Berlin/München. Der Bundesfinanzhof hat über die Doppelbesteuerung bei Renten entschieden. Die Richter legten erstmals eine Formel zur Berechnung vor.

  • Ist die Doppelbesteuerung bei den Renten verfassungswidrig?
  • Am Montag hat der Bundesfinanzhof sein mit Spannung erwartetes Urteil gefällt
  • Für den Bundeshaushalt und Millionen Rentner könnte das Urteil weiteichende Folgen haben

Deutschlands höchstes Finanzgericht hat an diesem Montag zwei Urteile zur Rentenbesteuerung verkündet. Dabei ging es um die Frage, ob der Bund bei der noch bis 2040 laufenden schrittweisen Umstellung der Rentenbesteuerung zu Lasten der Rentner zu viel kassiert.

Eine Tendenz hatte der X. Senat des Bundesfinanzhofs in München bei den mündlichen Verhandlungen vor knapp zwei Wochen nicht erkennen lassen. Nun entschieden die Richter über zwei Klagen. „Die Revision ist unbegründet, weil keine doppelte Besteuerung vorliegt“, sagte die Vorsitzende Jutta Förster zur ersten Klage.

In diesem Fall hatte ein ehemaliger Steuerberater aus Baden-Württemberg geklagt, der dem Fiskus eine rechtswidrige doppelte Besteuerung seiner Rente vorwarf. Dabei geht es um die seit 2005 laufende Umstellung der Rentenbesteuerung, die erst 2040 abgeschlossen sein soll. Auch die zweite Klage eines Zahnarztes im Ruhestand wiesen die Richter ab.

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Renten und Doppelbesteuerung: Was bedeutet das Urteil für Rentner?

Der Bundesfinanzhof sieht in den kommenden Jahren eine überhöhte Steuerlast auf viele Rentner in Deutschland zukommen. Auf diese Gefahr weist der X. Senat in seinem Urteil hin. Nach Einschätzung der Richter dürfen weder der Grundfreibetrag noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in die Berechnung des steuerfreien Anteils der Rente mit einbezogen werden.

Unmittelbare Auswirkungen hat dies nicht, in der Zukunft könnten diese jedoch groß sein. Denn der Bundesfinanzhof legt dem Bundesfinanzministerium damit eine Änderung der bisherigen Praxis bei der Rentenbesteuerung nahe.

Der Grundfreibetrag diene der Absicherung des Existenzminimums und dürfe nicht noch ein zweites Mal als steuerfreier Rentenbezug herangezogen werden. „Unsere Antwort lautet nein,“ sagte die Senatsvorsitzende Förster zu dieser Frage, die unter Steuerrechtlerin seit bald 20 Jahren diskutiert wird.

Rente: Warum musste der Bundesfinanzhof entscheiden?

Im Kern ging es bei den Verfahren um die Frage, ob es derzeit zumindest für einen Teil der rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung kommt. Ausgangspunkt waren die entsprechende Klagen zweier Ruheständler.

Zuvor waren die Verhandlungen bereits mehrfach verschoben worden. Hätte der Staat im Zuge einer dann notwendigen Reform die Doppelbesteuerung künftig vermeiden müssen, wäre es teuer für den Fiskus geworden. Zwischen 2020 und 2040 hätten sich die Mindereinnahmen auf schätzungsweise 90 Milliarden Euro belaufen, heißt es in einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), wie das „Handelsblatt“ zuvor berichtete.

Rente in Deutschland: Das ändert sich ab Januar

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    Eigentlich wollten sich die Richter bereits im vergangenen November der Sache annehmen und Klarheit schaffen. Doch wie bei so vielen Dingen kam auch in dieser Sache die Corona-Pandemie dazwischen. Die mündliche Verhandlung wurde zunächst auf Januar verschoben, dann auf das zweite Quartal 2021. "Wir sind uns der Brisanz des Themas durchaus bewusst", sagt eine Sprecherin des Gerichtshofs Anfang des Jahres auf Anfrage.

