. So wahr mir Gott helfe.”

Am Tag von Bidens Amtseinführung wirkt der Sturm auf das Kapitol noch nach

Dass Biden dies exakt an einem Ort tut, der vor zwei Wochen durch Zerstörung, Tod und blinden Hass auf die Demokratie Weltgeschichte schrieb, wirkt im Rückblick immer noch unwirklich. Dagegen sind die Nachwirkungen des Sturms auf das Kapitol durch einen von Trump inspirierten Mob sehr real.

Auf der National „Mall”, der grünen Oase zwischen Kapitol und Lincoln Memorial, ersetzte ein Fahnenmeer die üblichen Menschenmassen, die hier für gewöhnlich dem neuen Präsidenten zujubeln. Auf der Pennsylvania Avenue, die vom Parlament zum Weißen Haus führt, gab es später keine Parade mit Tanzgruppen und Musik-Kapellen, die dem Machtwechsel einen lockeren Anstrich von Karneval hätten geben können.

Und auf der Tribüne hinter Biden saßen statt der üblichen 2000 nur etwa zweihundert geladene Gäste; Corona-getestet, mit Schutzmasken und viel Abstand zueinander platziert. Darunter, mit Ausnahme des vorher nach Florida abgereisten Donald Trump, bis auf Jimmy Carter (96) alle noch lebenden Ex-Präsidenten der USA samt Gattinnen.

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Washington wurde für die Vereidigung zur hochmilitarisierten Zone

Die Angst, dass gewaltbereite Anhänger Trumps, angeführt von rechtsextremen Milizen, auch Bidens „Inauguration” stören könnten, wie dies in einschlägigen Internet-Zirkeln diskutiert wurde, hat die Feierlichkeiten auf das absolute Minimum reduziert. Und Washington selbst in eine hypermilitarisierte Zone.

Seit Tagen waren Brücken, Bahnlinien, Straßen und U-Bahn-Stationen in einem Radius von gut fünf Kilometern um den Schauplatz hermetisch abgeriegelt. Wie tief der Argwohn wurzelte, ja, die Angst vor einem Insider-Attentat von Sicherheitskräften, zeigt die Tatsache, dass die stationierten 26.000 Nationalgardisten auf Zuverlässigkeit durchleuchtet wurden. Zwölf bestanden den Test nicht.

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Lady Gaga sang die National-Hymne „Star Spangled Banner”

Die eng getaktete Zeremonie begann mit Reverend Leo O`Donovan. Der 87 Jahre alte Jesuit, der in Münster studiert hat, sprach das Bittgebet. Danach sang die ganz ihn Schwarz und Tüll-Pink gewandete Pop-Ikone Lady Gaga die National-Hymne „Star Spangled Banner”, die Feuerwehr-Frau Andrea Hall steuerte – auch in Gebärdensprache – den Fahnen-Eid „Pledge of Allegiance“ bei.

Danach wurde es erstmals förmlich: Vizepräsidentin Kamala Harris, ganz in Lila, sprach Wort für Wort vor Supreme Court Richterin Sonia Sotomayor mit Entschlossenheit in der Stimme und ihrem Signatur-Lächeln den Amtseid nach.

Kamala Harris ist erste schwarze Vizepräsidentin der USA

Die 56-Jährige mit indisch-jamaikanischen Wurzeln ist ist damit die erste schwarze Vizepräsidentin der USA. Wie zur akustischen Verstärkung des historischen Moments der Diversität sang Pop-Star Jennifer Lopez, ganz in Weiß, „This Land is your Land” und den Standard „America the Beautiful.”

Die Demokratin Kamala Harris wird als neue Vizepräsidentin der USA vereidigt.
Die Demokratin Kamala Harris wird als neue Vizepräsidentin der USA vereidigt. © Saul Loeb/Pool AFP/AP/dpa | Saul Loeb/Pool AFP/AP/dpa

Danach trat Biden, im dunkelblauen Anzug von Ralph Lauren vor John Roberts und schwor den Amtseid. Ein Kuss von First Lady Jill Biden, die einen ozeanblauen Wollmantel der jungen Designerin Alexandra O’Neill of Markarian trug, und Umarmungen von Enkeln und Sohn Hunter waren sein erster Lohn.

Biden: „Das ist der Tag der Demokratie, der Erneuerung und Entschlossenheit”

Joe Biden setzte danach in seiner mit Spannung erwarteten Antrittsrede schnell den Ton, mit dem er fortan an Statur gewinnen will. Viel war von Demut, Versöhnung, Einheit und Mitgefühl die Rede. Von einem Gemeinwesen mit Charakter, dass gerade in der Krise Standhaftigkeit beweist und auf den Einsatz der Regierung und des Einzelnen angewiesen ist. „Das ist der Tag der Demokratie, der Erneuerung und Entschlossenheit”, rief Biden, ohne in konkrete Politik-Versprechen abzugleiten. Seine Rede war von Nüchternheit geprägt über die Herausforderungen im Inneren wie nach außen.

Der 78-Jährige machte kein Hehl daraus, wie schwer es sein wird, die „kaskadenhaften Krisen” von „der Corona-Pandemie über soziale Ungerechtigkeit und systemischen Rassismus” zu überwinden. Es gebe viel „Wut” im Land. Manche würde seinen grenzenlosen Willen, die USA zu einen („Meine ganze Seele ist darin”) als „verrückte Phantasie” abtun. Aber: „Ohne Einheit gibt es keinen Frieden, keinen Fortschritt.”

Joe Biden will „Präsident aller Amerikaner” sein

Es müsse endlich Schluss sein mit dem internen Bürgerkrieg, mit „Land gegen Stadt”, mit „Demokraten gegen Republikaner”. Mit „Toleranz und Bescheidenheit” könne es gelingen, die Gräben zu überwinden - wenn jeder mitmache. Mehrfach reichte Biden jenen die Hand, die ihn nicht gewählt haben. „Ich werde der Präsident aller Amerikaner, aller Amerikaner sein”, beteuerte er.

Am Schluss der Rede sang Country-Star Garth Brooks eine wundervolle Version von „Amazing Grace”. Die erst 22 Jahre alte Amanda Gorman läutete mit dem Gedicht „The Hill We Climb“ (Den Hügel, den wir erklimmen) das Ende der Zeremonie ein, die durch den kraftvoll donnernden Segen von Reverend Silvester Beaman beschlossen wurde.

Melinda Griffith, eine 58-jährige Ärztin, die trotz der Sicherheitsvorkehrungen aus Boston in die Hauptstadt gekommen war, sagte dieser Zeitung am Vorabend: „Die meisten Amerikaner wollen einfach wieder stolz sein auf ihr Land. Ich glaube, mit Joe Biden kann man dieses Gefühl zurückgewinnen.” Nach Bidens Rede fühlte sie sich am Telefon beseelt und bestätigt: „Der Anfang ist gemacht.”

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