Berlin. In Kroatien gibt es nach Erschütterungen Tote und Verletzte. Forscher haben berechnet, wie groß das Erdbeben-Risiko in Deutschland ist.

Zerstörte Kleinstädte, mindestens sieben Tote, darunter ein zwölfjähriges Mädchen, erschlagen von Trümmern. Erneut ist Kroatien nach dem schweren Beben im März von heftigen Erschütterungen getroffen worden. Seit Montag hatte der Boden 45 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Zagreb mehrfach gewackelt. Viele Menschen werden noch vermisst.

In Deutschland scheint die Gefahr heftiger Erdbeben dieser Größenordnung fern. Aber stimmt das?

Vor mehr als 28 Jahren, am 13. April 1992 um 3.20 Uhr, bebte in Deutschland mit einer Stärke von 5,9 die Erde. Im Kölner Dom stürzte ein riesiges Ornament krachend zu Boden. In den Gebäuden nebenan klirrten Gläser, Bücher fielen aus Regalen. In Köln, Bonn und anderen Städten rissen Hausfassaden, Dachziegel rauschten auf Autos und Gehwege, Schornsteine fielen um. Binnen Minuten gingen Tausende Notrufe bei Polizei und Feuerwehr ein. Das Zentrum der Erschütterung lag an der niederländischen Grenze in Roermond, in 18 Kilometern Tiefe. 30 Menschen wurden in dieser Frühlingsnacht verletzt, eine Person erlitt einen tödlichen Schock. Es entstanden Schäden von über 130 Millionen Euro.

Vor dem Beben von Roermond hatten nur Experten einen derart starken Erdstoß in der Niederrheinischen Bucht für möglich gehalten. „Statistische Analysen zeigen, dass zwischen Köln, Bonn, Aachen und Roermond etwa alle hundert bis dreihundert Jahre mit einem Beben der Stärke 5,5 zu rechnen ist“, sagt Gottfried Grünthal vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. Ein Beben der Stärke 6,5, so der Experte für historische Erdbeben, ereigne sich dort alle 1000 bis 3000 Jahre.

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Ein Mal pro Generation ein schädigendes Erdbeben

Für das heutige Staatsgebiet von Deutschland sind starke Erdstöße seit dem Mittelalter in Quellen festgehalten. Über die Beben der letzten 100 Jahre gibt es detailliertere Daten. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden sie elektronisch erfasst. Alle diese Informationen sind abrufbar, sie stehen niedergeschrieben in einem Erdbebenkatalog.

Mit Hilfe eines mathematisch-methodischen Verfahrens hat das GFZ nun berechnet, wie wahrscheinlich weitere starke Erdbeben in der Zukunft sind. Für die Niederrheinische Bucht und ganz Deutschland mit seinen besonders gefährdeten Gebieten: Oberrheingraben, Schwarzwald, Schwäbische Alb und einen Landstrich südlich von Leipzig bis hinein ins Vogtland.

„Ein Mal pro Generation gibt es in Deutschland ein schädigendes Beben“, sagt Marco Pilz. Ab einer Stärke von 5,0 sei mit stärkeren Zerstörungen zu rechnen, erklärt der Wissenschaftler der GFZ-Sektion „Erdbebengefährdung und dynamische Risiken“. Eine Generation umfasst einen Zeitraum von etwa 30 Jahren.

Was ein Beben der Stärke 6,5 für Köln und das Umland bedeuten würde, haben Forscherinnen und Forscher vom GFZ gemeinsam mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) berechnet. Anlass dafür war die sogenannte „Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2019“. Diese ist ein Instrument des Bundes, um mögliche Katastrophen- und Notfälle durchzuspielen. Der entsprechende Bericht liegt den Mitgliedern des Deutschen Bundestages vor.

Welche Schäden könnten Erdbeben anrichten?

In die Analyse eingeflossen sind neue geophysikalische Berechnungen für die Niederrheinische Bucht. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten wissen, welchen Einfluss die oberflächennahen Boden-Schichten auf das Gefahrenpotenzial ausüben. Darüber hinaus erstellten sie ein Gebäude-für-Gebäude-Modell für die Stadt Köln, um die Anfälligkeit von Häusern und Infrastruktur abschätzen zu können.

Was bei einem Erdbeben der Stärke 6,5 unweit von Köln, zwischen Kerpen und Euskirchen passieren würde, beschreibt Marco Pilz so: „Wenn es in einer Tiefe von nur wenigen Kilometern am Erftsprung zu einem tektonischen Bruch kommt, erreichen die Erdbebenwellen Sekunden später die Oberfläche und die nahegelegene Stadt Köln.“ Der Untergrund beginne zu wackeln, etwa zehn Sekunden lang. Gebäude stürzten teilweise ein, Straßen würden durch herabfallende Trümmer blockiert.

Mit Verletzten und Toten sei zu rechnen, zudem mit einem für drei bis vier Tage anhaltenden Stromausfall, von dem etwa drei Millionen Menschen betroffen wären. Krankenhäuser kämen an ihre Kapazitätsgrenzen, die Wasserversorgung geriete unter Druck. Die durch das Beben ausgelösten Erschütterungen wären in einem Umkreis von mehreren hundert Kilometern spürbar.

Staatliche Stellen müssen sich logistisch vorbereiten

Pilz zufolge fehlt es in Deutschland nicht nur an Erfahrung mit, sondern auch an einem grundsätzlichen Bewusstsein für die Erdbeben-Gefahr. „Viele Menschen denken an Italien oder andere Länder, wenn sie sich mit dem Thema befassen. Aber auch in Deutschland können bedeutende Ereignisse auftreten“, sagt Pilz.

Der Bericht von GLZ und BGR, an dem auch die örtlichen Behörden, Land, Bund, Energieversorger, Feuerwehr und Hilfsorganisationen mitgewirkt haben, soll Abhilfe schaffen. Nur wer sich Probleme vorstellen könne, könne sie auch planvoll lösen, meint Pilz. „Die Bevölkerung muss sich gedanklich auf einen solchen Notfall einstellen.“

Die staatlichen Stellen, aber auch Krankenhäuser und Hilfsorganisationen müssten sich darüber hinaus logistisch vorbereiten. „Die flächendeckende spezifische Vorbereitung auf ein Erdbebenereignis in den gefährdeten Regionen ist aktuell nicht gegeben“, heißt es in der Risikoanalyse. Auf allen Ebenen müssten Krisen-Konzepte entwickelt oder überprüft werden. Und auch die Erdbebenkataloge für Deutschland gelte es zu verbessern. „Sie weisen derzeit signifikante Wissenslücken auf.“

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