    Doppelbesteuerung von Renten: Worum geht es bei der Neuregelung genau?

    Hintergrund des Rechtsstreits ist eine Neuregelung aus dem Jahr 2005. Während Rentenversicherte ihre Beiträge bis dahin aus dem bereits versteuerten Einkommen abführen mussten und die Altersbezüge steuerfrei waren, wird es in Zukunft genau andersherum sein. In einer Übergangszeit ist seit 2005 schrittweise ein immer größerer Anteil der Versichertenbeiträge steuerfrei, während die Rente immer stärker belastet wird. Ab 2040 werden volle 100 Prozent der Rente versteuert. Gleichzeitig werden die Aufwendungen für die Altersvorsorge ab 2025 in voller Höhe steuerfrei sein. Von einer 40-prozentigen Besteuerung im Jahr 2005 verringert sie sich jährlich um zwei Prozent.

    • Während Rentenversicherte ihre monatlichen Beiträge bis 2005 aus dem bereits versteuerten Einkommen abführen mussten und die Altersbezüge steuerfrei waren, wird es in Zukunft genau anders herum sein.
    • Dann werden die Renten voll versteuert und dafür die Beiträge nicht mehr. Der Übergang erfolgt schrittweise und über mehrere Jahre.
    • So werden seit 2005 nach und nach immer größere Anteile der Versichertenbeiträge steuerfrei gestellt, während die Rente immer stärker belastet wird.

    Fachleute sprechen von einem Wechsel aus der vorgelagerten in die nachgelagerte Rentenbesteuerung, da einmal vor und einmal nach Renteneintritt Steuern fällig werden.

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    Durch diesen Wechsel fühlten sich die beiden Kläger - ein Zahnarzt und ein Steuerberater - und ihre Ehefrauen benachteiligt. Sie glauben, dass sie doppelt besteuert werden. Und mit dieser Auffassung sind sie nicht allein.

    Der Bund der Steuerzahler (BdSt) unterstützte die Verfahren und sieht eine Doppelbesteuerung vieler Rentner, vor der das Bundesfinanzministerium die Augen verschließe.

    Aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums vom April auf eine FDP-Anfrage geht hervor, dass deutschlandweit derzeit 142.000 Einsprüche von Rentnern gegen eine mögliche Doppelbesteuerung anhängig sind.

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    Ruheständler mussten 2005 noch die Hälfte ihrer Rente versteuern. Derzeit sind es rund 80 Prozent und 2040 werden dann volle 100 Prozent steuerpflichtig sein. Entscheidend für die Höhe der Besteuerung der Altersbezüge ist das Renteneintrittsjahr. Die Steuerlast auf die Rentenbeiträge von Arbeitnehmern verringert sich hingegen kontinuierlich um zwei Prozent pro Jahr. 2005 wurde noch ein Anteil von 40 Prozent besteuert, 2025 soll dieser Anteil bei null liegen.

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    Wo genau liegt nun das Problem bei der Besteuerung von Renten?

    Eigentlich sollte mit diesem gegenläufigen Mechanismus ein Ausgleich geschaffen werden, um eine rechtswidrige Doppelbesteuerung von Beiträgen und späteren Rentenzahlungen zu verhindern. Zahlreiche Fachleute kritisieren aber seit langem, dass Versicherte als Beitragszahler weniger stark entlastet werden, als sie später im Rentenalter steuerlich belastet werden.

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    Erst würden also die Beiträge besteuert und später auch noch die ausgezahlte Rente. Dies sei faktisch eine Doppelbesteuerung. Der ursprünglich vorgesehene Ausgleich in der Übergangszeit funktioniere nicht, so die Kritik. Eine solche zweifache Belastung durch den Fiskus moniert auch der Kläger im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof.

