Berlin. Schule, Büro und Uni treffen sich am Küchentisch – das kann nicht gut gehen. Unsere Kolumnistin braucht Auslauf. Nur: wohin bloß?

Bei uns zu Hause ist dicke Luft. Zu fünft am Küchentisch mit fünf Laptops, fünf Smartphones und drei Tablets. Mein Telefon klingelt oft, und ich muss in Videokonferenzen. Der Studentensohn ist neugierig, er will gucken, wie meine Kolleg:innen so aussehen und die Chefs; ich soll meine Kamera ausschalten, damit er unerkannt zugucken kann. Ich scheuche ihn weg.

Jedes Mal, wenn ich in der Konferenz was sagen will, räumt jemand die Spülmaschine aus. Oder knistert mit der Müslitüte. Der Gatte telefoniert lautstark. Die Studententochter meckert, weil sie keiner in Ruhe lässt, der Studentensohn schimpft, weil das Teenie-Kind den Teller mit dem schmierigen Buttermesser in seine Richtung schiebt, statt ihn wegzuräumen.

Homeschooling und Homeoffice können eine Familie in Zeiten des Corona-Lockdowns ganz schön belasten, wie unsere Kolumnistin beschreibt.
Homeschooling und Homeoffice können eine Familie in Zeiten des Corona-Lockdowns ganz schön belasten, wie unsere Kolumnistin beschreibt. © Stefan Puchner/dpa | Stefan Puchner/dpa

Komponieren wie Schönberg, dichten wie Goethe und ein Podcast für Physik

Apropos Teenie-Kind. Es jammert und stöhnt und füllt 16 Stunden am Stück jeden Raum in unserer Wohnung, bevor es in einen komaähnlichen Schlaf fällt. In Geschichte soll es einen Kommentar über die „Stunde null“ nach dem 2. Weltkrieg schreiben. In Musik eine englische Volkslied-Melodie zum 12-Ton-Stück im Sinne von Arnold Schönberg um-komponieren.

In Deutsch das Verhältnis von göttlicher, menschlicher und natürlicher Sphäre im Goethe-Gedicht „Das Göttliche“ („Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“) herausarbeiten. In Physik einen Podcast-Vortrag zur magnetischen Flussdichte zur Verfügung stellen; in Erdkunde das Gelände des stillgelegten Flughafens Tegel hinsichtlich der Nachhaltigkeit erörtern.

In Mathe steht ein Irrgarten zur Differenzialrechnung auf dem Programm, in Englisch ein Essay über Immigration nach Großbritannien. Die Französischaufgabe versteht es nicht, da muss die große Schwester einspringen. Es geht um ein Chanson, der das Verhältnis von Männern und Frauen beschreibt.

Homeschooling im Fach Chor: Übungen singen und die Resonanz spüren

Meine Lieblingsaufgabe bekommt das Kind im Ensemblekurs Chor: Es soll Übungen singen und notieren, wie es die Resonanz spürt.

Ja, klar, ist Oberstufe. Und da ist viel zu tun. Und nicht alles muss an einem Tag fertig werden, doch morgen stehen neue Aufgaben in der Schul-Cloud. Dort landen übrigens – für alle Schülerinnen und Schüler einsehbar -- all die Aufsätze und Analysen. Wer zuerst hochlädt, riskiert, dass die Nachzügler dreist abschreiben.

Kolumnistin Birgitta Stauber hat genug von Home Office und Homeschooling.
Kolumnistin Birgitta Stauber hat genug von Home Office und Homeschooling. © Reto Klar | Reto Klar

Homeschooling ist also kein Spaß, sondern pauken pur, mitunter bis tief in die Nacht. Warum Mathe-Lehrerin Schulze und Deutsch-Lehrer Meier nicht einfach den Stundenplan einhalten und Video-Unterricht machen – das werde ich wohl nie verstehen.

Chai-Latte, Zimt-Tee und Tütensuppe

Dafür leiert der Chemieprofessor seine Vorlesung gerade in die Kopfhörer der Studententochter. Sie kann sich melden und Fragen stellen, ansonsten sich einfach wegklicken. Danach schreibt sie mit einem elektronischen Pencil Formeln aufs Tablet. Was eigentlich der Jura-Sohn macht, bleibt unklar, aber er sitzt mit uns am Tisch und hämmert in seinen Laptop.

So wachsen wir auf den ungepolsterten Küchenstühlen fest mit unseren Geräten, mit unserem Kaffee, dem Chai-Latte und Zimt-Tee -- und dem Milchbrötchen, das die Studententochter in die Tütensuppe taucht (ich möchte mal wissen, wie so etwas in unseren Haushalt gelangt. Ich hatte doch Lachs und Bohnen für das Abendessen gekauft).

„Ich will wieder in die Schule. Ich halte das nicht mehr aus“

Stille Wut baut sich von Stunde zu Stunde stärker auf, bis der Gatte unter heftigem Protest die Balkontür aufreißt. „Ich will wieder in die Schule“, schreit der Teenager: „Ich halte das nicht mehr aus“.

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Ich sag‘ ja: Es ist dicke Luft. Ich muss mal raus. Shampoo kaufen. Spülmittel oder was weiß ich. Ich will allein sein und ich brauch‘ Auslauf wie der kleine Hund meiner Nichten und Neffen. Draußen gehen tropfnasse Schneeflocken gerade in Regen über. „Ich komme mit“, ruft das Teenie-Kind. Der Gatte sagt, „ich auch“. Die Studentengeschwister rennen hinterher. Fehlt nur noch, dass es so aussieht, als würden wir die Kontaktbeschränkungen nicht einhalten.

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