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    Es sind vor allem zukünftigen Ruheständler, die von der Doppelbesteuerung betroffen sein könnten. Grund sind die verschiedenen Zeitachsen bei der Umstellung des Verfahrens. So ist zwar bei Rentenbeginn im Jahr 2040 die Rente voll steuerpflichtig, die hierfür eingezahlten Beiträge in die Rentenversicherung sind aber nur 15 Jahre lang in voller Höhe steuerlich absetzbar, nämlich von 2025 bis 2039. Lesen Sie auch: Steuererklärung 2020: Welche Fristen in diesem Jahr gelten

    Allerdings gibt es schon heute eine Gruppe, die betroffen ist: Selbstständige, die freiwillig in die Rentenversicherung einzahlen. Sie leisten die Beiträge aus ihrem bereits versteuerten Einkommen und müssen später erneut Abgaben auf die Rente abführen. Allerdings sind diese Fallzahlen nach Einschätzung von Fachleuten eher gering. Beschäftige, die jetzt in Rente gehen oder sich schon im Ruhestand befinden, sind hingegen nicht betroffen.

    Der Bundesfinanzhof entscheidet, ob es in Deutschland zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung kommt.
    Der Bundesfinanzhof entscheidet, ob es in Deutschland zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung kommt. © dpa | Federico Gambarini

    Warum war der Systemwechsel überhaupt notwendig?

    Der Gesetzgeber musste seinerzeit ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Die obersten Richter hatten im Jahr 2002 eine Anpassung der Rentenbesteuerung an die Regelung bei den Beamtenpensionen gefordert, die schon in all den Jahren zuvor komplett besteuert worden waren. Es galt, eine Ungleichbehandlung zu beenden. Allerdings verlangte das Gericht eine Neuregelung, die Doppelbesteuerung verhindert. Etliche Fachleute sehen aber genau diese Vorgabe nicht erfüllt.

    Weshalb wurde dieses Problem nicht früher erkannt?

    Kritik gibt es seit langem. Doch erst jetzt steht eine höchstrichterliche Entscheidung an. Letztlich geht es vor allem die Frage, wie gerechnet wird. Nach damaligen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts müssen Ruheständler in der Summe mindestens so viel Rente steuerfrei erhalten, wie sie in ihrem Erwerbsleben steuerpflichtig eingezahlt haben, um eine Doppelbesteuerung zu verhindern. Jedoch gibt es keine verbindlichen Kriterien, was alles zur steuerfreien Rente zählt. Im engeren Sinne ist es nur jener Betrag, der ohne Abzüge ausgezahlt wird.

    Allerdings werden vom Fiskus auch steuerliche Vergünstigungen wie Freibeträge sowie absetzbare Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in die steuerfreie Rente mit einbezogen. Sie fällt somit rechnerisch entsprechend höher aus. Nach dieser Lesart kommt es zu keiner Doppelbesteuerung, da der steuerfreie Anteil der Rente höher ausfällt. So dürfte auch das Bundesfinanzministerium argumentieren. Strittig ist, welche Art zu Rechnen die richtige ist. Genau darum geht es auch im Streit vor dem Bundesfinanzhof. Der Kläger verlangt letztlich eindeutige Kriterien dafür, was zur steuerfreien Rente hinzugezählt werden darf und was nicht.

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    Rente: Was sagt die Opposition?

    Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, dringt auf rasche Klarheit. "Die Bundesregierung hätte lange etwas gegen die Doppelbesteuerung tun sollen", sagte Bartsch im Februar unserer Redaktion, "die Rentenbesteuerung muss auf den Prüfstand".

    Es könne nicht sein, dass ein sinkendes Rentenniveau auf eine steigende Steuerlast im Alter treffe. Schon heute werden Nettorenten im Armutsbereich von rund 1000 Euro besteuert, kritisierte Bartsch. Niedrige und mittlere Renten sollten vor der Steuer geschützt werden. Er erwartet nach eigenen Worten ein wegweisendes Urteil des Bundesfinanzhofes zur Doppelbesteuerung. (mit dpa)

    Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.